32 Jahre provokante Kunst: Die "Spirale" sagt Lebewohl

28.1.2021, 06:02 Uhr
32 Jahre provokante Kunst: Die

© Kunstverein Spirale

Es war zweifelsfrei kein Verein, den man uneingeschränkt lieben musste. Etwa wie der heimische Fußballverein, der einem eigentlich kaum die Wahl lässt, ob man ihn mag oder nicht. Denn Kunst ist nicht jedermanns Sache. Der Kunstverein "Spirale" war jahrelang geschätzt, ist aber mit vielen Ausstellungen und Performances, die ihrer Zeit voraus waren, auch angeeckt.

Ein Verein, der aneckte

Wenn etwa der Weißenburger Musiker Franz Schillinger seine experimentelle elektronische Musik in die Altmühlstadt brachte, schimpften die Leute auch mal. Die sehr avantgardistischen Kunstformen wurden teilweise nicht verstanden oder angenommen. Aber das ist den ehemaligen Vorsitzenden der "Spirale", Renate Gehrcke und Susanne Gebhardt, vollkommen recht gewesen.

32 Jahre provokante Kunst: Die

© Kunstverein Spirale

"Wir wollten ja ein Stück weit brüskieren", betont die ehemalige Vereinschefin Gehrcke. Neue Kunst, die man noch nicht kennt und daher nicht sofort einzuordnen weiß, tendiere eben auch dazu, auf Missfallen zu stoßen. Dass es einer Menge Menschen gefallen hat, was die Künstler so machten, und der Verein nach und nach zu einer Institution in Treuchtlingen und Umgebung wurde, hat die Mitglieder aber natürlich auch gefreut.

In den 80ern war "nichts los"

1988 hat Renate Gehrcke gemeinsam mit ihrem Ehemann und ein paar weiteren Freunden den Kunstverein aus der Taufe gehoben. "Wir sind damals aus München hierher gezogen. Und da sah ich, dass hier – milde ausgedrückt – nicht so viel los war", erinnert sie sich. Mit der Vereinsgründung hat sie insofern die hiesige Kunstszene nachhaltig belebt – ein wichtiges Mittel, um auch selbst ihren Lebensunterhalt als Künstlerin zu bestreiten.

Renate Gehrcke war und ist fortan untrennbar mit der Geschichte des Vereins verbunden. Dabei hat sie im Laufe der Jahre ihre eigene künstlerische Arbeit mehr und mehr von den Projekten des Vereins getrennt. "Ich konnte ja schlecht einen Kunstpreis ausloben und mich dann selbst darauf bewerben", erzählt sie und lacht. Durch ihre zahlreichen Kontakte in die deutsche Kunst- und Kulturlandschaft gelang es ihr, namhafte Künstler ins beschauliche Treuchtlingen zu bringen.

Ein Fenster in die Welt

Die "Spirale" hatte es sich von Anfang an auf die Fahne geschrieben, neuartige Kunst zu fördern. Es ging ihr nicht darum, die eigenen Künstler mit Ausstellungen möglichst gut in Szene zu setzen – vielmehr sollten die Ausstellungen ein Weg sein, damit ganz Altmühlfranken über den eigenen künstlerischen Tellerrand hinausschauen kann.


Ein Notar erklärt: Diese Pflichten haben Vereine trotz Corona


Auf eine feste finanzielle Unterstützung konnte der Verein indessen nicht setzen. Er war von Anfang an auf Spenden und Sponsoren angewiesen. Knapp bei Kasse sei man aber nie gewesen, erklärt Gehrcke – ein Umstand, der vor allem der großen Arbeitsbereitschaft sämtlicher Mitglieder anzurechnen sei, sowie der Bereitschaft, so gut wie alles in der Freizeit selbst zu organisieren.

Seinen Zweck bereits erfüllt?

Allein einen Katalog für eine Ausstellung zu erstellen – von der Gestaltung, über die Fotos, die Gewinnung von Anzeigenkunden und den Druck – habe immens viel Zeit gekostet, erklärt Susanne Gebhardt, Gehrckes ehemalige Stellvertreterin. Und damit war die Ausstellung, also der Anlass für den Katalog, noch nicht einmal geschaffen. "Im Prinzip konnte man sich Urlaub nehmen und dann Vollzeit an einer Ausstellung arbeiten", erinnert sie sich.

Um dem großen Aufwand beizukommen, organisierte sich die "Spirale" stets in diversen Arbeitsgruppen. Rund um Michael Gehrke entspann sich beispielsweise das "Team Technik", das für die Installationen in den Ausstellungsräumen verantwortlich war. Das "Team Verpflegung" kümmerte sich wiederum um die Betreuung der auswärtigen Künstler.


Runder Tisch: Wie geht es weiter mit Treuchtlingens Vereinen?


"Es war eigentlich ein Hammer, was wir da alles geleistet haben", sinniert Gebhardt. Es liegt Wehmut, aber auch Freude in ihrer Stimme, als sie den folgenden, tröstlichen Gedanken äußert: "Vielleicht hat der Verein seinen Zweck schlichtweg erfüllt." Vielleicht habe die moderne Kunst in Treuchtlingen in der heutigen Zeit tatsächlich ihren Platz und ihre Daseinsberechtigung gefunden.

Eine ihrer liebsten Erinnerungen ist eine Ausstellung im Kulturzentrum Forsthaus. Dort stellte der Verein ein riesiges Wikinigerschiff aus, das komplett aus Papier gefertigt war. Es erstreckte sich von Raum zu Raum und war allein beim Aufbau eine immense Arbeit – die sich aber beim Anblick des gigantischen Objekts ausgezahlt habe.

Unvergessen sind für die beiden Vorsitzenden die großen Events, aber auch die kleineren, ebenfalls bedeutenden. Mehrmals organisierte der Verein die Kunst- und Skulpturentage im Treuchtlinger Kurpark und wählte besondere Orte oder Themen für seine Ausstellungen. Im Forsthaus fanden spektakuläre Werkschauen zu "Papier" und "KunstStoff" statt, auf dem Gelände der ehemaligen Pappenheimer Lungenheilanstalt die Ausstellung "FreiLuft". Stets zeigten die Mitglieder auch den Jüngsten mit speziellen Kinderführungen die Kunst und leisteten so pädagogische Arbeit.

Fünf Jahre versucht, den Vorsitz abzugeben

Aber auch den Erwachsenen wollten die Künstler den Zugang zur Kunst erleichtern: Bei den "Jahresgaben"-Ausstellungen konnte man alljährlich Kunstwerke für unter 400 Euro kaufen. Und vor über 20 Jahren gründete die "Spirale" dann die "Artothek" in der Treuchtlinger Stadtbibliothek – einen Ort, an dem sich Liebhaber Kunstwerke fürs Eigenheim für ein paar Jahre und wenige Euros ausleihen konnten.

32 Jahre provokante Kunst: Die

© Kunstverein Spirale

All diese Aktivitäten erzielten eine große Wirkung, forderten aber auch sehr viel Ressourcen und Zeit. Vor rund fünf Jahren äußerte Renate Gehrcke dann erstmals den Wunsch, vom Vorsitz zurückzutreten. Eine Problematik, die sich für den Verein schließlich als existenzielle Bedrohung herausstellte, denn: "Wir brauchten nicht nur einen Ersatz, sondern eine neue Renate Gehrcke", formuliert Susanne Gebhardt.

Gesucht war demnach jemand, der ähnlich gute Kontakte in die Kunstszene hat und den Vorsitz aufgrund seines Alters längerfristig übernehmen könnte – doch so jemand fand sich nicht. Wie so vielen anderen Vereinen in der heutigen Zeit, fehlten der "Spirale" zuletzt die jüngeren Mitglieder, die das Vereinsbestehen langfristig hätten sichern können.

Es scheiterte am Nachwuchs

Susanne Gebhardt war zuletzt mit Anfang 50 mit Abstand das jüngste Mitglied des Vereins. Alle anderen sind heute 70 Jahre alt und älter. Zuwachs gab es zwar immer wieder, doch die Unterstützung war meist projektbezogen. Nach einigen Jahren wandten sich die Jüngeren oft doch wieder der Arbeit oder der Familie und Freizeit zu. Vor rund einem Jahr beschlossen die Vereinsmitglieder, die teils seit der Gründung, alle aber seit vielen, vielen Jahren dabei waren, schließlich in gemeinsamer Runde, es gut sein zu lassen.


2013 feierte der Kunstverein „Spirale“ einen Jubiläumsball


Der Kunstverein "Spirale" trat im Februar 2020, kurz vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie, ein letztes Mal zusammen, um in Erinnerungen zu schwelgen und die Auflösung zu beschließen. Bei diesem Treffen in der Wallmüllerstuben schlossen die Mitglieder gemeinsam ihren Frieden mit der Entscheidung und dankten einander für die jahrelange geteilte Liebe zur gewagten Kunst. Ende 2020 wurde die Auflösung dann, als das wieder möglich war, notariell vollzogen.

Keine Kommentare