Arbeitnehmerempfang der Stadt Treuchtlingen

7.5.2015, 05:58 Uhr
Arbeitnehmerempfang der Stadt Treuchtlingen

© Sieghard Hedwig

Das Stadtoberhaupt knüpfte nochmals an den 1. Mai vor wenigen Tagen an und unterstrich, dass es der Wirtschaft nur gut gehen könne, wenn es auch den Arbeitnehmern gut gehe, welche diese Wirtschaft schließlich erst mit Leben erfüllten. „Zufriedene, gesunde und motivierte Mitarbeiter sind das wichtigste Kapital eines Unternehmens“, so sein Kredo. Auch könne der soziale Frieden nur gewährleistet werden, wenn soziale Gerechtigkeit und Solidarität nicht zur Disposition stünden.


Am Beispiel des Online-Händlers Amazon brachte Baum seine Kritik an den Arbeitsbedingungen, fehlenden Tarifverträgen, dem Leistungsdruck und den zumeist nur befristeten Arbeitsverträgen zum Ausdruck. In manchen Niederlassungen hätten über 80 Prozent der Arbeitnehmer befristete Verträge. Die Menschen hätten dadurch keinerlei finanzielle Planungssicherheit für die Zukunft – ob mit Blick auf größere Anschaffungen oder ob auf eigene Kinder.


Prekäre Jobs auf dem Vormarsch


Auch im hiesigen Landkreis verdränge die prekäre Beschäftigung zunehmend die Normalarbeitsverhältnisse. Nach einer Analyse des DGB-Kreisverbandes gebe es im Landkreis seit 2003 einen Anstieg der Gesamtbeschäftigung von 33.171 auf über 38.000 Beschäftigte im Jahr 2013. Doch zeige eine genauere Betrachtung, dass diese Entwicklung nur dem starken Anwachsen atypischer Beschäftigungsverhältnisse geschuldet sei, während die Zahl der Vollzeitarbeitsplätze im selben Zeitraum sogar um fünf Prozent bzw. 1182 Stellen abgenommen habe.


Ein positiveres Bild ergebe ein Blick auf den Anteil der Beschäftigten in Leiharbeitsbetrieben. Die Zahl der Leiharbeitsverhältnisse sank nach Baums Worten im Landkreis von 837 im Jahr 2008 auf 699 im Jahr 2014 bzw. von 3,1 Prozent auf 2,2 Prozent. Stelle man die Zahlen von 2008 und 2014 im gesamten Agenturbezirk Ansbach-Weißenburg gegenüber, sei der Trend nach unten ebenfalls erkennbar. Die Arbeitnehmer-Überlassungsquote lag demnach im Jahr 2008 noch bei 3,2 Prozent. Bis zum September 2014 sei sie auf 2,5 Prozent gesunken.


Der Rückgang sei den Gewerkschaften zu verdanken, welche die Leiharbeit durch Zuschläge, Übernahmeregelungen und mehr Mitbestimmung der Betriebsräte teurer gemacht hätten. Dies unterstreiche die Bedeutung der Arbeit der Gewerkschaften und der Arbeitnehmervertretungen.


Die Arbeitswelt steht Baum zufolge durch die Digitalisierung, die demographische Entwicklung und die Globalisierung in einem gigantischen Umbauprozess, was für Politik, Wirtschaft, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände eine gewaltige Herausforderung darstelle.


Harsche Kritik übte der Rathaus-Chef an den sogenannten Freihandelsabkommen TiSA, CETA und TTIP. Das Transatlantische Handels- und Inves­titionsabkommen TTIP solle angeblich durch Abbau von Handelshemmnissen den Waren- und Dienstleistungsverkehr zwischen der EU und den USA erleichtern. Dies klinge zunächst zwar positiv, aber Handelshemmnisse können nach den Worten Baums auch Umwelt-, Verbraucherschutz- und Sozialstandards, Arbeitnehmerrechte, Lebensmittelstandards, Kennzeichnungspflichten, Regelungen im Agrarbereich, Regeln des Finanzmarktes oder Restriktionen im Bereich der Energieversorgung wie das Frackingverbot sein. Betroffen seien darüber hinaus auch wichtige Güter im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge wie Wasserversorgung, Verkehr und Bildung.


Privatisierung ist gefährlich


Ziel des Abbaus der Handelshemmnisse sei in Wahrheit eine umfassende Deregulierung, Liberalisierung und Privatisierung. Das Beispiel Großbritannien zeige, dass dies fast immer zu Verschlechterungen für die Bevölkerung geführt habe. Mehr als 3,4 Milliarden Liter Wasser seien im Jahr 2013 pro Tag durch Lecks im englischen Leitungsnetz verlorengegangen – beinahe 25 Prozent der täglichen Gesamtwassermenge. Private Betreiber suchten eben einzig den Profit und vernachlässigten am Ende sträflich die Substanz.


Auch die genannten Freihandelsabkommen seien nicht im Interesse der Bürger, sondern einzig im Interesse von Weltkonzernen. Die Vertragswerke stellten einen Angriff auf den Sozialstaat und die demokratische Grundordnung dar – mit Auswirkungen bis hinunter auf die kommunale Ebene. In diesem Zusammenhang begrüßte Baum die gemeinsame Resolution des Landkreises Weißenburg-Gunzenhausen gegen die Freihandelsabkommen, die von allen 27 Bürgermeistern im Kreis unterzeichnet worden sei. Er bedauerte gleichzeitig, dass ein entsprechender Antrag im Treuchtlinger Stadtrat, nämlich die Staatsregierung sowie sämtliche politischen Vertreter auf Landes- und Bundesebene aufzufordern, sich in Berlin und Brüssel für einen sofortigen Abbruch der Verhandlungen über die Abkommen TTIP, CETA und TiSA einzusetzen, keine Mehrheit gefunden hatte.


Gastredner Hans Sterr ist nach eigenem Bekunden nicht grundsätzlich gegen Freihandelsabkommen: „Sie müssen aber demokratisch sein und vor allem zum Nutzen aller und nicht nur einiger weniger.“ Allein schon der bisherige Werdegang, die Geheimniskrämerei und die Verhandlungen hinter verschlossenen Türen zeigten, „dass hier etwas nicht in Ordnung ist“. Und: „Ohne die Enthüllungen von Wikileaks wüssten wir heute noch nichts davon.“ Die Mängel zeigten sich erst in Details des angestrebten Vertragswerkes, „und wir wissen am Ende nicht, was da unterschrieben wird“.


Jetzt stünden alle Zeichen auf Liberalisierung und Privatisierung, was jedoch eine Gefahr für das Gemeinwesen darstelle und am Ende lediglich den Unternehmen Nutzen bringe. Er sei dem im Zusammenhang mit TTIP immer wieder ins Feld geführten „Chlorhühnchen“ dankbar, weil an diesem Beispiel der ganze Unfug mit diesen Abkommen nachvollziehbar sei, nämlich „wenn ein Händel durchs Freibad gezogen wird“.


„Rechtsfreie Räume“


Besonders kritisierte der Gewerkschafter mit Blick auf TTIP die übernationalen, mit Unternehmensanwälten besetzten Schiedsgerichte, die Regierungen auf entgangene Profite in Milliardenhöhe verklagen könnten, wie zum Beispiel derzeit schon der schwedische Energieriese Vattenfall, der durch den Ausstieg der deutschen Bundesregierung aus der Atomenergie seine Gewinne dahinschmelzen sieht. „Das sind rechtsfreie Räume. Damit werden demokratisch gewählte Regierungen schlicht entmachtet. Die Politik will die Menschen wohl für blöd verkaufen“, echauffierte sich der Redner.


Welche Züge diese Abkommen später noch annehmen könnten, zeigte Sterr am Beispiel der sogenannten „regulatorischen Kooperation“ und des „regulatorischen Mandats“. Hintergrund ist nach den Worten des Funktionärs, dass das Vertragswerk durch ein Gremium aus Juristen schrittweise weiterentwickelt, Änderungen vorher jedoch den Konzernen vorgelegt werden sollen. Aus dem Vertragswerk gebe es außerdem grundsätzlich kein Zurück mehr. Auch einmal vorgenommene Privatisierungen seien nicht mehr umkehrbar.


Der Referent sieht hinter den Freihandelsabkommen den Wunsch der westlichen Welt, sich vor dem Hintergrund des aufstrebenden asiatischen Raumes ihre hegemonialen Strukturen zu sichern. „Wir müssen für mehr Gerechtigkeit sorgen. Da gehen solche Freihandelsabkommen wie TTIP, TiSA und CETA gar nicht. Also – ab in die Tonne damit!“

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