Altmühlfranken hofft auf „Universitätsflüchtlinge“

20.10.2018, 06:25 Uhr
Altmühlfranken hofft auf „Universitätsflüchtlinge“

© Armin Weigel/dpa

„Universitätsflüchtling“ klingt fast ein wenig abwertend. Doch für Peter Löw ist der Begriff kein Problem. Er bezeichnet sich selbst so. Einst als wissenschaftlicher Angestellter jahrelang an der Universitätsklinik in Erlangen tätig, verschlug es ihn und seine Frau – nicht ganz freiwillig zwar – aufs Land, genauer gesagt nach Treuchtlingen. Von der Hochschule zum Landarzt sozusagen.  Im April 2007 übernahmen seine Frau und er eine Hausarztpraxis.

Das ist immer noch ein eher ungewöhnlicher Weg, denn auf dem Land mangelt es nach wie vor an Ärzten. Jede dritte der über 2000 Kommunen Bayerns muss voraussichtlich in den nächsten zehn bis zwölf Jahren bei deutlich weniger Ärzten eine neue, effizientere Struktur der hausärztlichen Versorgung entwickeln. In Altmühlfranken ist nun ein wichtiger Schritt dorthin gelungen.

Wie einst bei Peter Löw, lautet das Motto des Konzepts: „Von der Hochschule aufs Land.“ Die Kreiskrankenhäuser in Gunzenhausen und Weißenburg werden Lehrkrankenhäuser der Universität Erlangen. Und Praxen von Allgmeinmedizinern, wie beispielsweise die von Peter Löw in Treuchtlingen, werden Teil des Ausbildungsprogramms und profitieren davon.

„Wir freuen uns, mit unserem Praxis-Neubau und den dann zur Verfügung stehenden Räumen einen konstruktiven Beitrag zur Umsetzung des BeLa-Projekts in Treuchtlingen leis­ten zu können“, sagt Löw. In der Altmühlstadt sind von den niedergelassenen Ärzten auch noch die Praxen Dr. Manfred Kress und Dr. Bernhard Löwer beteiligt. Darüber hinaus gibt es weitere Lehrpraxen im Landkreis.

Noch im Studium, aber schon auf dem Land tätig: So lässt sich das vom bayerirschen Staat mit 2,3 Millionen Euro geförderte Konzept „Beste Landpartie Allgemeinmedizin“, kurz BeLA, in einen Satz fassen. Seit diesem Sommer läuft es in Südbayern, jetzt startet es in Modellregionen im Norden. „Wir wollten unbedingt eine Ausbildungsregion werden und sind froh über dieses Projekt“, sagt Hausarzt Peter Löw.

Vor Ort eingebunden

Das Ziel ist klar: Junge Menschen sollen schon während ihres Studiums mit der Region vertraut gemacht werden. Die Studenten sollen außerdem in soziale Projekte integriert werden und sich vor Ort engagieren, beispielsweise bei der ortsansässigen Feuerwehr oder dem Technischen Hilfswerk. „Sie sollen dadurch besser mit der Bevölkerung vernetzt werden“, sagt Löw.

Jeder Student wird mit 600 Euro im Monat gefördert, die Verpflegung und die Unterkunft vor Ort werden ebenfalls bezahlt. Im Gegenzug verpflichten sich die angehenden Mediziner, nach Abschluss des Studiums ihre Facharztweiterbildung für Allgemeinmedizin im Weiterbildungsverbund der Region zu absolvieren, in der die studentische Ausbildung erfolgt ist.

Altmühlfranken hofft auf „Universitätsflüchtlinge“

© TK-Archiv/Viola Bernlocher

Im Rahmen ihres Praktischen Jahrs (PJ) durchlaufen die Studenten außerdem ein dreimonatiges Blockpraktikum in einer Landarztpraxis. Noch für diesen Herbst rechnet Löw mit den ersten PJ-Studenten in seiner Praxis. Insgesamt gehe er davon aus, dass bis zu zehn Studenten gleichzeitig auf die Lehrpraxen und Krankenhäuser in der Region verteilt werden können.

„Die Studenten bekommen Coaches, wir helfen ihnen bei der Berufsausbildung, auch bei Prüfungsfragen. Wir coachen sie sozusagen zum Landarzt“, sagt Löw, der sich seit Jahren für bessere Bedingungen für Ärzte auf dem Land einsetzt – auch wegen seiner eigenen Erfahrungen. Denn zu Beginn seiner Zeit in Treuchtlingen sei es mitunter ganz schön hart gewesen.

„Ich wusste, dass mit dieser Belas­tung niemals ein junger Arzt hierher kommen würde“, erklärt er. Die sogenannte „Generation Y“, also die Generation, die im Zeitraum zwischen 1980 und 2000 geboren wurde, wolle eher flexible Arbeitszeiten, nicht alleinverantwortlich und möglichst im Team arbeiten. Gerade die Work-Life-Balance nehme bei jungen, angehenden Ärzten einen immer höheren Stellenwert ein.

Ein wichtiger Schritt hin zu besseren Arbeitsbedingungen war schon die Reform der Bereitschaftspraxen durch die Einrichtung einer zentralen Notfalldienstpraxis. Bei einem Treffen des Gesundheitsausschusses des Bayerischen Landkreistags, das ihm der Landrat vermittelt hatte, stellte Löw das Projekt dem Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung vor.

Im Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen startete im März vergangenen Jahres die erste zentrale Bereitschaftspraxis. Bei aller Kritik, die es an diesem Modell auch gibt: „Meine Treuchtlinger Kollegen und ich müssen nur noch ein Bruchteil der ursprünglichen Arbeit tun“, berichtet Löw. Zu Beginn siner Zeit habe er bis zu 380 Stunden im Jahr gearbeitet.

Poolärzte sorgen für Entlastung

Mittlerweile gibt es auch sogenannte Poolärzte, also Ärzte, die Wochenendschichten übernehmen und dann eigenverantwortlich Patienten betreuen. Für Landärzte wie Löw ist das ein echter Gewinn. „Das System funktioniert perfekt. Seit letztem Jahr ist es deutlich entspannter geworden“, sagt er.

Kann der Nachwuchs so gelockt werden? Löw versucht jedenfalls nicht erst seit dem BeLA-Projekt, junge Ärzte für die Region zu gewinnen. Seit drei Jahren bietet er gemeinsam mit Kollegen und der „Gesundheitsregion Plus“ auf dem Campus der Treuchtlinger Hochschule die „Medizinische Ferienakademie Altmühlfranken“ an.

Altmühlfranken hofft auf „Universitätsflüchtlinge“

© Gesundheitsregion Plus Altmühlfranken

Jedes Jahr im Sommer kommen darüber zu Beginn des Semesters zehn bis zwölf angehende Ärzte in die Stadt, die an Workshops und Freizeitaktivitäten teilnehmen. Aus den vergangenen Ferienakademien sind bereits mehrere Klinikstudenten, Famulanten, Praktikanten und Weiterbildungsassistenten in der Region hervorgegangen.

Durch das Modell der Ausbildungsregion haben die Studenten nun noch einmal länger Zeit, sich mit dem ländlichen Raum in Altmühlfranken vertraut zu machen. „Und wenn sie sehen, das es hier Poolärzte gibt und die Arbeitsbelas­tung gar nicht so groß ist, lassen sie sich vielleicht auch später einmal hier nieder“, hofft Löw.

Doch das mit dem Sesshaftwerden ist – zumindest aktuell – noch ein Problem. Denn die Stadt Treuchtlingen ist in Sachen Allgemeinärzte derzeit mit einer Abdeckung von 126 Prozent übervorsorgt. Doch die derzeitige Bedarfsregelung hat Schwächen: „Wir haben sehr viele Altenheime und müssen auch überregional versorgen“, sagt Löw. Als Mitglied im bayerischen Hausärzteverband habe er deshalb angeregt, bei der nächsten Festlegung auch Faktoren wie Versorgungsart, Versorgungsdichte, Mortalität und Seniorenheime mit zu berücksichtigen. „Die Bedarfsregelung muss gekippt werden. Denn bei der derzeitigen Überversorgung könnte ich noch gar keinen jungen Kollegen unbefristet anstellen“, erklärt Löw.

Es gibt also noch einiges zu tun. Zunächst ist das Modell der Ausbildungsregion auch zeitlich nur befristet und erfolgsabhängig. Aber vielleicht bleibt am Ende tatsächlich der ein oder andere „Universitätsflüchtling“ im Altmühltal hängen.

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