Neuland für Pfarrer: Was können die Kirchen trotz Corona leisten?

26.11.2020, 06:02 Uhr
Neuland für Pfarrer: Was können die Kirchen trotz Corona leisten?

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In vielen Bereichen ist das öffentliche Leben in diesen Wochen heruntergefahren, während die Gottesdienste weiterhin stattfinden dürfen. Das mag für Kirchgänger ein wichtiger Halt sein – sorgt aber auch für Diskussionen. Zuletzt hatte die evangelische Kirchengemeinde in Treuchtlingen mit ihrer Entscheidung für Aufsehen gesorgt, im November keine Präsenzgottesdienste mehr stattfinden zu lassen – und ist kurz darauf zurückgerudert. Wir haben den Vorfall zum Anlass genommen, um mit beiden Gemeindepfarrern Bastian Müller und Matthias Fischer über die Bedeutung von Kirche in dieser Zeit zu sprechen.

Herr Müller, Ihre Entscheidung, die Präsenzgottesdienste abzusagen, hat viele negative Reaktionen ausgelöst. Haben Sie mit dem Gegenwind gerechnet?

Pfarrer Bastian Müller: Ich habe natürlich mit Widerspruch gerechnet. Aber in dem Moment, in dem wir die Entscheidung getroffen haben, haben viele Zeichen dafür gesprochen, dass wir aufpassen müssen.

Einige sagen, dass es unfair sei, dass alles schließen muss, aber der Gottesdienst weiter stattfinden darf. Sie haben kürzlich selbst in etwa so argumentiert. Warum hat sich Ihre Meinung geändert?

Müller: Als wir die Rückmeldungen hatten, haben wir vor diesem Hintergrund neu entschieden – und erkannt, dass wir versucht hatten, etwas zu entscheiden, was letztlich jeder für sich selbst entscheiden muss. Wissen Sie, es ist ein großes Privileg, das wir haben: dass Religionsfreiheit so geachtet wird und uns Vertrauen entgegengebracht wird, dass wir die Hygienekonzepte umsetzen. Das ist keine einfache Aufgabe, aber wir wollen versuchen, ihr weiter gerecht zu werden, jetzt wo wir gehört haben, wie wichtig das vielen Menschen ist. Der ursprüngliche Gedanke war, im November eine Pause zu machen und Kraft zu sammeln. Die Idee dahinter war, zu fasten: Man verzichtet auf etwas, um den Wert davon wiederzuentdecken.

Letztlich wollte aber niemand fasten.

Neuland für Pfarrer: Was können die Kirchen trotz Corona leisten?

© Foto: Lidia Piechulek

Müller: Ich wollte es auch nicht. Aber in der evangelischen Kirche trifft der Kirchenvorstand die Entscheidungen, da hat jeder eine Stimme und der Pfarrer hat auch nur eine.

Wie ist das in Ihrer Gemeinde gelaufen, Pfarrer Fischer? Haben Sie je Diskussionen darüber geführt, die Gottesdienste nicht mehr in den Kirchen zu halten?

Pfarrer Matthias Fischer: Der Grundgedanke war und ist bei uns: Wir bieten einfach an und die Entscheidung liegt letztlich immer bei dem, der kommt. Wir merken natürlich auch, dass wir in den letzten Wochen weniger Leute in den Gottesdiensten haben, sind aber mit bis zu 80 Gästen und bei der aktuellen Temperatur in der Kirche immernoch hervorragend besucht. Wir haben nur zehn Grad in der Kirche, das ist einfach sehr frisch für eine Stunde Gottesdienst. Es darf aber während der Messe nicht mehr geheizt werden.

Was können Sie gegen die Kälte tun?

Fischer: Wir testen, wie lange sich die Wärme hält, wollen aber auch Decken auslegen. Kurzgottesdienste sind außerdem gerade ein großes Thema, länger als 45 Minuten sollte es nicht dauern.

Müller: Wir machen auch Kurzgottesdienste, haben aber das Glück, dass wir im Gemeindehaus in den Wintermonaten eine Fußbodenheizung haben, die wir benutzen dürfen.

Die Angst davor, die Gläubigen und ihre Gesundheit zu gefährden, steht auf der einen Seite. Aber es gibt auch das Bedürfnis danach, in diesen schwierigen Zeiten Halt zu geben. Wie bringt man die beiden Pole zusammen?

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Fischer: Jeder muss selbst wissen, ob er es sich zutraut, an den Gottesdiensten teilzunehmen, und ob er unseren Hygienekonzepten vertraut. Da können wir nicht Einfluss drauf nehmen und sagen: Du bist 75, du darfst hier nicht mehr rein – das ist widersinnig.

Müller: Wir kümmern uns außerdem mit verschiedenen Formaten um diejenigen, die sich aktuell keine Präsenzgottesdienste vorstellen können.

Welche neuen Formate sind dann bei Ihnen seit dem Beginn der Corona-Pandemie entstanden?

Müller: Das Dekanat Pappenheim überträgt jeden Sonntag einen Videogottesdienst, der auf unserer Homepage erscheint. Ansonsten haben wir vor allem mit haptischen Sachen gute Erfahrungen gemacht – etwa mit dem "Gottesdienst in der Tüte", einem Konzept, dass sich meine Frau, Pfarrerin Jana Menke, ausgedacht hat. Das ist in etwa wie eine Andacht zum Mitnehmen, in der man Texte, ein Lied und eine Kerze, die man anzünden kann, vorfindet. So kann man Gottesdienst feiern, egal wo man ist, und auch für all jene eine Tüte mitnehmen, von denen man weiß, dass sie gerade nicht rausgehen.

Fischer: Wir haben begonnen, unsere Gottesdienste aufzuzeichnen. Allerdings nicht als Bild, sondern nur als Tonaufnahme. Da fühle ich mich einfach als Laie nicht gut genug aufgestellt.

Wurden diese Angebote auch angenommen, was haben Sie da für Erfahrungen gemacht?

Fischer: Das Hören wird super angenommen – da weiß ich sogar von Gläubigen, die von Südtirol aus zuhören. Die Klickzahlen auf unserer Homepage sind auch positiv.

Werden all diese Angebote nach Corona weiter Bestand haben werden?

Müller: Einiges davon auf jeden Fall. "Offline" kommt allerdings besser bei den Treuchtlingern an, weil sie sich dann besser mit ihrem Ort identifizieren können.

Fischer: Wir wollen zumindest einen der drei Gottesdienste, die ich am Wochenende halte, weiterhin aufzeichnen und online stellen. Wir bekommen manchmal sogar Anrufe von Menschen, die richtiggehend darauf warten.

Der Ort Kirche ist vielen wichtig

Was kann man wiederum online und mit Distanz nicht ersetzen?

Fischer: Ich denke, dass das Gemeinschaftsgefühl, wenn man in der Kirchenbank nebeneinander sitzt, noch einmal etwas anderes ist. Da haben die Gläubigen einen anderen Raum, eine komplett andere Atmosphäre und musikalische Gestaltung.

Müller: Das stimmt, die kirchlichen Rituale, etwa wenn wir die Eucharistie oder das Abendmahl feiern, lassen sich nicht ersetzen, das ist das eine. Zum anderen gibt es auch für mich als Pfarrer Dinge, die ich nicht am Telefon erledigen kann. Ein Gespräch zur Taufe etwa, oder Seelsorge – da wollen die Menschen einfach, dass ich komme.

Letztlich steckt hinter solchen Überlegungen ja auch die Frage: Wie viel Nähe braucht der Glaube? Haben Sie beide für sich selbst eine Antwort darauf gefunden?

Fischer: Als die Gottesdienste im Mai wieder losgegangen sind, hat man gemerkt, wie wichtig die Nähe den Gläubigen ist. Man sieht sich mal wieder, man plaudert vor und nach den Gottesdiensten. Das hat vielen einfach gefehlt. Wir haben in dieser Zeit von März bis Mai viele Leute gehabt, die trotz allem in die Kirche gekommen sind. Es war ihnen einfach wichtig, in diesem Raum zu sein und im Stillen, allein an diesem Ort Gottesdienst zu feiern.

Müller: Dem schließe ich mich an. Vielen hat auch geholfen, dass wir die Glocken zu den Gebetszeiten geläutet haben. So blieb der Ort Kirche für sie immer präsent und war außerdem zugänglich.

Normalität in den Gottesdienst bringen

Wie hat sich die Art und Weise verändert, in der Sie predigen?

Müller: Ich merke im Moment, dass ich im Gottesdienst zu viel über das Coronavirus spreche und die Leute das gar nicht mehr hören können. Daher habe ich mir jetzt vorgenommen, das Virus nicht immer als Beispiel heranzuziehen. Ich predige außerdem kürzer und prägnanter und finde, diese Konzentration ist eine Chance, um das wirklich Wichtige herauszukristallisieren.

Fischer: Also ich habe Corona sehr wenig thematisiert. Ich gab am Anfang lediglich Hygienehinweise und versuche ansonsten, relative Normalität in den Gottesdienst einzubringen. Es gibt ja auch andere Themen, die zum alltäglichen Leben gehören, und diese versuche ich, in den Mittelpunkt zu stellen.

Was können Sie als Pfarrer leisten in diesem Lockdown, der ja für viele Isolation und eine gewisse Einsamkeit bedeutet?

Müller: Eigentlich das, was als Pfarrer grundsätzlich zu unseren Aufgaben gehört: Menschen begleiten, und zwar auch in Krisensituationen – eine rituelle und geistige Form anzubieten, wie man mit der aktuellen Situation umgehen kann. Wir als Kirche haben die Chance, dass wir auch weiterhin Nähe spenden können. Fischer: Diese Nähe ist leider etwas, dass jetzt in den Altersheimen wieder fehlt. Man hat einfach gespürt, wie die Bewohner das brauchen, als wir in den Sommermonaten Innenhof-Gottesdienste machen durften.

Corona ist ja für viele auch eine psychische Belastungsprobe. Müssen Sie heute mehr Trost spenden als früher?

Müller: Gerade im Frühjahr schien jeder damit beschäftigt, seine Dinge selbst in den Griff zu bekommen. Ich bekomme als Pfarrer allerdings viel mehr Trost von meinen Gemeindemitgliedern als je zuvor. Die Kommunikation ist offener geworden, und man spricht sich auch einmal Lob aus. Ich habe eigentlich gar nicht so viel geben können, wie ich das gern getan hätte, aber umgekehrt kam sehr viel zurück.

Fischer: Ich habe mich in der Notfallseelsorge des Landkreises engagiert und hatte dort insgesamt etwa acht Einsätze, die je eine Stunde gedauert haben. Und ich hatte keinen einzigen Anruf.

Müller: Das war tatsächlich auch mal eine interessante Erfahrung: Dass man gedacht hat, man würde gebraucht, aber man wurde tatsächlich nicht gebraucht.


Treuchtlinger Kantorei feierte 2020 ihren 100. Geburtstag ohne Gäste


Vielleicht war in den Köpfen der Treuchtlinger da einfach nicht die Möglichkeit präsent, dass man sich auch proaktiv bei seinem Pfarrer melden kann?

Müller: Mag sein. Das war aber für uns auch ein gewisses Warnsignal, welches uns zu denken gegeben hat.

Weil man sich im ersten Moment fragt: Liegt es an mir?

Müller: Man darf nicht immer alles auf sich beziehen, aber: Anscheinend ist die Relevanz von Kirche in der Gesellschaft nicht mehr so, wie sie früher einmal war. Und das hat man da einmal richtig zu spüren bekommen, ganz nach dem Motto: "Wenn ich nicht aktiv werde und auf die Menschen zugehe, dann kommt auch keiner zu mir."

Nun zum Advent, am Sonntag ist es ja schon so weit. Wie werden wir die Weihnachtsmessen in diesem Jahr feiern?

Fischer: Unser Konzept bis zum 6. Januar steht bereits komplett. Wir sind mittlerweile von der Idee abgerückt, Freiluftgottesdienste zu veranstalten – 20 Minuten wären theoretisch machbar gewesen, allerdings hätte uns das Wetter in die Quere kommen können. Wir halten heuer also eine Kindermesse am 24. Dezember, eine Christmette eins und eine zusätzliche Christmette an Heiligabend. Außerdem wird es heuer einen zusätzlichen Gottesdienst am ersten Feiertag geben.


Weihnachten und Corona: Kirche plant alternative Gottesdienst-Konzepte


Müller: Wir werden diesmal unser Angebot verdoppeln und hoffen, dass wir damit alle unterkriegen. Letztes Jahr hatten wir 1000 Leute an Heiligabend, ich kriege heuer aber nur 80 bis 100 Leute gleichzeitig rein. Wir machen daher mehr Gottesdienste, feiern aber kürzer. Das Ziel ist es, jedem die Chance zu geben, an Weihnachten Gottesdienst zu feiern.

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