Schöne Formen und zickiges Wesen

77 Jahre Vespa: Darum knattert dieser Dauerbrenner noch immer in unsere Herzen

19.5.2023, 15:17 Uhr
Über 30 Jahre begleitet diese Rally 200 von 1975 den Autor schon durchs Leben – hier auf einer Tour in die Fränkische Schweiz. Ein Verkauf ist völlig undenkbar.

© Matthias Niese Über 30 Jahre begleitet diese Rally 200 von 1975 den Autor schon durchs Leben – hier auf einer Tour in die Fränkische Schweiz. Ein Verkauf ist völlig undenkbar.

Herr Tröger, 1946 kam die erste Vespa auf den Markt, mit 98 Kubikzentimetern Hubraum und 60 Kilometern pro Stunde Spitzengeschwindigkeit. Ihr Erfinder Corradino D'Ascanio wollte eigentlich Hubschrauber bauen. Hatten Sie schon mal so eine Ur-Vespa in der Werkstatt?

Frank Tröger: Eine V98 hatte ich noch nie da, das ist eine absolute Rarität. Ich weiß aber, dass in der Fränkischen Schweiz ein älterer Herr eine besitzt. Eigentlich ein Geheimnis, denn für so eine Ur-Vespa würden manche 50.000 Euro zahlen. Es gibt aber auch andere selten Modelle, von denen teils nur 700 Stück gebaut wurden, eine deutsche GS4, zweite Serie etwa.

Simpelste, bewährte Technik zum Selber-Reparieren – der Motor einer kleineren Large-Frame-Vespa.  

Simpelste, bewährte Technik zum Selber-Reparieren – der Motor einer kleineren Large-Frame-Vespa.   © Guenter Distler, NN

Die Technik all dieser klassischen Zweitakt-Vespas war aber ähnlich, oder?

Tröger: 50 Jahre lang ist das Prinzip gleich geblieben, die Ingenieure bei Piaggio haben nur stets verbessert. Der große Sprung kam erst Mitte der 1970er Jahre, als so verrückte Sachen wie eine elektronische Zündung verbaut wurden, ab da war die Haltbarkeit besser. Der Motor an sich war immer simpel und zuverlässig. Es galt: Never change a running system. Dafür bekommt man für die meisten Modelle auch bis heute Ersatzteile von wechselnder Qualität. Kaputtgegangen sind die Vespas eigentlich nur, wenn man zu viel am Original herumgebastelt hatte, wenn kleine 50er, die nicht zum TÜV müssen, nie gewartet wurden.

Und dann kamen plötzlich die Modelle, die traditionelle Vespisti lange kritisch beäugten...

Tröger: Irgendwann musste auch Piaggio Innovationen in die Vespa konstruieren, genügte der Klassiker PX nicht mehr – den haben sie übrigens von 1977 bis 2016 kaum verändert gebaut. Mitte der 1990er Jahre wurde die ET4 vorgestellt, mit einem völlig neuen Karosserie- und Motorkonzept, mit viel Plastik. Fast alle Vespas sind heute Viertakter, mit Einspritzung, mit ABS...

Unzählige Firmen haben Motorroller gebaut, darunter Lambretta, Zündapp, NSU – warum hat sich gerade die Vespa durchgesetzt?

Tröger: Weil sie bei ihrer simplen, wunderschönen Designsprache geblieben sind, die sie so unverwechselbar macht. Die anderen haben mit sehr speziellen Designs und technischen Lösungen experimentiert, die Vespa war von Anfang an ein großartiger Wurf. Und Piaggio hatte geniale Marketingstrategen, die die Vespa zur globalen Marke aufbauten, für die alle Sympathie empfinden.


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Für seltene, klassische Vespas werden hohe Preise aufgerufen, verbeult und technisch marode legt man manchmal 5.000 Euro und mehr hin, restauriert werden teils über 10.000 Euro verlangt. Ist das nicht irre?

Tröger: Die Vespa ist halt der Oldtimer des kleinen Mannes. Ein klassisches Auto ist viel teurer, außerdem braucht man dafür einen trockenen Stellplatz. Wenn man also wenig Platz und weniger Geld hat, kommt man fast nicht um ein altes Zweirad herum. Und mit jedem Unfall und jedem runtergeranzten Roller sind weniger Modelle auf dem Markt, die Nachfrage ist aber gerade jetzt hoch. Das lässt die Preise steigen.

Frank Tröger (49) aus Creußen bei Bayreuth hat Jahrelang seine Vespas selbst repariert. Seit 2017 restauriert der Betriebswirt für Kunden alte Roller in seinem Blechrollerwerk im Nürnberger Ofenwerk.

Frank Tröger (49) aus Creußen bei Bayreuth hat Jahrelang seine Vespas selbst repariert. Seit 2017 restauriert der Betriebswirt für Kunden alte Roller in seinem Blechrollerwerk im Nürnberger Ofenwerk. © Horst Linke

Bei welchen Vespas lohnt es sich, jetzt zuzugreifen, weil das Preis-Leistungs-Verhältnis noch stimmt?

Tröger: Wer den Motorradführerschein hat, sollte sich jetzt eine PX 200 kaufen, das sind die letzten großen Klassiker. In gutem, fahrbereitem Zustand zahlt man dafür derzeit 3.000 bis 3.500 Euro, der Wert wird aber steigen. 125er sind wegen der neuen Führerscheinregelungen kaum zu bekommen, und die kleinen V50 sind sehr teuer. Die PK50 I könnte aber ein Klassiker werden.

Und die modernen Vespas nicht?

Tröger: Wohl kaum, davon gibt es einfach zu hohe Stückzahlen, in ihnen ist zu viel Plastik verbaut. Mit der Automatik kam auch die Langeweile, Schaltroller sind kerniger, die Qualität war viel besser. Gingen sie kaputt, hat man sie trotzdem repariert.

Sie sind Mitglied im Schwabacher Rollerclub "Sittenstrolche", gegründet 1993. In der Region gibt es noch ein paar Vespaclubs. Wie geht's der Szene?

Tröger: Die Clubs sterben, da gehen alle auf die 50 zu oder sind drüber, es kommt kein Nachwuchs. Die jungen wollen modernere Gefährte haben, Zweitakter sind nicht umweltfreundlich. In zehn Jahren könnte es ein Zweitaktverbot geben, Städte wie Paris oder Mailand lassen sie heute schon nicht mehr in die Zentren. Aber es gibt eine lose Szene, mit Stammtischkultur und gemeinsamen Ausfahrten, die ist sehr lebendig. Da putzen sich viele hübsch heraus und zeigen stolz bei einer Ausfahrt ihre Vespas her. Die Leute sind dort zwischen 20 und 80 Jahre alt, eine große Bandbreite also und ein sehr angenehmer, netter Umgang.


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Waren Sie schon an dem Punkt, wo sie sagten: Warum geb ich mich eigentlich mit dem alten Kram ab?

Tröger: Täglich. Das liegt vor allem an der schlechten Ersatzteilsituation und der miesen Qualität vieler Teile. Das wird aber wieder besser. Immer mehr Hersteller lassen in Europa fertigen. Außerdem können wir bald alte Roller zum Elektroroller umbauen. Das hat Zukunft.

Informationen über die regionale Vespaszene und ihre Termine:
Unter anderem bei www.germanscooterforum.de oder in den Facebook-Gruppen Vespa Nürnberg oder Blechroller im Nürnberger Land.

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