2. Dezember 1970: Die Stadt wird hart attackiert

2.12.2020, 07:00 Uhr
2. Dezember 1970: Die Stadt wird hart attackiert

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Der Landesvorsitzende Alfred Pfefferler aus Pfaffenhofen an der Ilm war nach Nürnberg geeilt, um hier den Zeigefinger zu erheben und den „gesamten von der SPD regierten Stadtrat“ anzuklagen, „der die freien Unternehmer nicht arbeiten läßt“. Die eher polemischen Ausführungen des Vorsitzenden Pfefferler wurden vom Geschäftsführer des Verbandes, Rechtsanwalt Dr. Dr. Dieter Walther, juristisch untermauert.

Unter den anwesenden Bestattungsunternehmerinnen, die zumeist früher städtische Leichenfrauen waren, herrschte beträchtliche Erregung über die Aussage der Stadt, die städtische Bestattungsanstalt sei ein Regulativ, um die Bevölkerung vor Ausbeutung zu schützen. Gerade das Gegenteil sei der Fall: die Bestattungsanstalt hält die Preise hoch.

Diese Bestattungsanstalt ist überhaupt den freien Unternehmern ein Dorn im Auge. Nach ihrer Ansicht hält sich die Bestattungsanstalt nicht an die allgemein üblichen Spielregeln des freien Wettbewerbs. Dazu gehört, daß Bestattungsanstalt und Sterbefallstandesamt im gleichen Gebäude untergebracht sind, „um die schon bestehende enge Verquickung von amtlichem Personal, Amtsräumen und Bestattungsunternehmen der Stadt besser aufrecht erhalten zu können.“

Nach den Beobachtungen der Konkurrenzunternehmer werden Trauernde, die einen Todesfall beurkunden lassen, gleich zur städtischen Firma weitergeleitet. Ferner wird behauptet, daß die Stadtverwaltung eine dienstliche Anweisung an alle Polizeidienststellen gab, wonach Hinterbliebene ausschließlich an die städtische Bestattungsanstalt zu verweisen sind. Und im übrigen, so stellen die freien Unternehmer fest, übt die Stadt Nürnberg den sogenannten Benutzungszwang zu Unrecht aus.

Der Benutzungszwang bedeutet, daß bestimmte Leistungen vor und während der Beerdigung, meistens hygienischer Natur, aber auch der Leichentransport, nur von der Stadt ausgeführt werden dürfen.

Hier gibt ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts im Musterprozeß einer Nürnberger Leichenfrau gegen die Stadt Nürnberg den freien Unternehmern offensichtlich recht. Es wird festgestellt, daß auch die Leichenversorgung eine wirtschaftliche Tätigkeit ist, und daß sie in Nürnberg zu Unrecht unter Benutzungszwang gestellt ist.

Nach Auffassung des Gerichts überschreitet die Stadtverwaltung ihre Befugnisse. Trotz verschiedener Aufforderungen wurde das örtliche Bestattungsrecht im Sinne der höchstrichterlichen Entscheidungen bisher nicht geändert. Wirtschaftsreferent Dr. Doni begründete zuletzt die Verzögerung damit, daß wegen des neuen Bayerischen Bestattungsgesetzes vom 24. September dieses Jahres sowieso die jetzt geltende örtliche Satzung geändert werden muß.

Wir sind sicher, die Darstellung der freien Unternehmer wird wiederum die Stadtverwaltung mit schlauen Ausführungen auf den Plan rufen. Die Materie ist ungeheuer komplex und kann im Rahmen eines Tageszeitungsartikels wohl kaum erschöpfend dargestellt werden. Das Bestattungswesen ist ein gefundenes Fressen für Advokaten und selbst die Rechtsanwälte schauen nicht immer durch. Der Nürnberger Stadtrat ist gegenwärtig dabei, eine neue Ordnung auf diesem Gebiet zu schaffen. Es wäre schön, wenn diese Arbeit zur Zufriedenheit beider Seiten ausfallen würde.

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