Teure "Kunst" am Treuchtlinger Bahnhof

22.8.2017, 06:05 Uhr
Teure

© Jan Woitas/dpa

Im Tiefflug rattert der blaue Hubschrauber der Bundespolizei Anfang August über die Innenstadt. Die Beamten suchen Spuren, um eine Straftat aufzukären, die in der Nacht am Treuchtlinger Bahnhof begangen wurde. Unbekannte haben ein sogenanntes Wholecar gestaltet. Der Begriff steht in der Graffiti-Szene für einen Eisenbahnwaggon, der von oben bis unten vollgesprüht wurde. In der Szene genießen solche „Arbeiten“ hohes Ansehen. Für alle anderen sind es nur Schmierereien.

Diese Form der Sachbeschädigung von Zügen fällt in die Zuständigkeit der Bundespolizei. In der Nürnberger Inspektion kümmert sich Georg Sauer als Graffitispezialist um die Aufklärung der Taten. „Jeder Sprayer hinterlässt seine Markenzeichen auf den Zügen“, so Sauer. Das können verschiedene „Tags“ sein, die wie Unterschriften aussehen, oder „Pieces“, große und farbige Buchstaben, oft mit einer persönlichen Botschaft.

War es in den vergangenen Jahren auf dem Land relaiv ruhig in Sachen Graffiti, so häufen sich am Bahnhof in Treuchtlingen seit September 2016 die Fälle. Meistens trifft es Personenzüge, die über Nacht auf den Gleisen beim Pendlerparkplatz abgestellt sind. Sechs Mal wurden dort heuer schon Waggons besprüht, 20.000 Euro beträgt der Schaden. Allein das Wholecar von Anfang August hat 15.000 Euro Reinigungskosten verursacht – Geld, das die Bahnkunden über die Fahrpreise bezahlen müssen.

Einen Quadratmeter besprühten Zug zu reinigen, kostet etwa 50 Euro, weiß Georg Sauer. Mit einfachen Putzmitteln ist es nicht getan. Auf die Schmierereien kommt ein spezielles Reinigungs-Gel, das die Sprühfarbe aufnimmt. Die Mitarbeiter der Bahnwerkstatt können nur mit Schutzanzügen arbeiten und müssen den Waggon ordentlich abschrubben. Allzu oft geht das nicht, denn sonst wird der Lack des Zuges angegriffen. Das Abwasser wird in einem gesonderten Behälter gesammelt und speziell entsorgt.

Jugendliche suchen den Kick

Wer erwischt wird, muss den Schaden bezahlen. Die Bahn stellt dazu einen sogenannten Schuldtitel aus. Dreißig Jahre nach der Tat kann der Urheber der Schmiereien noch belangt werden und muss den Schaden begleichen. „Die Bahn ist da ziemlich kulant und bietet auch Ratenzahlung an“, sagt Sauer.

Doch wer sind die Menschen, die sich meistens nachts auf das Bahngelände schleichen und an den Zügen austoben? „Es sind vor allem Männer zwischen 15 und 25 Jahren“, weiß Sauer aus Erfahrung. Die jungen Erwachsenen suchen den Kick, etwas Verbotenes zu tun, das manchmal auch tödlich endet. So kommt es immer wieder vor, dass Sprayer auf der Flucht über die Bahngleise von einem Zug erfasst werden.

Während Personenzüge möglichst schnell aus dem Verkehr gezogen werden, um das „Kunstwerk“ der Sprüher nicht in der Gegend herumfahren zu lassen, fahren Güterwaggons oft verunstaltet weiter. Da sie große Strecken in Europa zurücklegen, bekommt der Eigentümer oft erst spät mit, dass sein Wagen besprüht wurde.

Ein viel größeres Problem bereiten der Bahn Graffiti an Schallschutzwänden. Während Züge schnell in die Waschanlage gefahren werden können, ist die Reinigung der Wände sehr kompliziert. „Sie müssen zweimal überstrichen werden, um alle Spuren zu beseitigen. Doch um überhaupt an die Wand heranzukommen, muss der Zugverkehr komplett gesperrt werden“, sagt Sauer.

Neben den Reinigungskosten ist das Besprühen meistens noch eine Ordnungswidrigkeit, da Unbefugte das Bahngelände nicht betreten dürfen. Wer erwischt wird, zahlt mindestens 25 Euro Bußgeld. Zudem ist das Besprühen eine Sachbeschädigung – die Strafen reichen von Wochenendearrest bis hin zu zwei Jahren Gefängnis.

Viel schlimmer als die Strafen der Justiz ist das, was droht, wenn die Sprüher von einem Zug erfasst werden. „Der Bremsweg eines 100 Kilometer in der Stunde schnellen Zuges kann bis zu 1000 Meter betragen“, sagt Thomas Gigl, Pressesprecher der Nürnberger Bundespolizei. Viele Menschen unterschätzen dieses Risiko. Gigl warnt davor, die Gleise zu betreten, auch wenn vermeintlich kein Zug kommt. „Den Fahrplan der Güterzüge kennt nur die Bahn. Je nach Windrichtung können sie sich fast lautlos nähern.“

Sprayer sind schwer zu schnappen

Polizist Sauer gesteht ein, dass es schwierig sei, einen Sprayer im Nachhinein zu überführen. Wenn jemand geschnappt wird, dann meistens auf frischer Tat. Die zunehmende Videoüberwachung in den Zügen habe zwar dafür gesorgt, dass darin nicht mehr so viel beschädigt wird. Doch sämtliche Gleisanlagen außerhalb zu überwachen, sei nicht möglich. „Außerdem sind viele Sprayer im Gesicht vermummt, sodass sie nicht leicht zu erkennen sind.“

Graffitispezialist Sauer bittet Zeugen, mögliche Vorfälle sofort der Polizei unter der Telefonnummer 110 zu melden. Zwar ist die Bundespolizei zuständig, doch die Landespolizeiinspektion in Treuchtlingen ist meistens als erstes am Ort und stellt die Schmierereien fest. Für die restliche Stadt gibt Treuchtlingens Inspektionschef Dieter Meyer Entwarnung. Außerhalb des Bahnhofsgeländes toben sich die selbsternannten Künstler bislang nicht aus.

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