IGM: Eine verpasste Chance für Treuchtlingen?

28.11.2018, 06:05 Uhr
IGM: Eine verpasste Chance für Treuchtlingen?

© TK-Archiv/Patrick Shaw

Herr Löw, Ende Oktober berichteten wir über den bevorstehenden Umzug des Individuellen Gesundheitsmanagements (IGM) vom Treuchtlinger Hochschul-Campus in die Altmühltherme und die damit verbundene Fortsetzung des Ende 2014 eingeführten Vorsorgeprogramms „auf Sparflamme“. Was bedeutet das für das IGM und ist ein solcher Minimalweg überhaupt denkbar?

Peter Löw: Wenn diese Aussage den anderen Teilnehmern der Arbeitsgemeinschaft zu Ohren käme, würden diese Treuchtlingen „exkommunizieren“. Keinen Finger mehr zu rühren, aber etwas vom Kuchen abhaben zu wollen, das würde keiner zulassen. Da würde auch der Projektleiter, Professor Dieter Melchart, mitreden wollen.

Neben Professor Melchart waren Sie der zweite große Fürsprecher des IGM während der Verhandlungsphase über die staatliche Förderung. Was versprachen Sie sich damals von der Einführung in Treuchtlingen?

Löw: Ich habe die Stadt bereits ab 2008 immer wieder daran erinnert, dass sie mit ihrem örtlichen Heilmittel Thermalwasser eigentlich schon lange den Titel „Bad“ erlangen wollte. Nur wollte ich nicht nur den Titel, sondern diesen auch mit Inhalt füllen. Mir schwebte ein Doppelprädikat als Kneipp- und Thermalheilbad vor. Kneipp sollte in die Therme einziehen, und die fünf Säulen der Kneippmedizin sollten zum Alleinstellungsmerkmal werden. Dafür ließ ich mich eigens zum Kneippmediziner und Badearzt ausbilden, denn ein zertifiziertes Heilbad braucht mindestens zwei Badeärzte. Wäre in Treuchtlingen Manfred Kreß in Ruhestand gegangen und nur Bernhard Löwer übrig geblieben, wäre es das mit dem Bad-Titel gewesen.

Dabei klingt Kneipp doch eher etwas altbacken und ist keine Kassenleistung mehr – eines der Probleme, unter dem in Treuchtlingen auch das IGM leidet.

Löw: Das stimmt. Schon zuvor hatte ich in Bad Wörishofen gesehen, dass der Ort nach der Seehofer-Reform in mancher Hinsicht „tot“ war. Viele Kurkliniken konnten sich nach der Abschaffung der Kneippkur als Kassenleistung nicht mehr halten. Dort lernte ich Professor Jürgen Kleinschmidt von der TU München kennen und begann, eine Vision für Treuchtlingen zu entwi­ckeln. Dank Wörishofen wusste ich, dass Kneipp trotz der Reform die sinnvollste kurärztliche Maßnahme ist. Nur musste sie modernisiert werden. Betriebe und Bevölkerung sollten aktiv werden. Dies hätte den Titel „Bad“ mit Leben gefüllt: ein Kneippverein, zertifizierte Kindergärten und Schulen, Kneipp in Bücherläden und Bauernhöfen, der Stadtbücherei und den Apotheken. Der Bürgermeister hatte mich sogar schon gebeten, aus dem Schlossgraben einen modernen Kneippgarten zu machen. Die Pläne dafür liegen bei mir und verstauben.

„Inhalt und Taten zeigen, dann folgen Hotel und Titel“

Das hat jetzt aber nur indirekt mit dem IGM zu tun...

Löw: IGM war der Gewinn, eine neue Form von Kneipp, ein modernes Lebensstilprogramm mit Computer und Coaching. Ich hatte damit die scheinbare Lösung für ein „Bad Treuchtlingen“ gefunden. Wir hätten einen riesigen Vorteil gehabt – so wie es jetzt Bad Kötzting macht. Ich hätte die Strategie verfolgt: Zeigen wir Inhalt und Taten, dann folgen auch das gewünschte Hotel und der Bad-Titel. Eine schöne Vision...

...die aber nicht über die Pilotphase hinausgekommen ist. Warum?

Löw: Mit Tourismus-Chef Chris­toph Schmitz und Altmühlvital-Leiter Patrick Geiger verschwanden zwei wichtige Mitstreiter, und die Politik verfolgte andere Schwerpunkte. Die beiden hatten mich damals auf die bayerischen Heilbädertagungen mitgenommen. Einer der Gutachter, die für den Titel ihr Okay geben müssen, ist Professor Kleinschmidt. Auf einer der Fahrten konnte ich ihn überzeugen, und auch dem Stadtrat, der damals (ohne die CSU) im Oberbayerischen in Klausur ging, durfte ich mein Projekt präsentieren. Von da an war „Bad Treuchtlingen“ wieder im Gespräch. Auch die CSU konnte ich später dafür begeistern, aber im Stadtrat gingen die Uhren dann anders.

Den finalen Anstoß zum IGM gaben aber nicht Sie.

Löw: Nein, Hermann Wißmüller hat das IGM nach Treuchtlingen gebracht. Als Professor Melchart das Konzept den bayerischen Kurorten vorstellte, fragte er ihn, ob die Stadt als neuer Typ Kurort das IGM ebenfalls bekommen könne. Ich war Feuer und Flamme und begleitete ihn zur Steuergruppe nach München. Der Wert des IGM musste belegt werden, und es brauchte staatliche Zuschüsse. Als der Gutachter bezweifelte, dass in Orten ohne universitäre Einrichtung eine wissenschaftliche Begleitung möglich sei, widerlegte ich dies, und am Ende bekamen wir die Förderung. Dann wechselte die Führung der Altmühltherme, und mit ihr die Vorstellungen in Sachen IGM.

Warum funktioniert das Konzept in anderen Kommunen, aber nicht in Treuchtlingen?

Löw: In Bad Kötzting wird das IGM durch das Tourismusamt und den Bürgermeister repräsentiert, in Bad Alexandersbad ebenso. Auch in den anderen Orten kümmern sich eher die Touristiker. In Treuchtlingen waren es ein ehemalige Badleiter und ein Arzt. Leider mussten sowohl Herr Wißmüller als auch IGM-Trainerin Christiane Fuhrmann aus dem Fördertopf bezahlt werden, sodass uns das Projekt zu viel Geld kostete. Und leider wurde das IGM nicht in Rathaus und Touristinfo integriert. Es wurde zu einer Parallelstruktur, die man einfach wieder verlassen konnte. Uns fehlten Personal und Rückhalt. Bad Kötzting hat dagegen sogar einen privaten Sponsor. In den vergangenen Jahren haben wir alle viel Mühe in das Projekt gesteckt. Die Phase, in der sich das IGM zu einem wirtschaftlich tragenden Unternehmen hätte entwickeln können, beginnt aber erst jetzt. Und ein Selbstläufer in Sachen schwarze Zahlen war es von Anfang an nicht. Alle Partner haben ähnliche Probleme, selbstzahlende Teilnehmer zu akquirieren. Das liegt nicht am Produkt, sondern an der Einstellung der Bevölkerung, die bei medizinischen Leistungen eine Vollpensions-Mentalität pflegt. Eigeninitiative bei der Prävention von Krankheiten und das Prinzip der Selbstverantwortung sind im Gesundheitswesen nach wie vor nicht selbstverständlich.

„Treuchtlingen hat es wenigstens versucht“

Was ist aus Ihrer Sicht so besonders und wertvoll am IGM?

Löw: Das IGM stärkt die medizinische Versorgung auf dem Land. Alle teilnehmenden Kurorte liegen im ländlichen Bayern, glänzen durch lokale Heilmittel und die schöne Natur, nicht aber durch ihre Infrastruktur. Dennoch haben sie es durch ihre ausgezeichnete wissenschaftliche Arbeit geschafft, Erkenntnisse nach universitärem Standard zu erheben und alle Kritiker eines Besseren zu belehren. Das IGM ist als Methode evidenzbasiert und bedient sich modernster medizinischer Algorithmen. Es ist gleichermaßen innovativ in Sachen Prävention und Gesundheitsfürsorge. Mit dem IGM-Campus wäre die Stadt erstmals Gesellschafter und Chef eines wissenschaftlich arbeitenden Unternehmens der Medizinbranche geworden – einem Stück Universität.

Und für Sie als Arzt?

Löw: Ich selbst versuche, meine Patienten mit Übergewicht, Bewegungsmangel, Rückenschmerzen, Arthrose, Osteoporose, Stress oder Krebsrisiko schon im Vorfeld vor Krankheiten zu bewahren. Ich spreche ihren Lebensstil und dessen Risiken an, berate oft und lange. Die Kassen bezahlen das aber nicht, und es gibt auch keine langfristigen Programme. Vorsorgende Gesundheitsleistungen sind kurzzeitig und niederfrequent angelegt und nicht am individuellen Risiko orientiert. Das IGM ermöglicht es Ärzten erstmals, Risikopatienten eine langfristige Schulung samt Lebensstil-Umstellung anzubieten. Es kann nicht sein, dass weiter zugeschaut wird, wie Kinder immer dicker werden und immer mehr Menschen Diabetes bekommen, wie immer mehr künstliche Gelenke bezahlt werden müssen, Rückenschmerzen zur Frührente und Stress direkt zum Arzt führen. Es ist unbegreiflich, dass Patienten für das Check-up beim Arzt Prämien erhalten, aber zur Verringerung ihrer gesundheitlichen Risiken kein Euro zur Verfügung steht. Hier muss ein Umdenken hin zu hochwertigen, präventiven Leis­tungen wie dem IGM passieren.

...die Treuchtlingen als Projektpartner hätte anbieten können, nun aber anderen Kurorten überlässt.

Löw: Es tut mir in der Seele weh, was die Stadt mit dem IGM macht, denn ich habe mich wirklich damit identifiziert. Nun ist der Ausstieg vorformuliert. Deshalb habe ich Bad Kötzting meine weitere Mitarbeit als IGM-Arzt angeboten und werde mich gemeinsam mit Professor Melchart um eine Fortentwicklung des IGM-Campus bemühen sowie für die Ausbildung zertifizierter Trainer einsetzen. Tröstlich stimmt mich, dass man Treuchtlingen zugute halten kann, es wenigsten versucht zu haben. Aber es war eben eine Nummer zu groß...

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