Zum Digital Festival: Plädoyer für ein europäisches You-Tube

16.10.2018, 16:12 Uhr
Zum Digital Festival: Plädoyer für ein europäisches You-Tube

© Markus Konvalin/BR

Die Digitalisierung der Kommunikation hat massive Auswirkungen auf die Medien. Täglich rufen laut ARD/ZDF-Onlinestudie 2017 89,8 Prozent oder umgerechnet 62,4 Millionen Menschen ab 14 Jahren in Deutschland Netzinhalte ab. Dabei ist das Smartphone das meistgenutzte Gerät für den Internetzugang: Zwei Drittel der Bevölkerung nutzen es, nahezu jeder 14- bis 29-Jährige findet so den Weg ins Netz. Darauf müssen die öffentlich-rechtlichen Sender reagieren. Diese Zahlen beweisen den massiven Umbruch der Mediennutzung, besonders bei den jüngeren Mediennutzern.

Wir, die Senderverantwortlichen, müssen einerseits Wege finden, um junge Menschen wieder stärker für unsere Fernseh- und Radioprogramme zu begeistern. Andererseits gilt es, Inhalte für unterschiedlichste Plattformen aufzubereiten und für die Online- und die mobile Nutzung zu optimieren. Gleichzeitig müssen wir noch mehr und schneller produzieren - und dabei Workflows etablieren, mit denen sich zukünftige Ausspielkanäle möglichst gut mit Inhalten versorgen lassen. All das erfordert neue Denkweisen, aber auch neue Strukturen und Arbeitsweisen. Der BR befasst sich - wie die anderen Sender auch - intensiv mit solchen Themen.

Größte Veränderung in der Geschichte

Im Rahmen des größten Veränderungsprozesses in der Geschichte des Bayerischen Rundfunks haben wir in der Informationsdirektion bereits 2015 die digitale News-Marke BR24 und die gleichnamige Nachrichten-App des Bayerischen Rundfunks entwickelt. Seit dem Relaunch im August 2018 sind die App und das BR24.de- Webangebot inhaltlich noch stärker auf Informationen aus Bayern und seinen Regionen ausgerichtet. BR24 steht für Regionalität und persönliche Ansprache. Zudem sind wir auf fast allen Social-Media-Kanälen mit Nachrichten vertreten. Zum Beispiel wollen wir gezielt mit unseren Instagram-Marken @BR24, @weltspiegel oder der @news_wg Informationen und Hintergründe auf Plattformen bringen, die bislang nicht den Content abbilden, den wir als ARD und BR anbieten können.

Andererseits dürfen wir uns aber auch nicht von diesen Plattformen abhängig machen. Ein Blick ins Silicon Valley zeigt, dass Daten und Algorithmen die entscheidende Rolle dabei spielen, wer heute und in Zukunft den Markt beherrscht. Der Einsatz von KI (Künstliche Intelligenz) ist revolutionärer als die Einführung des Computers. KI beruht auf Datenhoheit. Der Datenvorsprung der großen Player Google, Apple, Facebook und Amazon (GAFA) ist kaum aufholbar. In meinen Gesprächen mit Google war zwar ehrliches Interesse spürbar, eine Partnerschaft mit den Medien einzugehen - um Hilfe zu leisten bei der Monetarisierung für die kommerziellen Anbieter und um gemeinsam gegen Fake News vorzugehen. Am Ende müssen wir selbst die Hoheit über Daten und Algorithmen haben.

Mehr Regulierung notwendig

Wir brauchen eine europäische Plattform, so Ulrich Wilhelm, ARD- Vorsitzender und Intendant des Bayerischen Rundfunks: "Für eine annähernd vergleichbare Reichweite brauchen wir eine Art europäisches You-Tube mit Elementen von Facebook für den direkten Austausch mit den Nutzern sowie einer guten Suchfunktion - also ein Angebot, das von You-Tube, Facebook und Google gelernt hat, aber auf europäischen Idealen von Vielfalt, Qualität und Offenheit aufbaut." Notwendig ist eine auf einer europäischen Ethik beruhende Regulierung. Hardware wird sich vergemeinschaften, die "recommendation engines" (die Algorithmen, die den Menschen etwas vorschlagen) gehen ins Politische und Kulturelle. Über sie kann die Entwicklung von Gesellschaften gesteuert, aber auch manipuliert werden. Ohne Regeln überlassen wir uns dieser Gefahr. Nicht nur in Europa, sondern auch in Amerika entwickelt sich Widerstand. So gibt es mittlerweile internationale Anbieter von Cloud-Lösungen, die ethische Grundsätze als Wettbewerbsvorteil erkannt haben. Auch sie sammeln Daten. Aber sie interagieren mit den Kunden, stellen Bausätze für eigene Apps zur Verfügung und überlassen den Kunden deren Daten.

Europa hat sich überrumpeln lassen

Genau hier liegt das Pfund der öffentlich-rechtlichen Anbieter zur Veredlung einer Plattform aller Medien: Glaubwürdigkeit, Verlässlichkeit, Unabhängigkeit von wirtschaftlichen oder politischen Interessen. Die erste Runde der Plattform-Etablierung ging vollständig an die Amerikaner. Europa hat sich teils aus Unwissenheit und Naivität überrumpeln lassen. Es wird daher schwer genug, parallel zu Facebook eine Plattform nach europäischen Regeln der Demokratie, des Datenflusses, der Meinungsfreiheit zu etablieren. Aber die Zeit dafür ist jetzt.

Um noch einmal mit den Worten des ARD-Vorsitzenden Wilhelm zu sprechen: "Hier geht es um viel mehr. Was wir brauchen, ist eine europäische digitale Infrastruktur – eine Plattform von Qualitätsangeboten im Netz, an der sich die öffentlich-rechtlichen, die privaten Rundfunkanbieter, die Verlage, aber auch Institutionen aus Wissenschaft und Kultur und viele andere beteiligen können. Deutschland und Frankreich könnten die Initiatoren sein, der Motor für die richtige Antwort auf die Giganten aus Amerika. Um wirklich europäisch zu werden, müssen aber weitere Länder hinzukommen. So haben auch einst Airbus, der Zusammenschluss der europäischen Flugzeughersteller und Galileo, Europas unabhängiges Satellitennavigationsund Ortungssystem, begonnen."

Ein weiterer Beitrag zur Debatte, die zum Digital Festival mehr seriösen Journalismus fordert, kommt von NN-Chefredakteur Michael Husarek.

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