Auf Kurs in Richtung Zukunft

15.7.2009, 00:00 Uhr
Auf Kurs in Richtung Zukunft

© Hans von Draminski

Natürlich hat Daniela Eisenstein, die ein blendendes Gedächtnis besitzt, die FN-Schlagzeile nicht vergessen. In seinem letzten Fürther Interview im Januar 2003 hatte Bernhard Purin, ihr Vorgänger im Amt des Museumschefs, einen nicht ganz arroganzfreien Gruß hinterlassen.

Er verlasse ein «sinkendes Schiff«. So kann man sich irren.

Das Jüdische Museum Franken, sagt Eisenstein, werde 2009 als «Schauplatz der besonderen Präsentation jüdischer Kultur und Geschichte« längst in einem Atemzug mit den Häusern in Berlin, Frankfurt und (demnächst) München genannt. Jene zehn Jahre seit dem Start im Juli 1999, sie seien «turbulent« gewesen – eine nette Untertreibung ob mancher Verbalkeilerei, die sich Purin mit Repräsentanten der Kultusgemeinden lieferte –, aber auch «erfolgreich«. Gut. Doch da geht noch was.

Erweiterungsbau naht

Rund 15000 Besucher im Jahr sind der Amerikanerin «zu wenig«; das Haus werde «bis heute nicht touristisch beworben«. Die Neukonzeption der Dauerausstellung, die Eisenstein mit Kuratorin Monika Berthold-Hilpert gestern vorstellte, «ist der erste Schritt in eine hoffnungsvolle Zukunft«. Ein anderer Schritt ist der Erweiterungsbau mit museumspädagogischem Zentrum. Der Sieger des Architektenwettbewerbs steht seit Sommer 2008 fest, 2010 geht das Projekt in die konkrete Planungsphase.

Doch das Museumsteam wartet nicht, es spuckt schon jetzt in die Hände. Der Geburtstag ist ein guter Anlass. Eisensteins Anliegen: «Wir wollen, dass die Dauerausstellung einen deutlicheren Frankenbezug hat.« Stärker als bislang will das Museum zeigen, welchen Stellenwert bis ins 19. Jahrhundert Franken für die Entwicklung jüdischen Lebens in Süddeutschland hatte. Es gibt neue Abteilungen zum bürgerlichen Zeitalter, zur Zwischenkriegszeit, zur nationalsozialistischen Zeit und – ein Novum auch dies – zur Gegenwart. Ein zweiter, der Religion zugewandter Ausstellungsteil folgt im April 2010.

Selbstredend sind nicht von heute auf morgen neue Exponate vom Himmel gefallen. Preziosen, die bereits in Sonderausstellungen vergangener Jahre auftauchten, haben nun einen dauerhaften Platz bezogen, wie etwa jenes «Denkfix«-Spiel, mit dessen Hilfe eine Fürther Auswanderin in den Nachkriegsjahren Englisch lernte. Deutlich erkennbar ist, dass nun die «erzählenden«, die biografisch verhafteten, emotional leicht zugänglichen Exponate zugelegt haben gegenüber den «verkopften« Stücken der Ausstellung. Das vielleicht schönste unter lauter plausiblen Beispielen ist ein Helm, dessen Besitzer beim Pressetermin zugegen ist.

Frank Stahl machte 1938 als letzter jüdischer Schüler sein Abitur am Humanistischen (heute: Heinrich-Schliemann-)Gymnasium. Er studierte an der ETH in Zürich, kam zwei Jahre ins Arbeitslager. 1946 erhielt Stahl den Ruf, an der Seite des Brückenbau-Gurus Othmar H. Amann die Golden Gate Bridge in San Francisco zu restaurieren. Dutzende weitere Brücken und Bücher über Brückentechnik folgten. Den Boden der Kleeblattstadt betrat er erstmals 1988 wieder, zum Abitur-Jubiläum; eine wider Erwarten gute Reise sei dies gewesen. «Ich habe viele Erinnerungen an Fürth«, sagt der innige Wagner-Verehrer Stahl, «aber ich fühle mich als Amerikaner, schließlich habe ich mehr als 50 Jahre dort gearbeitet«. Der Helm mit dem Logo der Golden Gate Bridge aber ist ab sofort ein Prunkstück der Dauerausstellung.

Unverändert geblieben ist deren innenarchitektonisches Konzept, auch die hinzugekommenen Exponate ruhen in stelenartigen, teils hochaufragenden Glaskästen. Neu ist der Bereich «Erkaufte Toleranz« mit Dokumenten, die vom Reichtum der hiesigen jüdischen Gemeinde bis ins 19. Jahrhundert zeugen. Denn wer die turmhohen Schutzgelder des Markgraftums Ansbach und der Bamberger Domprobstei zahlen konnte, der hatte was auf der hohen Kante.

«Heimat« heißt der Ausstellungsteil mit teils sehr persönlichem Hab und Gut, mit Schenkungen oder Dauerleihgaben fränkischer jüdischer Mitbürger – Dokumente, die von den Bemühungen seit Ende des 18. Jahrhunderts zeugen, Einlass in die bürgerliche Gesellschaft zu erlangen. Ein Bierkrug einer Fürther Familie aus dem Jahr 1918 ist darunter, ein Satz fein ausgewählter Fotografien.

«Gerade in Franken«, erläutert Eisenstein, «war die Vorgeschichte des Nationalsozialismus sehr ausgeprägt«. Den Spiegelsaal mit dem berühmten Wassermann-Zitat («Es ist vergeblich«) bereichern nun Fotos aus dem Familienalbum der letzten Wassermann-Nachfahrin Sakura; der Fürther Schriftsteller ist zu sehen mit Thomas Mann, der trotz der Bekanntschaft von seinen antijüdischen Ressentiments nicht abrückte. Eine Postkarte mit Hakenkreuz aus dem Jahr 1925 ist ausgestellt, der Fürther Empfänger hatte sich über das Symbol beschwert. Anbei ist die beklemmende Antwort des Postamtes; man könne nur schwer unterscheiden zwischen Vereins- und Verunglimpfungssymbol und habe daher keine Handhabe...

Kulturelle Selbstbehauptung

Bemerkenswert unlarmoyant ist der Zugang der Kuratorinnen zum Themenfeld «Schoah«. Wichtig sei ihr hier gewesen, sagt die Chefin, die jüdische Bevölkerung im Dritten Reich «nicht nur als passives Opfer darzustellen, sondern ihre kulturelle Selbstbehauptung zu dokumentieren«. Zu sehen ist unter anderem eine Reise-Tora. Fritz Will bekam sie geschenkt, als er mit 13 und als einer der letzten Jungen 1933 seine Bar-Mizwa in der jüdischen Gemeinde Fürth feierte. Die britische Militärjacke: ein junger Nachkomme der fränkischen Familie Orthenau trug sie, als er in Palästina stolz in die britische Armee eintrat. Zwei rührende Beispiele von vielen, zwei NachdenkAnstöße der überraschenden Art.

Auf die Nachkriegszeit – Stichwort: «Displaced Persons« – folgt ein Bereich mit Leihgaben der Juden aus der ehemaligen Sowjetunion, jene Mitmenschen also, die die Fürther Gemeinde heute prägen und lebendig halten. Auch hier setzt das Museum auf Überrumpelung durch Überraschung, ja, Witz. Eine Cognacflasche von Bergjuden aus dem Kaukasus ziert eine Vitrine. Eine in Nürnberg lebende Familie hat sie mit nach Franken gebracht, stets erinnert sie an die alte Heimat. Und: sie ist ungeöffnet geblieben. David Krugmann wiederum, der Maler, der vor zehn Jahren nach Deutschland kam und heute in Fürth Renommee einheimst, hat fürs Jüdische Museum ein Bild gemalt. Titel: «Freunde«.

Das Haus bleibt mit Freunden der Zukunft zugewandt. Solche Schiffe sinken nicht.MATTHIAS BOLL

«Neue Aussichten - Changing Views«: ab morgen. Jüdisches Museum Franken, Königstraße 89. Mittwochs bis sonntags 10–17 Uhr, dienstags 10–20 Uhr.