Der Rothenburger Weg

Weltkulturerbe Rothenburg? Das hatte es mit der Tagung im Wildbad auf sich

30.6.2021, 13:02 Uhr
Wissenschaftliche Tagung zum Rothenburger Weg. Bei der Podiumsdiskussion in der Tagungsstätte Wildbad.

© Dieter Balb Wissenschaftliche Tagung zum Rothenburger Weg. Bei der Podiumsdiskussion in der Tagungsstätte Wildbad.

"Gibt es eine Modernität in der Bewahrung der Vergangenheit?" lautete der Untertitel der hochkarätigen wissenschaftlichen Tagung im Wildbad: "Der Rothenburger Weg zwischen Heimatschutz, malerischem Architekturstil und Postmoderne". Gemeint ist damit die einzigartige Wiederaufbauleistung nach dem verheerenden Luftangriff von Ostern 1945.

Die Stadt unterunterstreicht damit ihren Anspruch in die Liste der Weltkulturerbe-Städte aufgenommen zu werden. Inhaltlich ist das die Ergänzung zur Pittoresk-Tagung von 2019, wie Dr. Jörg Christöphler hervorhob. Er ist als Tourismus- und Kultur-Verantwortlicher der Stadt dabei das touristische Rothenburg-Bild hin zu mehr qualitativen und nachhaltigen Angeboten zu verändern.

Als eine herausragende Denkmalstätte in Bayern, auf die man stolz sei, bezeichnete Staatsminister Bernd Sibler (Wissenschaft und Kunst) in seiner Videobotschaft Rothenburg. Man wolle dafür sorgen, dass "unsere Stadtbilder auch künftig einzigartig und unverwechselbar sind”. Das kulturelle Erbe stifte Idendität und Gemeinschaft. Rothenburg sei "strahlendes Vorbild” als Kulturstadt.

Oberbürgermeister Dr. Markus Naser erinnerte in seinem Grußwort an die Gründung des Vereins Alt-Rothenburg 1898, wobei eine Bausünde entscheidender Auslöser war (ein Flachdach-Hotelbau an der Talkante). Der Rothenburger Weg bedeute keinesfalls nur Ablehnung des Modernen. Es gelte der schon im 19. Jahrhundert erfolgten Entdeckung der Stadt als Gesamtkunstwerk gerecht zu werden. Im Sinne Georg Dehios und dessen Erkenntnisse von 1908 müsse jeder dieses Bild verändernde Eingriff unterbleiben. Auch heute noch werde in den Mauern neu gebaut, allerdings immer am Ensemble orientiert mit Einfügung und Unterordnung.

Mehr als putzige Altstadthäuser

Dass Rothenburg nicht nur eine hübsche Altstadt mit putzigen Häusern ist, machte Stadtarchivar Dr. Florian Huggenberger in seinem Einleitungsreferat deutlich. Man sei mehr als nur Zugpferd der fränkischen Tourismusindustrie oder Mittelalterromantik. Das Stadtbild habe sich seit dem frühen 17. Jahrhundert wenig verändert. Als Inbegriff des deutschen Mittelalters sei die Stadt auch zum Aushängeschild ideologischer Strömungen vor allem im Nationalsozialismus geworden.

Eigentlich habe der Rothenburger Weg um 1900 begonnen, sagte Huggenberger, denn da hätten die Stadtoberen schon den Wert des Stadtdenkmals erkannt. 1901 engagierte man mit Theodor Fischer einen namhaften Konservator und künstlerischen Berater, um die Neubebauung außerhalb der Mauer zu lenken. Das wirtschaftliche und touristische Interesse kamen hinzu.

Dass man den Denkmalbegriff beim Wiederaufbau konsequent auf die gesamte zu 40 Prozent zerstörte Altstadt anwendete, war die große Leistung. Zugleich war es laut Huggenberger eine "Reformation des Heimatschutzgedankens”. Indem man die Erfahrungen der Kriegs- und Nachkriegszeit in eine intakte authentische Altstadt integriere, entstehe der außergewöhnliche Wert der Altstadt. Eine bis heute lebenswerte urbane Umgebung sei entstanden ohne beim Wiederaufbau zu verkitschen oder dem Auto Vorrang einzuräumen. Abweichungen habe man schnell korrigiert – so als 1954 der Marktplatz als Parkplatz freigegeben wurde.

Es gelte die Vorzüge des Rothenburger Wegs der jungen Generation zu vermitteln. Für Dr. Huggenberger ist der örtliche Wiederaufbau "nicht nur in seiner Intention, sondern auch in seiner manchmal inkonsequenten Durchsetzung, zutiefst menschlich".

Der Rothenburger Architekt Hanns Berger brachte den Teilnehmern die Kriegszerstörung und den Aufbau anhand praktischer Beispiele nahe. Damals war der Architekt Fritz Florian bis 1953 mit dem Wiederaufbau der Stadt beauftragt, danach gab es zunehmend Abweichungen von den ersten Leitlinien, stellte Berger fest.

Energetischer Wandel

Mit Stadtentwicklung im Zeichen der "fossilenergetischen Transformation” setzte sich Dr. Thomas Götz von der Uni Regensburg auseinander. Er machte deutlich, dass sich mit der Verfügbarkeit sämtlicher Baumaterialien und dem Energieüberfluss eine neue "Um-Welt" entwickelte: "Die Baumarkteingangstür zur Toskana-Villa steht für die neue Freiheit, die in Ortlosigkeit und Verkennbarkeit mündet!” Im Rothenburger Weg sieht Dr. Götz den "Widerstand gegen die Gewalt der Moderne". Der Wiederaufbau sei deshalb so einzigartig, "weil er sich die Essenz jener Erinnerung an eine untergegangene Kulturlandschaft zitierend anverwandelte und dadurch die Brücke in die Zukunft geschlagen hat, an der weiterzubauen es sich möglicherweise tatsächlich noch lohnt.”

Die moderne Stadt des 21. Jahrhunderts hatte Dr. Philipp Maaß, Cuxhaven, im Fokus. Der Wiederaufbau provozierte die Frage, was eigentlich moderne Architektur ist, Fragen nach Stil, Funktionalität und Langlebigkeit. Der Wiederaufbau in Rothenburg sei volks- wie privatwirtschaftlich erfolgreich sowie als nachhaltig zu sehen: "Gehen sie diesen Weg weiter!” ermuntert er die Rothenburger. Maaß hält die Stadt "gut gerüstet für die Stürme der Zeit”.

Prof. Dr. Mönninger, Braunschweig, widmete sich der Ökonomie des Pittoresken und ging auf die verborgene Modernität eines Camillo Sitte (Wiener Stadtplaner 1843 - 1903) in der Stadtästhetik ein. Der Rothenburger Weg lasse sich nicht auf "Vergangenheits-Vergoldung in Gefühlsvitrinen reduzieren”. Man solle nicht allein über das Malerische und Pittoreske sprechen, sondern mehr "über die zugrundliegende Leistungsform der Bodenordnung.” Das biete auch in Rothenburg die Chance "aus den heutigen Konsumenten wieder Produzenten von Stadt zu machen.”

Vom Gefühlswert in Architektur und Denkmalpflege sprachen Dr. Ing. Nils Schinker und Eva Battis-Schinker aus Dresden. Ausgehend vom malerischen Städtebau des frühen 20. Jahrhunderts zeichnete der Beitrag Kontinuietäten über den Bruch der klassischen Moderne und die Zäsur des ZweitenWeltkriegs hinaus nach. Karl-Heinz Enderle stellte die Rekonstruktion des Nürnberger Pellerhauses vor und schilderte die mühsame Arbeit der Altstadtfreunde.

Was bedeutet Authentizität

Hinterfragt wurde in der von Dr. Karin Dengler-Schreiber (Bamberg) moderierten Podiumsdiskussion, ob es eine Modernität in der Bewahrung der Vergangenheit gibt. Auch der Generalkonservator des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege, Dr. Matthias Pfeil, saß am Tisch, ferner Prof-Ing. Winfried Nerdinger (München), Prof. Dr. Wolfgang Brönner aus Mainz und Prof. Dr. Adrian von Buttlar, der aus Berlin zugeschaltet wurde. Wie Authentizität zu verstehen ist und was Partizipation der Bewohner heißt, waren ebenso Stichpunkte wie die die nötige Sozialstruktur einer Altstadt, die ihre diversen Funktionen erhalten muß, um nicht zum Museum zu werden.

Prof. von Buttlar sieht im Rothenburger Wiederaufbau die "originale Bausubstanz, handwerklich authentische Wiederherstellungen und den Gebrauchswert moderner Wohnlichkeit in Form einer sich einpassenden kritischen Rekonstruktion zerstörter Altstadtpartien" verbunden.

Der frühere Stadtheimatpfleger Dr. Konrad Bedal kam in seinem Schlußbeitrag zu dem Resümee, dass Rothenburg "ein außergewöhnliches, einzigartiges Beispiel europäischer vom Mittelalter und der frühen Neuzeit geprägter Stadtbaukunst” ist. Man frage sich, warum Rothenburg nicht längst zum Weltkulturerbe gehört, doch das sei auch eine politische Entscheidung. Aber vielleicht, so Bedal, brauche man die bürokratische Auszeichnung ja gar nicht, weil die Stadt eh schon weltweit anerkannt sei. Mit ihrer baulichen Substanz und landschaftlicher Einbettung gelte sie als "eine absolute Ausnahmeerscheinung unter den historischen europäischen Stadtbildern".

Dr. Jörg Christöphler (für Tourismus, Kunst und Kultur zuständig) sieht in der erfolgreichen Tagung und dem Medieninteresse einen weiteren Mosaikstein, der das laufende Pittoresk-Programm "Rothenburg als Landschaftsgarten" ideal ergänzt. Im Gegensatz zum gescheiterten Versuch von 2004 zeige man sich diesmal deutlich besser bei der Bewerbung zur Aufnahme in die Weltkulturerbeliste präpariert.

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