Auernheimer Rechtler: Unbequeme Hüter der Tradition

1.10.2018, 06:05 Uhr
Auernheimer Rechtler: Unbequeme Hüter der Tradition

© Beringer/Limes Luftbild

Im sechsten Jahrhundert bauten die Franken die Auernheimer Höhe als Stützpunkt zur Beherrschung des umliegenden Raums aus. Die Anfänge des Dorfs reichen bis in diese frühfränkische Zeit zurück. Um den Kirchberg entstanden Höfe von königsfreien Wehrbauern, eine Art Besatzungstruppe, die im Auftrag des Königs Vorspanndienste an strategisch wichtigen Straßen zu leisten hatte und durch Streifzüge die Sicherheit überwachte. Die Wehrbauern waren eine Art Genossenschaft, saßen auf königlichem Grund und waren nur dem König zu Zinszahlung und Arbeitsleistung verpflichtet.

Auf diese Zeit geht wohl auch das Holzrecht zurück, über das die Auernheimer heute noch verfügen. Wegen des starke Bevölkerungswachstums wurden gegen Ende des Mittelalters die gemeinschaftlich genutzten Äcker, Wiesen und Wälder, die sogenannte Allmende, knapp. Deshalb wurde die Nutzung durch Gemeindeordnungen genau geregelt. Nutzungsrechte hatten nur im Ort Geborene, die über ein Haus und eine Hofstätte mit Grund und Boden verfügten. Verbunden mit den Rechten waren aber auch Pflichten gegenüber der Markgenossenschaft.

Im Lauf der Jahrhunderte gingen die gemeinsamen Rechte an Äckern und Wiesen verloren. Nur das Holzrecht blieb sowohl in Auernheim als auch in weiteren Teilen Frankens erhalten. Es umfasst viele Regelungen, die von Gemeinde zu Gemeinde variieren. Im Zuge der Gemeindereform gaben allerdings zahlreiche Ortschaften und einzelne Inhaber ihre Rechte ab. Trotzdem gibt es sie immer noch, die „Rechtler“, die festhalten an ihrem Anspruch auf das frühere Gemeindevermögen. So auch in Auernheim.

Die Böden in dem Hahnenkammdorf sind steinig und schwer zu bearbeiten, die Erträge waren früher eher gering. Anders der Wald: Er hat im Bewusstsein der Bewohner auch heute noch einen hohen Stellenwert. Auernheim ist umgeben von ausgedehnten Wäldern, die schon immer für einen gewissen Wohlstand sorgten. Der Gemeindewald und die damit verbundenen Holzrechte sind folglich ein sensibles Thema – wie auch in anderen Gemeinden gab es deshalb immer wieder Auseinandersetzungen.

So fochten in Auernheim 69 Rechtler von 1957 bis 1966 einen Streit mit der damals noch eigenständigen Gemeinde aus. Dabei ging es vor allem darum, was unter „Brennholz“ zu verstehen sei und wieviel Holz den Rechtlern zustand. Sogar der bayerische Verwaltungsgerichtshof in München wurde bemüht. Am Ende stand fest, dass ein Recht drei Klafter, also etwa neuneinhalb Kubikmeter Brennholz umfasst, und nicht ausschließlich das minderwertige Faulholz.

Komplexe Aufteilung

Insgesamt verfügten die Auernheimer damals über rund 158 Hektar Gemeindewald, verteilt auf drei Flurnummern und belastet mit 40 Nutzungsrechten. Diese teilten sich rund 80 Rechtler – die Zahlen, wer ein ganzes, ein halbes oder ein viertel Recht hatte, variierten jedoch. Unter dem Strich gab es zwölf ganze, 44 halbe und 24 viertel Nutzungsrechte. Dazu hatte die Gemeinde noch ein ganzes Nutzungsrecht für die Schule.

Neben den drei Klaftern Brennholz gab es für die Inhaber der Waldrechte zudem Wellholz sowie Bauholz für Gebäude und Reparaturen. Wer kein ganzes Recht hatte, erhielt entsprechend weniger. Aufgeteilt wurde der Bezug in „gemessenes Recht“ für Brennholz – hier gab es konkrete Regelungen – und „unbemessenes Recht“ für Bauholz. Allerdings wurde dafür im 19. Jahrhundert ebenfalls ein Beschluss über die Menge gefasst.

In der Gemeindeordnung von 1668 heißt es dazu: „Wenn einer in der Gemeinde Haus, Stadel oder was ist, bauen will, so sollen ihm einundzwanzig Fichtenhölzer groß und klein, je acht um eine fl (Gulden) und vier Weichen je einem um fünf Batzen und nicht mehr aus der Gemeinde geben werden; doch soll hierin kein Überfluß gebraucht und nachdem der Baus ist, nachdem sollen ihm auch die Hölzer geben werden.“ Festgehalten wurden die Bezugsrechte im Forstrechtskatas­ter, der seit dem 14. Juni 1862 im Dorf geführt wird.

Holz ist nicht gleich Holz

Im Kataster sind die einzelnen Hofstätten genau erfasst, die Gebäude mit ihren Maßen, die Bauweise und welche Art und Mengen von Hölzern abgegeben wurden. So gab es zum Beispiel für Wohnhäuser die Türgerüs­te und Fens­terstöcke aus Eichenholz, ebenso wie den Schweinebarren. Für die Dachrinnen bekamen die Berechtigten Fichtenholz, das auch für das Dach des Backofens verwendet wurde.

Die für die Bauten notwendigen Gerüststangen wurden kostenlos vergeben. Bauholz konnten die Rechtler nur alle 50 Jahre einmal beziehen. Dabei wurden auch Veränderungen in der Bauweise berücksichtigt: Wer heute eine Betondecke im Haus hat, hat keinen Anspruch mehr auf Holz für eine Balkendecke. Wurde ein Gebäude abgerissen und nicht wieder an gleicher Stelle aufgebaut, erlosch das Recht, oder der Eigentümer musste bei der Gemeinde die Übertragung auf das neue Gebäude beantragen.

Die Waldrechtler haben aber nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Dazu gehörten früher das „Verpflanzen“, die Pflege der Neuanpflanzungen und das Hauen des Holzes. Eingeteilt in „Rotten“ mit einem „Rottführer“ ging es zur Waldarbeit. Pflanzen und die Pflege der Kulturen übernahmen meist Frauen und Kinder, während die Männer fürs Schlagen der Bäume zuständig waren. Obwohl die Arbeitseinsätze eine gute Gelegenheit waren, um sich zu treffen und Neuigkeiten auszutauschen, wurde auch darauf geachtet, dass man „anteilmäßig“ zu den Arbeiten ging.

Streit um die Abrechnung

„Bei der Ausübung der Nutzungsrechte sind gegensätzliche Auffassungen zwischen der Gemeinde und den Rechtlern auf Grund der gegensätzlichen Interessenlage vorprogrammiert“, heißt es in einem Aktenvermerk der Stadt Treuchtlingen, in der es wieder einmal um die Interessen der Rechtler ging. 1986 ergab sich bei der Abrechnung des Holzrechts ein Defizit in Höhe von rund 6550 D-Mark. Dies sorgte für Unruhe im Dorf und wurde mit der Stadtverwaltung bei einer Versammlung eigens erörtert.

Damals ging es auch wieder um die Ablösung der Nutzungsrechte – ein Thema, das die Auernheimer seit der Eingemeindung umtreibt. Ende 1973, vor Inkrafttreten der neuen Gemeindeordnung, beriefen Landratsamt und Forstamt vor Ort eine Aufklärungsversammlung ein. Damals wurde den Rechtlern die Ablösung ihrer Nutzungsrechte nach der sogenannten „Faustregel“ angeboten. Demnach hätten sie etwa 40 Prozent des Gemeindewalds erhalten. Dieses Angebot lehnten die Rechtler damals als unzureichend ab. Trotzdem wurde es 1978 bei der Stadt beantragt.

Rechtler bleiben selbstbewusst

Im Protokoll einer Sitzung von 1987 heißt es: „Nach umfangreichen Erhebungen hat das Landratsamt unter Mithilfe des Staatlichen Forstamtes den vorläufigen Teilungsschlüssel mit circa zehn Prozent angegeben.“ Zwar versuchte die Stadt, den Schlüssel auf 20 Prozent anzuheben, das Landrats­amt blieb aber bei dem Angebot – das die Rechtler folglich erneut ablehnten.

In der folgenden Versammlung im selben Jahr vertrat das Landratsamt weiterhin die Ansicht, dass nicht mehr als zehn Prozent Ablöse möglich seien. Die Rechtler wollten auf keinen Fall unter 30 Prozent ablösen. Einig wurde man sich indes über die künftige Waldbewirtschaftung. Das Einschneiden des Rechtholzes sollten weiterhin zwei bezahlte Arbeitskräfte erledigen. Den Bau der Zäune sollten städtische Arbeiter gegen Entgelt übernehmen. Über das Ausgrasen der Kulturen sollte der Rechtlerausschuss entscheiden, und Kräfte für künftige Arbeiten sollen die Rottführer bestellen.

Im Laufe der Jahre wurde die Gemeinschaft der Waldrechtler in Auernheim immer kleiner. Viele Dorfbewohner lösten ihre alten Nutzungsrechte ab. Wenn es aber um Entscheidungen zum Gemeindewald geht, können die Wellen vor Ort immer noch hoch schlagen. So erst jüngst, als die Stadt Gemeindewald gegen ein Grundstück in Treuchtlingen tauschte. Die Rechtler sehen sich selbst mittlerweile als „Traditionsverein“, aber ganz aufgeben wollen sie ihr angestammtes Mitspracherecht noch nicht.

Keine Kommentare