"Du g’hörst dazu": Musikvideo aus Treuchtlingen

29.10.2018, 15:17 Uhr

© Patrick Shaw

„Was ist Realität?“ Schon bei der Premiere im Treuchtlinger Regens-Wagner-Haus für Menschen nach Schädel-Hirn-Trauma regte das neue Musikvideo zur Diskussion an. „Jeder von uns ist beispielsweise in einer anderen Welt, wenn er träumt“, erklärte Regisseur Julian Benedikt. „Genauso lebt jeder Bewohner von Regens Wagner in seiner eigenen Realität, die aber deshalb nicht weniger gültig ist.“

Es werde noch viel zu selten darüber gesprochen, dass eine geistige Veränderung oder Einschränkung nicht unbedingt bedeute, dass der Betroffene weniger glücklich ist, so Benedikt. Vielmehr sei es ein „zweites Leben“ unter anderen Vorzeichen, genau wie wohl jeder Mensch sein Leben nach einem gravierenden Einschnitt neu wahrnehme und bewerte.

Wichtig für die Lebenszufriedenheit ist jedoch bei allen Menschen das Dazugehören, ob zu Familie, Freundeskreis, Ortsgemeinschaft oder Gesellschaft. Der Titel des neuen Songs „Du g’hörst dazu“ sei deshalb das perfekte Motto, betonte Regens-Wagner-Gesamtleiter Hubert Soyer bei der Erstaufführung des Musikvideos: „Wir sprechen alle von Inklusion und Integration und solchen Sachen. Dabei ist es eigentlich so banal: Wenn man sich zugehörig fühlt, braucht man diese Begriffe nicht. Dann ist man aufgenommen und wird gefragt. Genau das ist passiert mit diesem Projekt.“

© Michael Ploog

Prominente Macher

Startschuss dafür war im November 2017. Damals verwandelte die Regens-Wagner-Wohngruppe ihren Musiktherapieraum in ein Tonstudio. An den Reglern saß Michael Ruff von der Kultband „Haindling“. Auch mit Stars wie Falko, Chaka Khan und den Weather Girls stand er schon auf der Bühne.

Ruff kennt die Treuchtlinger Einrichtung seit einem Auftritt mit Haindling für Regens Wagner in Gunzenhausen vor drei Jahren. „Die ungehemmte, ehrliche Freude und Begeisterung der Menschen mit Behinderung hat mich und alle in der Band tief beeindruckt“, erinnert sich der Musiker. Als ihn Einrichtungsleiter Manfred Rehm, der selbst passionierter Musiker und Hobbykomponist ist, gefragt habe, ob er bei einer Produktion für Regens Wagner dabei wäre, habe er sofort zugesagt.

Protagonisten des Musikvideos sind die Bewohner des Regens-Wagner-Hauses, aber auch die Treuchtlinger Bürger sowie als Musiker die Sängerin Kerstin Schulz und Rehm selbst an Mikrofon, Gitarre und Mundharmonika. Der Musiktherapeut hat den Song auch komponiert. „Die Idee kam mir bei einem Cappuccino am Küchentisch“, verrät er. „Und dann habe ich gemerkt: Der Song hat ein Anliegen, das genau unser Thema ist, ja sogar ein Menschenthema weltweit.“

„Jeder darf anders sein“

Das Lied handelt davon, wie Menschen miteinander umgehen. Es ist inspiriert von privaten Erlebnissen Rehms. „Ich hatte beim Text vor allem Menschen mit Behinderung und aus anderen Ländern im Sinn“, erklärt Rehm. „Sie fragen sich: Wie fasse ich wieder Fuß? Wo gehöre ich dazu?“ So heißt es im Refrain „Bin i normal oder vielleicht spinn i? Geht’s ma guat oder fühl i mi schlecht?“ und weiter im Text: „Dazug’hörn hoaßt, a jeda ko anders sei, und so wia er is, haltst Du ihn aus.

Die Urfassung wurde in den Treuchtlinger Therapiegruppen gemeinsam erarbeitet, Anregungen und Wünsche der Bewohner flossen mit ein. Auch bei der Aufnahme wirkten die Behinderten mit Percussion und Background-Gesang aktiv mit.

Dass es überhaupt zu einer professionellen Aufnahme kam, verdankt Rehm der Resonanz von Besuchern des Konzerts „Songs für alle“ im April dieses Jahres. „Nach der Aufführung des Lieds kamen mehrere Leute auf mich zu und meinten, dass ihnen der Song sehr gefallen habe. Mir ging es genauso“, sagt Hubert Soyer. Das Stück passt thematisch perfekt zu Regens Wagner und könne „dazu beitragen, Barrieren in den Köpfen abzubauen“. Deshalb habe er die Produktion vorgeschlagen.

© Patrick Shaw

"Blick für die Menschen"

Abgemischt wurde das Lied bei „Rufftone“ in München. Gleichzeitig reifte die Idee, auch ein Video umzusetzen. Für dessen Finanzierung engagierten sich der Rotary Club Weißenburg und der Lions Club Altmühltal mit Spenden. Kontakt mit der auf Projekte aus der Sozialwirtschaft spezialisierten Produktionsfirma Milos aus Remlingen hatte Regens Wagner bereits seit einer Begegnung auf der Messe ConSozial im Jahr 2016. Produzent Dominik Förster hat unter anderem auch schon für MTV, Viva und Sky gearbeitet.

Für den Dreh engagierte er den preisgekrönten Regisseur und Dokumentarfilmer Julian Benedikt aus München. „Ich hatte ihn für dieses Projekt sofort im Auge, weil er dieses künstlerische Verständnis und den Blick für Menschen hat“, sagt Förster. Umsetzung und Stil seien geprägt vom Miteinander der Musikgruppe, der Bewohner von Regens Wagner, des Rotary Clubs und des Regisseurs. „Hier werden keine Behinderten vorgeführt. Nichts ist aufgesetzt, sondern alles unschuldig und natürlich gewachsen.“ Aber auch die Herzlichkeit und Offenheit der Treuchtlinger Bürger hätten zum Ergebnis beigetragen.

Für Benedikt selbst „gibt die Musik die Dramaturgie vor“. Der Film lebe von der Musik, Erzählstrang und Bilder hätten sich dann nach der Beschäftigung mit dem Text und seinem ersten Besuch in Treuchtlingen gefestigt. „Ich war sehr berührt von der Begegnung mit Manfred Rehm und den Bewohnern und Besuchern des Regens-Wagner-Hauses“, so Benedikt. Es sei „ein Ort der Begegnung“, an dem er die Eigenarten der Bewohner „nicht einmal wirklich als Behinderung wahrgenommen habe“. Die Musik biete dabei die Möglichkeit, „sich zu verständigen und einander zu verstehen, ohne eine gemeinsame Sprache zu sprechen“.

Dreh in Stadtmitte und Kurpark

Am 20. August war Drehtag für die Außenaufnahmen. Sie entstanden auf dem Wallmüllerplatz und im Kurpark, dessen zahlreiche Skulpturen den aus einer Bildhauer-Familie stammenden Regisseur besonders beeindruckten. „Es ist selten, dass eine Stadt der Kunst so viel Raum gibt“, bemerkt Benedikt. „Wir haben versucht rüberzubringen, dass Menschen mit Behinderung genauso mit Freude, Spaß und Schmerz leben wie Menschen ohne Behinderung. Deshalb haben wir uns mitten in die Stadt gestellt, um das Verbindende herauszustellen.“ In Treuchtlingen habe sein Team „viel Herzlichkeit erfahren, die man in der Großstadt so nicht erfährt.“

Was aus dem Song und dem Video wird, hängt nun von der Verbreitung ab. „Er hat das Potenzial zu einem Hit, weil er in seiner Einfachheit extrem komplex ist, nachklingt und haften bleibt“, prognostiziert Julian Benedikt. Er könne sich durchaus vorstellen, dass sich für das Lied auch prominente Stars begeistern lassen und es dann bei großen Festivals spielen könnten. Denn alle Menschen, ob behindert oder nicht, fremd oder von hier, „brauchen einander und können von einander profitieren“.

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