Ex-Radprofi fuhr Treuchtlinger Laden an die Wand

15.8.2018, 06:04 Uhr
Ex-Radprofi fuhr Treuchtlinger Laden an die Wand

© Symbolbild/Daniel Karmann, dpa

Jan B. ist kein Unbekannter in der Radsportszene. Neun Jahre lang, von 1997 bis 2005, fuhr er für die Teams E-Plus, Gerolsteiner, Coast und Lamonta (alle Deutschland) sowie Mercury (USA), Cage Maglierie (Italien) und De Nardi (Slowakei). Drei (kleinere) Grand-Prix-Siege und 23 weitere Titel gehen auf sein Konto. Danach trat er immer wieder im Material- und Coaching­geschäft in Erscheinung, teils mit prominenten Partnern der ersten Garde – allen voran Tour-de-France-Sieger und Vornamensvetter Jan Ullrich. Zusammen mit ihm richtete der 43-Jährige erst im vergangenen Jahr das im Internet breit beworbene "Jan & Jan Bike-Camp" am Brombachsee aus.

Getrübt wird der Glanz durch Dopingvorwürfe, zuerst 1995 bei der Sachsen-Tour (sechs Monate Sperre wegen Einnahme von Anabolika) und erneut 1998 beim Team Cologne (unbestätigte Erkundigung nach leis­tungssteigernden Mitteln). Letzteres entließ Jan B., nachdem er sich zudem "Radmaterial angeeignet hatte, das ihm nicht zustand". Mehrere Strafverfahren wegen Unterschlagung und ähnlicher Delikte folgten. Nun stand der gebürtige Unterfranke, der zuletzt den von der Stadt Treuchtlingen gemieteten "E-Bike-Park" in der Kirchenstraße betrieb, erneut vor Gericht. Der Vorwurf: Betrug in 14 Fällen.

Der Tathergang ist schnell erzählt. Bis April 2016 war Jan B. als örtlicher Geschäftsführer einer im baden-württembergischen Gaggenau ansässigen Firma tätig. Für sie vertrieb er in den von der Stadt Treuchtlingen angemieteten Räumen sowohl Fahrräder und Zubehör, als auch sogenannte XSAM-Vibrationstrainingsgeräte. Als die Firma den Verkauf der Vibrationsgeräte in der Altmühlstadt einstellte, wollte der Ex-Radprofi allein mit dem Fahrradladen weitermachen.

Ohne Vereinbarung weitergemacht

Das erlaubte ihm sein bisheriger Chef wohl auch – eine schriftliche Vereinbarung über das weitere Vorgehen gab es aber ebenso wenig wie eine rechtsgültige Kündigung des alten Arbeitsverhältnisses. Die Firma meldete das Gewerbe zum 1. Mai 2016 ab, Jan B. führte den Laden jedoch weiter, kaufte Fahrräder und Material ein und schickte die Rechnungen einfach seinem bisherigen Arbeitgeber.

Das Geschäft lief allerdings längst nicht so gut, wie es sich der 43-Jährige erwartet hatte. So lebte er nach eigenen Angaben hauptsächlich "von den guten Trinkgeldern der Kunden", liegt der E-Bike-Park doch direkt am von Radlern stark frequentierten Altmühltal-Radweg. Auch Treuchtlingens Bürgermeister Werner Baum habe ihn deshalb immer wieder ermutigt weiterzumachen.

Die Rechnungen der Lieferanten konnte Jan B. aber nicht bezahlen – und sein alter Arbeitgeber wollte das auch nicht. Knapp 19.000 Euro Schulden liefen so auf. Laut Staatsanwalt Dr. Christian Eberlein geschah dies "unter Vorspiegelung seiner Zahlungsfähigkeit, um sich ein Einkommen in gewissem Umfang zu verschaffen".

"Wir haben kein Geld mehr"

Letzteres bestritt der Beschuldigte vehement: "Es stimmt definitiv nicht, dass ich mich bereichern wollte." Vielmehr habe er "nur gelebt, um dieses Geschäft auf die Beine zu bringen". Sein bisheriger Chef habe zu ihm gesagt: "Jan, wir haben kein Geld mehr, du musst schauen, dass du den Laden und deinen Job selbst rettest." Dafür sei er "teils von morgens acht bis abends zehn im Laden gestanden", sodass sein eigener Sohn gesagt habe: "Papa, ich komme nicht mehr, Du arbeitest ja nur noch."

Mit seinem ehemaligen Arbeitgeber habe er mündlich vereinbart, dass das Geschäft weiterlaufen solle, bis der Inhaber nach Treuchtlingen komme, um die Finanzen zu regeln. "Er kam aber nie", so der Angeklagte. Und so blieb auch jegliche Buchführung auf der Strecke. Jan B.: "Ich kann zwar verkaufen, aber vom Wirtschaften habe ich keine Ahnung. Das ist meine Schwachstelle. (...) Das Fahrrad-Thema ist mein Lebensinhalt. Ich sollte aufreißen, der Frontmann sein. (...) Es war mir eine Ehre, dass mich sogar der Bürgermeister gelobt hat, und ich war mir sicher, dass ein Laden am Altmühltal-Radweg mit der Hilfe der Stadt und meinem Namen dahinter auch Geld abwerfen wird."

Dies bestätigte der frühere Chef des Angeklagten. Er habe mit Jan B. besprochen, dass dieser in Treuchtlingen weiter als freier Mitarbeiter tätig sein könne. "Richtige Absprachen gab es da nicht. Es war klar, dass wir Starthilfe leisten, es dann aber darauf ankommt, dass er selbst Geräte verkauft." Mit den eintreffenden Rechnungen habe er "nichts anfangen können". Die desolate finanzielle Situation und das fehlende kaufmännische Wissen des Beschuldigten seien bekannt gewesen, aber auch dessen gute Kontakte in die Sportszene und "dass er sehr tüchtig ist". Von den Verkäufen hätte auch die Firma in Gaggenau profitieren sollen. Seine dortigen Schulden habe Jan B. mittlerweile alle beglichen.

Auf "Intuition" vertraut

"Aber wer sollte die Waren dann bezahlen? Wenn ich etwas kaufe und nicht bezahle, ist das Betrug!", hakte Richter Gunter Hommrich beim Angeklagten ungehalten nach. "Ich wollte ja bezahlen, es kam aber nicht dazu, weil die Räder nicht verkauft wurden", wand sich dieser. "Meine Intuition war, dass der Laden ins Laufen kommt." Inzwischen sei das auch der Fall, und seine Nachfolgerin, mit der er zeitweise liiert gewesen sei, profitiere davon. Die Gläubiger habe er immer wieder vertröstet, aber kein Geld für sich behalten.

Darüber hinaus gab Verteidiger Werner Höppler zu bedenken, dass es keine rechtsgültige Kündigung der Vorgängerfirma gebe und auch keine Aufforderung, das Geschäft oder die Bestellungen einzustellen. Sein Mandant räume den Sachverhalt durchaus ein, aber nicht die Bereicherungsabsicht. Zudem habe der Ex-Chef Jan B. zwar angezeigt, der Kriminalpolizei aber keine ihrer Fragen beantwortet, sodass auch die vom Gericht als Zeugin geladene Beamtin von einem "ziemlichen Puzzle" sprach.

Staatsanwalt Eberlein sah am Ende dennoch den Tatbestand des Betrugs mit "bedingtem Vorsatz" als erwiesen. Jan B. habe keinen Überblick über die Finanzen seines Ladens gehabt und gewusst, dass sein ehemaliger Arbeitgeber seine Rechnungen nicht bezahlen werde. Somit habe er "billigend in Kauf genommen, dass die Forderungen nicht beglichen werden". Die Bereicherungsabsicht sei allein schon dadurch gegeben, dass sich der Angeklagte "verhalten hat, als wäre er der Eigentümer".

Dickes Vorstrafenregister

Zu Jan B.s Gunsten wertete Eberlein dessen „glaubhaftes Geständnis, dass er mit der betriebswirtschaftlichen Führung des Ladens total überfordert war“. Zu Lasten des Ex-Radprofis seien die zahlreichen Vorstrafen zu berücksichtigen, darunter etliche weitere Vermögensdelikte. Zudem stand der Beschuldigte zum Tatzeitpunkt noch unter Bewährung – wenngleich nur wegen der versäumten Meldung eines Wohnortswechsels.

Angesichts der Pläne des Angeklagten, sich demnächst erneut im "Bikeservice" selbstständig zu machen, bescheinigte ihm der Staatsanwalt auch keine gute Zukunftsprognose. "Das beruht alles nur auf Hoffnungen", so der Anklagevertreter. Sein Strafantrag: ein Jahr und neun Monate Haft. Verteidiger Werner Höppler plädierte dagegen auf Freispruch. Das alte Arbeitsverhältnis seines Mandanten sei nicht formell beendet worden und dessen neue Befugnisse "nur schwer durchschaubar gewesen". Der ehemalige Chef habe Jan B.s Verhalten wohl zumindest toleriert.

"Die Tragik des Ganzen ist, dass mein Mandant anderen Türen geöffnet, aber nicht für seine eigene finanzielle Absicherung gesorgt hat", so Höppler. "Er wurde Opfer seiner Gutgläubigkeit und war sehr naiv." Auch dass er seiner Nachfolgerin ohne jede Regelung "einen gut gefüllten Laden" überlassen habe, spreche eher für geschäftliches Unvermögen als für Betrugsabsichten. Für die Zukunft habe Jan B. "gewisse Lehren gezogen" und werde mit der Hilfe eines Insolvenzverwalters "wieder auf die Beine kommen".

Vom Zukunftstraum ins Chaos

"Ich wollte niemanden betrügen", schloss der Angeklagte selbst. Er habe "gerackert für eine Zukunft, gebe aber zu, dass da ein Chaos entstanden ist". Unwissenheit schütze nicht vor Strafe, er glaube aber, "dass ich das auf die Reihe bekomme" – nicht zuletzt für seinen Sohn, der "wegen der Vergangenheit sehr stolz auf seinen Vater ist".

Mit eineinhalb Jahren Gefängnis und 120 Arbeitsstunden wegen Betrugs in 14 Fällen folgte Richter Hommrich in seinem Urteil am Ende inhaltlich der Argumentation der Anklage. Angesichts des Geständnisses und der langen Frist von rund sieben Jahren seit der letzten Verurteilung setzte er die Haftstrafe aber zur Bewährung aus, um Jan B. "noch einmal die Chance zu geben, sein Leben in den Griff zu bekommen".

Ob dies gelingen wird, bleibt offen. Aus dem Zuschauerraum kamen jedenfalls Bemerkungen, dass dieses Verfahren "nur die Spitze des Eisbergs" sei und die Verbindung des Angeklagten mit Jan Ullrich ebenfalls noch eine Rolle vor Gericht spielen werde. Einige von Jan B.s unbezahlten Bestellungen kämen im Übrigen bis heute im Treuchtlinger E-Bike-Park an...