Treuchtlingen könnte heute Hafen sein

21.1.2017, 06:11 Uhr
Treuchtlingen könnte heute Hafen sein

© Jonas Barandun

Vor gut 100 Jahren befand sich das südlichste Mittelfranken in einem enormen Aufschwung. Treuchtlingen war einige Jahre zuvor vom Prinzregenten Luitpold zur Stadt erhoben worden. Die Bahnstrecke Nürnberg-Treuchtlingen-Ingolstadt hatte der Region Wohlstand gebracht. Und die 1906 eröffnete Trasse Richtung Donauwörth machte die Stadt zum Eisenbahn-Knotenpunkt. Alle Weichen schienen für eine gute Zukunft Treuchtlingens gestellt. Im Magistrat herrschte außerordentliche Aufbruchstimmung. Die junge Stadt wuchs mit Riesenschritten.

Für den Aufschwung war sicher Prinzregent Luitpold mit verantwortlich, der einer Legende nach an den Treuchtlingen Bratwürsten einen Narren gefressen hatte. Er war ausgesprochen volksnah und beliebt, sorgte bayernweit für Fortschritt. Im historischen Rückblick war er wohl auch der Wegbereiter des Wandels weg von der Monarchie hin zur Demokratie.

In diese Zeit fielen auch Pläne, die Flusssysteme von Donau und Rhein zu verbinden. Keimzelle war der 1892 gegründete „Verein zur Hebung der Fluß- und Kanalschiffahrt in Bayern“. Der sah für den Bau einer neuen Großschifffahrtsstraße volkswirtschaftlichen Bedarf. Die Industrialisierung machte leistungsfähige Transportwege nötig, und der Erste Weltkrieg beförderte diese Notwendigkeit zusätzlich.

Das Ganze hatte auch eine militärische Bedeutung: eine „freie Donau“ und ungehemmten Verkehr von Meer zu Meer sowie „in Fühlung zu kommen“ mit den Bundesgenossen, damals Österreich-Ungarn. Das alles ist im Archiv des Treuchtlinger Kuriers erhalten und wortreich nachzulesen.

Es wäre ein Mammutprojekt geworden. Der Kanal sollte mit dem Ausbau von Donau und Main 734 Kilometer lang werden und für 1200-Tonnen-Schiffe befahrbar sein. Er sollte der Mainlinie bis Bamberg folgen, dann dem alten Kanal bis Nürnberg und von dort in südlicher Richtung auf der Spur Karls des Großen über Roth, Weißenburg, Treuchtlingen, Pappenheim und Solnhofen führen. Als Argumente für diese Trasse wurden die nicht unerhebliche Industrie in Weißenburg und auch die Steinbrüche angeführt.

Im Januar 1917 wurde vom Königreich beschlossen, beim bayerischen Verkehrsministerium ein eigenes Kanalbauamt zu schaffen. Diesem Amt sollten 14 Projektierungsabteilungen unterstellt werden, die jeweils für rund 50 Kilometer Strecke zuständig sein sollten. Für den hiesigen Abschnitt wurde neben Roth auch Treuchtlingen als Standort gehandelt.

Treuchtlingen könnte heute Hafen sein

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Wie weit die Pläne gediehen waren, zeigt eine königliche Verordnung vom 1. Juni 1917 zur Schaffung einer Neubauinspektion in Treuchtlingen. Die Stadt hatte dazu einen Zuschuss zu leisten und hätte sich auch an den Planungskosten zum Kanalbau beteiligen müssen. Die Städte am Kanal hätten insgesamt drei Millionen Reichsmark Planungskosten tragen müssen, der bayerische Staat hätte zwei Millionen übernommen.

Es gab zwar immer noch konkurrierende Streckenführungen, in der Regierungsvorlage war aber die Variante über Treuchtlingen vorgesehen. Es wurde bereits über Enteignungsmöglichkeiten diskutiert.

Es gab aber auf dem flachen Land nicht nur Unterstützer der Kanal-Idee. Vor allem die Landwirte hatten Angst, nach dem Kanalbau Konkurrenz aus billigeren Agrarländern zu erhalten. Es sind eben immer dieselben Diskussionen, die in Volkswirtschaften geführt werden...

Allein der Erste Weltkrieg und dessen wirtschaftliche Folgen machten dem Projekt zunächst den Garaus. Das Königreich Bayern gab es nach der Novemberrevolution von 1918 nicht mehr. In einem Staatsvertrag zwischen Bayern und dem Deutschen Reich war der Kanalbau allerdings als „Main-Donau-Staatsvertrag“ immer noch enthalten. Zwischen den Kriegen wurden dann Main und Donau unter der Regie der „Rhein-Main-Donau-Aktiengesellschaft“ ausgebaut. Dabei drehte sich zunächst alles um den Ausbau der Wasserkraft. Vor dem Zweiten Weltkrieg gab es nur zusätzliche Vermessungsarbeiten.

In der Diskussion bis hin zum Bau des modernen Donau-Main-Kanals war die Idee, die Wasserstraße über Treuchtlingen zu führen, allerdings bereits nach dem Ersten Weltkrieg verworfen worden – zugunsten der heutigen Trassenführung.

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Der Kanal – eine europäische Idee

Die Idee, Donau und Main zu verbinden, ist so alt wie „Europa“. Karl der Große war der Erste, der sich daran versuchte – zumindest nach den bisherigen historischen Erkenntnissen. Nach ihm gab es erst im 17. Jahrhundert neuerliche Überlegungen, die dann immer wieder aufgegriffen und zurückgestellt worden waren. Erst König Ludwig I. machte ernst und baute den eher kleinen „Ludwig-Donau-Main-Kanal“ zwischen Kehlheim und Bamberg, der 1845 freigegeben wurde. Der allerdings schaffte es wegen des aufkommenden Schienenverkehrs nie richtig zur Bedeutung. Der Betrieb wurde 1950 eingestellt.

Parallel wurde mit dem Bau des heutigen Donau-Main-Kanals begonnen. 1959 starteten die Arbeiten im Abschnitt zwischen Bamberg und Nürnberg. Diese Teilstrecke war 1972 fertig. Die Teilstrecke Nürnberg-Roth wurde 1985 eröffnet. Nach der Fertigstellung der Bereiche Roth-Mühlhausen und Riedenburg-Dietfurt im Jahr 1991 fehlten nur noch 20 Kilometer nach Kehlheim, die 1992 freigegeben wurden – genau 1199 Jahre nach dem Kanalbauprojekt Karls des Großen. Die wirtschaftliche Bedeutung des großen Kanals hält sich allerdings bis heute in Grenzen und ist eher weiter rückläufig – während der Transport auf der Straße nach wie vor boomt.

Insofern war der zu seiner Zeit berühmte deutsche Ingenieur Joseph Freiherr von Baader ein Visionär. Er sprach sich bereits vor 200 Jahren gegen den Bau des damaligen Ludwig-Donau-Main-Kanals aus zuguns­ten des Ausbaus von Straßen- und Schienenwegen (die Eisenbahn gab es damals ja noch nicht). Er sollte Recht behalten mit seiner volkswirtschaftlichen Einschätzung.

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