"Menschenverachtung nicht dulden": So erinnert Treuchtlingen trotz Corona

14.11.2020, 06:04 Uhr

© Patrick Shaw

Es ist wie ein Déjà-vu, fast hundert Jahre später: Da kniet der kleine Mohammed aus Syrien am Grab eines unbekannten Kindes auf der Kriegsgräberstätte am Treuchtlinger Nagelberg. Vielleicht war es genauso alt wie der Viertklässler, als es viel zu früh sterben musste, vielleicht hat es ähnlich Schreckliches in einem der beiden Weltkriege erlebt, wie heute die Kinder im Nahen Osten erleben müssen.

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Eigentlich ist die diesjährige Gedenkfeier zum Volkstrauertag ohnehin schon etwas Besonderes. Wegen der Corona-Pandemie gibt es keinen großen Aufzug von Organisationen und Vereinen mit Fahnen und Musik, sondern lediglich eine Videobotschaft. Zur Aufzeichnung und Kranzniederlegung treffen sich Bürgermeisterin Kristina Becker sowie die beiden Ortspfarrer Bastian Müller und Matthias Fischer bereits am gestrigen Freitag in kleiner Runde am Nagelberg. Doch das Bild der Stunde liefern Mohammed und seine Klassenkameraden, die unterdessen die Kriegsgräber schmücken.


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"Dieses Jahr ist alles anders", leitet Becker ihre Rede ein, die ab Sonntag auch auf der Internetseite der Stadt abrufbar ist. Vielfach heiße es, die Pandemie sei "eine der größten Herausforderungen seit Ende des Zweiten Weltkriegs". Diesen Vergleich lehne sie ab. Denn der mit der Seuche verbundene globale Austausch, das verbindende Element und die digitale Vernetzung der Welt seien auch Chancen und zeigten: "Wir alle sitzen im selben Boot." Mit den Weltkriegen sei Corona ganz und gar nicht vergleichbar, nicht mit deren Dimension, nicht mit den Toten und nicht mit dem millionenfachen Leid.

Erinnern ist eine Verantwortung aller

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Das nicht zu vergessen, sei Aufgabe aller kommenden Generationen und besonders für Deutschland angesichts der eigenen Geschichte eine große Verantwortung, so Becker. Beim Volkstrauertag gehe es "um die Sehnsucht nach Frieden, Freiheit, Menschenrechten und Versöhnung". Denn Kriege seien kein Relikt aus der Vergangenheit, fern für ein seit über 70 Jahren in Frieden lebendes Europa. Ob in Syrien oder Berg-Karabach, wie gerade erst in unserer Zeitung zu lesen war: Gewalttätige Konflikte seien auch heute ganz real.

"Es scheint, als würde die Mahnung, aus der Vergangenheit zu lernen, im Nichts verhallen, [wenn] immer noch Krieg als Mittel für Konfliktlösungen betrachtet und eingesetzt wird", bedauert die Rathauschefin. Daran gemahnen die Namen der Toten auf den Gedenksteinen am Nagelberg, auf deren eindringliche Botschaft auch die beiden Pfarrer in ihren Redebeiträgen eingehen.


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Um allerdings "die Schwelle zum Frieden dauerhaft zu überschreiten", muss laut Kristina Becker "der Wohlstand der reichen Länder auch dafür eingesetzt werden, die Lebensverhältnisse in den ärmsten Ländern zu verbessern". Dazu gehöre neben der Stärkung der Infrastruktur insbesondere Bildung für Frauen und Kinder. Die globale Vernetzung könne das nötige Vertrauen schaffen und das Zusammengehörigkeitsgefühl stärken.

Ohne Achtung und Toleranz, gerade gegenüber Fremden, sei jedoch kein friedliches Miteinander denkbar, schließt die Bürgermeisterin ihren Appell: "Wir sollten menschenverachtendes Verhalten gegenüber Andersartigen oder Andersdenkenden nicht dulden!"

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