Go-Ahead statt Fugger-Express: Wer fährt die Züge?

15.8.2019, 06:04 Uhr
Go-Ahead statt Fugger-Express: Wer fährt die Züge?

© Computergrafik: Siemens

Verglichen mit der vor einigen Jahren geplanten Vergabe der Nürnberger S-Bahn an die ebenfalls aus Großbritannien stammende Privatbahn National Express verläuft die Auftragsvergabe durch die Bayerische Eisenbahngesellschaft (BEG), die im Auftrag der Staatsregierung den Schienennahverkehr kontrolliert, diesmal erstaunlich ruhig. Der Aufschrei von Politik, Gewerkschaften und Wirtschaft wiederholte sich bislang nicht, weshalb man fast meinen könnte, Politik und Fahrgäste seien froh, dass die Deutsche Bahn hier künftig nicht mehr fahren wird.

Zugegeben, das was die DB Regio unter dem Label "Fugger-Express" geleistet hat, entspricht zwar weitgehend dem, was der Freistaat bestellt hatte, war aber aus Kundensicht sehr mangelhaft. Die Gründe sind vielfältig und nicht alle der DB Regio anzulasten. Denn das Grundübel waren wohl die von der BEG vollkommen unterschätzten Fahrgastzahlen, technische Probleme mit den eingesetzten Zügen sowie die überlastete Strecke. Erst nachdem die BEG auf Druck von Fahrgästen und Regionalpolitikern ihre Bestellung ausweitete und die Bahn mehr Züge einsetzen konnte, besserte sich die Situation für die Passagiere rund um München in den vergangenen Jahren langsam.

Aus Fehlern gelernt

Bei der erneuten Ausschreibung zeigte sich die BEG weiter lernfähig. So ist nun beispielsweise vorgeschrieben, dass ein Zug, der in München ankommt, nicht direkt zurück nach Augsburg fahren darf, damit sich eventuelle Verspätungen nicht auf die folgende Fahrt übertragen. Ebenso wurde die Mindestzahl an Sitzplätzen in den Berufspendlerzügen von 750 auf 1000 deutlich erhöht.

Go-Ahead will aus diesem Grund künftig eine gemischte Flotte von Elektrotriebzügen aus dem Hause Siemens betreiben. Neben 44 einstöckigen Mireo werden zwölf teilweise doppelstöckige Desiro HC beschafft.

Während erstere aktuell noch mitten in der Entwicklungsphase sind, bewährt der sich der Desiro HC seit Dezember 2018 im Ruhrgebiet. Trotz der üblichen Kinderkrankheiten äußern sich Fahrgäste bislang durchaus positiv – vor allem Beschleunigung und WLAN werden gelobt. Auf das kabellose Internet werden die Kunden in Bayern allerdings vorerst verzichten müssen, denn der Freistaat hat es erneut nicht bestellt.

Nicht mehr Plätze als vorher?

Eine fünfteilige Garnitur verfügt über 538 Sitze und kann beliebig mit einem zweiten Zugteil oder mit bis zu zwei der dreiteiligen Mireo gekuppelt werden. Dieser hat mit 216 etwas weniger Sitzplätze als die aktuell eingesetzten DB-Züge der Baureihe 440, kann wie diese aber ebenfalls mit mehreren Zügen kombiniert werden. Bei genauerer Betrachtung fällt freilich auf, dass sich die Zahl der Züge nicht erhöht, denn auch die DB setzt umgerechnet rund 56 Züge ein.

Wirft man einen Blick auf die jüngsten Betreiberwechsel bei anderen Nahverkehrsnetzen, ergibt sich zudem ein viel größeres Problem: Personalmangel. Jüngstes Beispiel sind die Privatbahn Abellio in Sachsen-Anhalt und die Nordwestbahn im Ruhrgebiet. Noch kurz vor Betriebsstart verkündeten deren Betreiber, genug Lokführer zu haben. Doch schon Mitte Dezember 2018 stellte sich heraus, dass doch viele Führerstände unbesetzt sind. Zugausfälle waren fortan an der Tagesordnung. Mittlerweile versucht man dies zu kompensieren, indem man den Verkehr auf einzelnen Strecken für mehrere Monate komplett einstellt, um die dort eingesetzten Lokführer für andere Züge freizubekommen. Ob dort danach wieder Züge fahren werden, ist noch offen.

Landtagsabgeordnete in Sachsen-Anhalt forderten daher bereits, Abellio den Auftrag wieder zu entziehen, und richteten deutliche Worte an die Bundesregierung. Ähnliche Situationen gibt es inzwischen auch in anderen Regionen Deutschlands, darunter Bayern. So fährt im Nachbarlandkreis Roth fast den gesamten August über kein Zug auf der elf Kilometer langen Strecke zwischen Roth und Hilpoltstein ("Gredl"). Der private Betreiber BRB (Bayerische Regionbahn) hat seit Anfang Juli bis voraussichtlich Anfang September sogar den Zugverkehr zwischen Ingolstadt und Eichstätt wegen Personalmangels komplett eingestellt.

Zu wenig Lokführer

Jörg Lange vom Fahrgastverband Pro Bahn fürchtet daher, dass "die größte Herausforderung für Go-Ahead die Ausbildung von Triebfahrzeugführern und Kundenbetreuern wird". Aktuelle Stellenanzeigen in Baden-Württemberg, mit denen der Betreiber insbesondere um Studenten, Frauen und Senioren als Teilzeit-Lokführer wirbt, lassen vermuten, dass sich die Suche nach geeignetem Personal schwierig gestaltet.

Zwar verkünden monatlich erscheinende Pressemitteilungen, dass wieder ein neuer Ausbildungskurs für 15 Lokführer begonnen hat. Doch wie viele davon bis zur Prüfung durchhalten und dem Unternehmen langfristig treu bleiben, ist offen. Zumindest in Baden-Württemberg drängt dabei die Zeit, denn seit Juni rollen dort die ersten Züge – und die Bilanz ist eher durchwachsen, wie Lokalzeitungen melden. So muss die DB einem Bericht der Stuttgarter Zeitung zufolge ihren Konkurrenten Go-Ahead und Abellio rund um Stuttgart aushelfen, damit die Reisenden ans Ziel kommen. Ursache ist die verspätete Auslieferung von Zügen durch den Hersteller.

Auch die BEG erkannte dieses Problem und schreibt nun vor, dass der neue Betreiber Personal des bisherigen Betreibers übernehmen muss. Ob die Mitarbeiter jedoch den Arbeitgeber wechseln wollen, bleibt ihnen überlassen. Vom Personalmangel ist immerhin auch die DB betroffen. Allein bei der S-Bahn in Nürnberg fehlen derzeit nach internen Informationen etwa 40 Lokführer, in München über 60 – umgerechnet jeweils rund 15 Prozent des nötigen Personals.

Druck durch Kampfpreise

Gefühlt schaffte es der bisherige Platzhirsch meist besser, diesem Mangel entgegenzutreten, schlicht weil hier die Größe des Konzerns von Vorteil ist. Auch Personal der Einsatzstelle Treuchtlingen wurde laut vertraulichen Informationen immer wieder mit Prämien für einige Monate als Aushilfe nach München gelockt. Entsprechend dürfte die DB für das Personal, das noch bis Ende 2022 im Raum Augsburg und Würzburg fährt, leicht anderweitig Verwendung finden und viel daran setzen, die Leute im Unternehmen zu halten.

Das wohl einfachste Mittel, um Mitarbeiter anzulocken, ist ein besseres Gehalt – was bei den Kampfpreisen, mit denen Privatbahnen derzeit auf den Markt drängen, kaum zu realisieren scheint. Offenbar sind die Kalkulationen teils nur auf dem Papier kostendeckend. Die Süddeutsche Zeitung berechnete beispielsweise, dass die Privatbahn Agilis, die den Nahverkehr rund um Regensburg bedient, in den nächsten fünf Jahren rund 38 Millionen Euro Verlust machen wird.

Ein Go-Ahead-Sprecher äußerte in diesem Zusammenhang, dass vor allem "wieder betont werden sollte, was Lokführer für ein toller Beruf ist". Man wolle "ein attraktiver Arbeitgeber mit branchenüblichen Konditionen und Zusatzangeboten sein, aber auch eine Unternehmenskultur schaffen, die den Mitarbeiter wertschätzt und seine Leistung anerkennt".

Abwechslungsreiche Arbeit

Im Gegensatz zur DB signalisiert Go-Ahead deshalb auch bereits, auf den lokalen Berufsmessen vertreten sein zu wollen. Zumindest die Möglichkeit, Arbeitsschichten abwechslungsreich zu gestalten, haben die Briten, denn das Zugpersonal soll netzübergreifend eingesetzt werden. Genaue Aussagen zu Einsatzstellen und an welchem Bahnhof Verwaltung und Werkstatt angesiedelt werden, konnte der Sprecher allerdings noch nicht treffen.

Pro Bahn gibt sich deshalb abwartend. "Wer A sagt, muss auch B sagen. Es gibt keinen Wettbeweb, ohne neuen Unternehmen den Zugang zum Markt zu ermöglichen", so Jörg Lange. Go-Ahead habe "eine faire Chance verdient". Einfach wird es sicher nicht...


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