Mauerfall: "Ein großer Moment war es schon"

24.11.2019, 10:00 Uhr
Mauerfall:

© Archivfoto: Knut Meyer

Richtig rund ging es am Samstag, 11. November, im Sozialamt, das damals in der Hirschenstraße angesiedelt war. Heute befindet sich dort die Volkshochschule. Eine Mitarbeiterin der Rechnungsstelle erinnert sich: "Die Leute standen in Schlangen die Treppe runter." Die Besucher aus der DDR standen an, weil sie jene 100 Mark abholen wollten, auf die sie ein Anrecht hatten: ihr Begrüßungsgeld. Die Bundesrepublik zahlte es seit 1970 jedem DDR-Bürger bei der Einreise in den Westen. Zuletzt gab es einmal im Jahr 100 D-Mark.

Um 9 Uhr begann die Geldausgabe, bis 16 Uhr waren 500 Empfänger abgefertigt. Sie und ihre Kollegen hätten für die Sonderschichten am Wochenende ein paar Schreibtische zusammengestellt, sagt die Frau aus der Rechnungsstelle, und das Geld aus einer Kassette ausbezahlt. Die musste zwischendurch aufgefüllt werden. Ein Kollege sei mehrmals mit einem "Täschla" zur Bank um die Ecke gegangen und habe gegen Verrechnungsschecks Nachschub geholt. "Die Stimmung war gut, die Leute haben sich gefreut übers Geld, und für uns war es gefühlstechnisch zwar nicht gerade ein historisches Ereignis wie die Mondlandung, aber ein großer Moment war es schon."

Am nächsten Morgen öffnete das Sozialamt um sieben Uhr seine Pforten, um die schon draußen in der Kälte wartenden DDR-Bürger einzulassen. Rot-Kreuz-Helfer versorgten die Frierenden mit Tee, dann begann die zweite Auszahlungswelle. 600 Besucher wurden an jenem Sonntag, hieß es damals in den Fürther Nachrichten, mit Westgeld versorgt. Einen Auszahlungsstopp hatte die Stadtsparkasse verhindert, die unbürokratisch für Nachschub sorgte, als das Geld zwischenzeitlich auszugehen drohte.

Ihr Begrüßungsgeld konnten sich die Besucher aus der DDR auch im Fürther Hauptpostamt abholen. Nach einem Hilferuf aus den heillos überlasteten Nürnberger Zahlstellen hatte man dort kurzerhand sechs Schalter aufgemacht. Sonderbusse brachten Ostbürger, die in Nürnberg kein Westgeld mehr ergattert hatten, nach Fürth. Als die Antragsformulare ausgingen, düste ein Postbeamter nach Neustadt/Aisch und holte neue.

Busse, Trabbis, Wartburgs voller DDR-Bürger trafen aber nicht nur in der Kleeblattstadt ein, sondern auch in Zirndorf, Stein oder Cadolzburg. Auch dort wurde in den Rathäusern improvisiert, um Menschen, die aus Dresden oder Karl-Marx-Stadt wie Chemnitz damals hieß, angereist waren, bloß nicht die Freude über das Begrüßungsgeld zu verderben.

War Nürnberg am folgenden Wochenende erneut rappelvoll, so ließ der Ansturm auf Stadt und Landkreis Fürth nach. Trotzdem zahlten die Rathäuser wieder Begrüßungsgeld aus. Und wer bereits zum zweiten Mal in die BRD eingereist war, erhielt 40 Mark vom Freistaat plus 20 Mark von der Stadt. Viele Besucher gaben das Geld direkt wieder aus: für Levis-Jeans, Elektrogeräte, Obst. . . Und weil sie Bananen so begehrten, durfte der Fürther Wochenmarkt sogar am Sonntag öffnen. Die Menschen kauften also und staunten: über "die viele Reklame", große Straßen, saubere Häuser. "Hier ist alles irgendwie bunter", sagte eine Frau den FN, und ein Mann freute sich darauf, "einmal so richtig schön Hamburger" zu essen.

Keine Kommentare