Diskriminierung: Treuchtlingerin findet keine Wohnung

13.2.2019, 05:57 Uhr
Diskriminierung: Treuchtlingerin findet keine Wohnung

© Patrick Shaw

Seit über 40 Jahren lebt Rahime Geyik in Treuchtlingen. Doch das jüngste Erlebnis war eines zu viel für die 51-Jährige. Deshalb schweigt sie nun nicht mehr. Ihre Geschichte erzählt vom Fremdsein im eigenen Land und von Rassismus, der sich nicht verringert, sondern nur gewandelt hat.

Seit Jahren sucht die zweifache Mutter eine neue Wohnung. Die alte ist schön, zentral gelegen mit Blick auf die Treuchtlinger Bahnhofstraße, der Vermieter ist ihr früherer Chef, die Nachbarn gelegentlich schwierig, aber grundsätzlich in Ordnung. Seit 21 Jahren wohnen Geyik, ihr seit der Jugend an Epilepsie erkrankter Mann und die beiden 17- und 21-jährigen Söhne hier.

Vor sieben Jahren kam dann die Diagnose: Multiple Sklerose, zwar schleichend, aber mit zunehmenden Schmerzen und Lähmungen, vor allem in Rücken und Beinen. Das Gehen wurde immer schwieriger, die Wohnung im dritten Obergeschoss immer ungeeigneter. Rahime Geyik machte sich auf die Suche nach einer Alternative – bis dato ohne Erfolg.

"Türken bezahlen nicht"

Der Vorfall in der vergangenen Woche war nun nur das i-Tüpfelchen. Geyik rief beim Verwalter einer Drei-Zimmer-Wohnung am Galgenbuck an, die geeignet und mit einer Warmmiete von 450 Euro für die von den kleinen Renten der Eltern lebende Familie bezahlbar erschien. Den Verwalter kannte Geyik bereits von einer früheren Besichtigung.

Diskriminierung: Treuchtlingerin findet keine Wohnung

© Patrick Shaw

Schon die Begrüßung war nicht eben freundlich: Warum sie denn die erste Wohnung nicht genommen habe (sie lag im Zwischengeschoss mit Stufen zwischen Eingang und Aufzug), und warum die beiden erwachsenen Söhne überhaupt noch Zimmer bräuchten und nicht längst ausgezogen seien, habe sie der Mann angeblafft. Als sie ihm die Umstände erklärt hatte, kam dann der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte: "Außerdem sind sie ja Türkin", habe der Verwalter erklärt, "und Türken bezahlen ihre Miete nicht". Beim Vormieter gleicher Herkunft sei das auch so gewesen. Ein klarer Fall von Diskriminierung.

"Was geht mich dieser andere Türke an?", echauffiert sich Rahime Geyik. "Ich bin ich und nicht irgendein anderer. Ich lebe seit 41 Jahren in Deutschland, meine Kinder sind Deutsche, ich wohne gern in Treuchtlingen, habe hier Freunde, bin integriert und fühle mich wohl. Ich bin es einfach leid, dass ich mich immer noch dafür rechtfertigen muss, woher ich komme. Ich bin mit meiner Krankheit genug gestraft und möchte nach über 40 Jahren einfach auch zu Treuchtlingen gehören!" 

Überall Ausländerin

Rahime Geyik ist türkisch-alevitische Kurdin. "Ich bin Ausländerin hier und Ausländerin dort", sagt sie über ihr Verhältnis zu alter und neuer Heimat. 1978 kam sie als Gastarbeiterkind nach Deutschland, wuchs in Pappenheim auf. Binnen zwei Jahren lernte sie fließend Deutsch, machte 1985 an der Senefelder-Schule ihren Hauptschulabschluss, schloss zwei Ausbildungen an und arbeitete danach als Friseurin.

"Damals war vieles sogar besser als heute", meint sie rückblickend. Die Vorurteile und Stereotype seien zwar plumper, aber auch freundlicher gewesen – "Türken" trugen Kopftuch, aßen kein Schweinefleisch und waren irgendwie exotisch, wurden aber nach Geyiks Eindruck eher neugierig als abschätzig beäugt und waren durchaus ins Stadtgeschehen eingebunden. Das sei vielerorts verlorengegangen.

Über einen Kamm geschoren zu werden, hat Geyik allerdings auch schon in der Schulzeit erlebt. Nach dem Papst-Attentat 1981 durch den türkischen Rechtsextremisten Mehmet Ali Agca habe es in der Klasse schnell geheißen: "Einer von Euch hat auf den Papst geschossen." "Wer von uns?", fragte die damals 13-Jährige schnippisch zurück. "Mein Vater? Mein Bruder? Ich?" Später dolmetschte Geyik unter anderem bei Gericht und machte die Erfahrung, dass "es manchmal besser ist, kein Deutsch zu verstehen". Dann wisse man zumindest nicht, wie manche Leute über "Türken" oder "Ausländer" denken. Typische Vorurteile, die ihr auch bei der Wohnungssuche begegnen, seien: "Türken sind unordentlich, zahlen unzuverlässig und kündigen schneller wieder."

"Wie wir wohnen? Wie jeder andere auch!"

Oft werde sie auch gefragt, wie sie eigentlich wohne. "Ich sage dann manchmal: Wir wohnen in Erdlöchern, tragen Kopftuch und essen vom Boden", ätzt Geyik. "Was für eine blöde Frage! Wir wohnen genauso wie jeder andere auch. Als wir unsere vorherige Wohnung verlassen haben, mussten wir nicht einmal die Wände anstreichen."

Sogar deutsche Freunde, die Rahime Geyik bei der Wohnungssuche helfen, müssen sich ihr zufolge "oft schon für mich einsetzen, damit ich überhaupt einen Besichtigungstermin bekomme". Das ziehe sich wie ein roter Faden durch die vergangenen Jahre. "Manchmal denke ich, ich könnte ein Buch darüber rausbringen", sinniert die 51-Jährige frustriert. "Ich bin doch auch nur ein Mensch, bin behindert und kann langsam nicht mehr."

Nicht weglassen möchte Geyik freilich auch die vereinzelten guten Erfahrungen – etwa mit einem Vermieter in Wettelsheim, der sogar die Miete senken wollte, dessen Wohnung aber wegen der vielen Stufen einfach ungeeignet gewesen sei. Ein Lichtblick könnte zudem der Treuchtlinger Seniorenbeirat sein, der einer ersten Anfrage zufolge eine Liste mit behindertengerechten Wohnungen führt. Denn in ihrer Heimatstadt Treuchtlingen bleiben möchten Rahime Geyik und ihre Familie auf jeden Fall.

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Falscher Name, keine Wohnung

Laut Thomas Strobl, Fachanwalt für Mietrecht und Vorsitzender des Mieterbunds Weißenburg und Umgebung, sind klar rassistische Aussagen von Vermietern eher selten. „Solche Unterstellungen höre ich das erste Mal“, sagt er und weist darauf hin, dass das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (umgangssprachlich auch „Antidiskriminierungsgesetz“ genannt) selbstverständlich auch im Mietrecht gilt. Allerdings hätten Vermieter auch Vertragsfreiheit und könnten generell frei über die Vergabe einer Wohnung entscheiden. Deshalb sei es relativ leicht, einen Interessenten abzuweisen, und die Begründung mit ethnischer Herkunft, Alter, Geschlecht, Religion oder Behinderung sogar schädlich.

So hat das Oberlandesgericht Köln im Jahr 2010 zum Beispiel einen Wohnungsverwalter zu 2500 Euro Schadensersatz verurteilt, nachdem eine Mitarbeiterin einen Wohnungsinteressenten mit den Worten „Die Wohnung wird nicht an Neger, äh... Schwarzafrikaner und Türken vermietet“ abgewiesen hatte. „Wenn das wirklich jemand ausspricht, ist ihm nicht zu helfen“, so Rechtsanwalt Thomas Strobl.

Auch ein groß angelegtes Experiment von Datenjournalisten des Bayerischen Rundfunks und des Nachrichtenmagazins Der Spiegel aus dem Jahr 2017 mit 20.000 fiktiven Wohnungsanfragen und rund 8000 Antworten bestätigt, dass Ausländer auf dem Wohnungsmarkt benachteiligt werden. Dabei reicht schon ein nicht deutsch klingender Name. Am stärksten betroffen sind männliche Araber und Türken, die in jedem vierten Fall, in dem ein Deutscher eine Einladung zur Besichtigung erhält, übergangen werden.

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