Bahn-Azubis lernen in Treuchtlingen Teamgeist

26.10.2018, 06:04 Uhr
Bahn-Azubis lernen in Treuchtlingen Teamgeist

© Micha Schneider

Manchmal sehen Dinge einfacher aus, als sie sind. So ist das auch hier, auf der kleinen Wiese des Adventure Campus in Treuchtlingen. In einem Halbkreis versammelt stehen 18 Jugendliche, sie diskutieren, bringen Ideen ein und machen Vorschläge. Was einfach aussieht, aber gar nicht so einfach ist, ist eine hölzerne Wippe, um die sich die Diskussion dreht.

Wie bitteschön sollen alle Jugendlichen in Zweier-Paaren nacheinander auf dieses kleine, hölzerne Teil kommen, ohne dass es den Boden berührt? Spätestens als sich Erkan, ein Lehrling, mit einer Mitauszubildenden an dem wippenden Ungetüm versucht, wird klar: Das wird hier noch eine Weile dauern.

Bahn-Azubis lernen in Treuchtlingen Teamgeist

© Micha Schneider

Philipp Rubner und Jus Henseleit stehen ein bisschen abseits und beobachten: „Am besten ist es, man hält als Trainer in solchen Situationen die Klappe“, sagt Rubner und grinst. Der gelernte Sozialpädagoge arbeitet auf Honorarbasis als Coach bei der Deutschen Bahn und gibt dort Azubi-Trainings. SMK heißt das Programm, was für „Sozial-Methoden-Kompetenztraining“ steht.

Vermutlich hat wohl jeder Mitarbeiter des Unternehmens, der in den vergangenen 20 Jahren seine Ausbildung absolviert hat, dieses Seminar durchlaufen. Ob Lokführer, Gleisbauer oder Kaufmann – es sind die unterschiedlichsten Berufsgruppen vertreten. „Das ist auch das Schöne daran. Es sind die unterschiedlichsten Menschen hier“, sagt Rubner.

Auch in dieser Woche sind wieder zahlreiche Bahn-Azubis nach Treuchtlingen gereist und versuchen sich nun an der komplizierten Wippen-Aufgabe. „Den einen Trick gibt es da nicht“, sagt Rubner. Vielmehr sei der Interaktionsprozess entscheidend, um die Aufgabe zu lösen.

„15 Minuten Planungsphase, 30 Minuten Durchführungsphase“, rufen ihnen die Trainer zu Beginn noch zu. Zuvor hatten die Azubis mit ihren Lehrern in einem Kreis bereits Gelerntes noch einmal aufgefrischt. „Was soll die Leitung tun?“ und „Welche Nachteile gibt es, wenn Leiter und Moderator eine Person sind?“, fragen Rubner und Henseleit beispielsweise.

„Man hat eine große Verantwortung“, murmelt einer der Azubis. „Möglicherweise Überforderung“, sagt ein anderer. Bei der Übung mit der Wippe geht es also auch um Führung, vor allem aber um Führungsbilder, die die Jugendlichen im Kopf haben, und um die Frage, welche Verantwortung man als einzelner Auszubildender hat.

Verantwortung übernehmen

„Wenn man einen Leiter hat, dann kann man ja auch erst einmal sehr viel Verantwortung an diesen abgeben und sich stattdessen mit anderen Dingen beschäftigen“, erklärt Rubner und ergänzt: „Oft haben die Jugendlichen ein Bild von Führungspersonen, die alles wissen und können müssen. Oftmals ist es aber auch besser, Dinge zu delegieren“ – auch an Lehrlinge.

Durch das Training soll das Potenzial der Mitarbeiter freigesetzt werden. „Ein Großkonzern wie die Bahn ist ja von einer stark hierarchischen Struktur geprägt. Wir wollen die Auszubildenden dazu bewegen, den Mund aufzumachen und Verbesserungsvorschläge oder Ideen einzubringen“, sagt Henseleit. „Dazu muss ich ihnen beibringen, dass das auch gewünscht ist und man reden soll, um auch mal eventuelle Misstände aufzudecken.“

Bahn-Azubis lernen in Treuchtlingen Teamgeist

© TK-Archiv/Benjamin Huck

Seit Juni 1997 gibt es das Training schon und seit diesem Jahr in Treuchtlingen. Knapp 1000 der bundesweit 3500 Auszubildenden im ers­ten Lehrjahr verbringen eine Woche in der Altmühlstadt. Die Bahn hat dafür in der Hahnenkammstraße mehrere neue Trainingsgeräte installieren lassen. Neben der Wippe müssen die Lehrlinge beispielsweie eine 3,60 Meter hohe Holzwand ohne Hilfsmittel überwinden oder sich auf einem Drahtseil entlang hangeln.

„Der Sport ist aber nur Mittel zum Zweck“, sagt Rubner. Alles sei darauf ausgelegt, dass die Auszubildenden untereinander kommunizieren und planen. Man habe sich damals gefragt, welche Art von Kommunikation man im Unternehmen wolle, und deshalb das SMK eingeführt. Junge Menschen sollten gleich zu Beginn ihrer Berufslaufbahn mit einer auf partnerschaftlichen Strukturen basierenden Kommunikation vertraut gemacht werden. 

Bei der Wippen-Übung haben sich die Jugendlichen für Alex als Leiter entschieden. In seiner olivgrünen Jacke sammelt er Argumente. Wie wollen wir vorgehen? Die Schwers­ten zuerst? Irgendwann macht er deutliche Ansagen. Doch immer ruft noch einmal jemand dazwischen. Das klappe doch nie, oder wäre nicht dies oder jenes sinnvoller? „Das ist oft ein Problem. Dass eigentlich alle Argumente auf dem Tisch liegen, man dann aber nicht zur Entscheidung kommt“, sagt Rubner. Einen regen Diskussionsprozess haben die beiden Trainer aber definitiv in Gang gesetzt – und das ist ja das Ziel.

„Ihr bewegt Millionen Menschen“

Diskutieren, Meinungen hören, sich austauschen und reflektieren: Themen des kollegialen Miteinanders und der Kommunikation stehen im Vordergrund. Doch wie man im Seminarraum sehen kann, zählen auch Mobbing oder sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz dazu. Auf einem Flipchart stehen Fragen wie „Was ist sexuelle Belästigung?“, „Woran erkenne ich sie?“ oder „Wo kann ich Hilfe holen?“

„Den Jugendlichen soll frühzeitig klargemacht werden, dass es so etwas gibt, aber auch, wie sie reagieren können. Wir wollen Sensibilität schaffen“, sagt Rubner. Auch das schlechte Image der Bahn und die nörgelnden Kommentare in Sozialen Netzwerken würden angesprochen. „Ich denke, das ist auf jeden Fall ein belastendes Thema für die Auszubildenden, immer im Blickpunkt der Öffentlichkeit zu stehen“, so Henseleit.

Der Fokus wird deshalb auf die Stärken gelegt. „Wir sagen ihnen: Ihr habt einen verdammt wichtigen und verantwortungsvollen Job. Ihr bewegt Millionen von Menschen.“ Zudem sei es normal, als Mensch immer dorthin zu schauen, wo etwas nicht gut funktioniere. „Sie sollen aber das Große und Ganze sehen“, so Henseleit.

Die besten Momente seien die, wenn Teilnehmer am Ende der Woche davon sprechen würden, dass ihnen das Seminar persönlich etwas gebracht habe – „teilweise auch durchaus gerührt“, wie Rubner berichtet. „Ich glaube schon, dass wir hier mithelfen können, etwas für die Atmosphäre im Unternehmen zu tun“, sagt er. Vor allem, weil das Training wirklich jeder durchläuft. „Egal, wen du im Unternehmen triffst und mit wem du dich unterhältst, alle haben eine Woche SMK hinter sich. Das verbindet.“

Jetzt haben diese Erfahrung 18 weitere Auszubildende gemacht. Vielleicht erinnern sie sich irgendwann an den Adventure Campus zurück und daran, wie man es schaffen kann, mit 18 Leuten auf einer Wippe das Gleichgewicht zu halten – auf einer Wiese, irgendwo in Treuchtlingen.

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