Treuchtlingens Frauenarzt schließt ohne Nachfolger

4.12.2020, 06:01 Uhr
Treuchtlingens Frauenarzt schließt ohne Nachfolger

© Foto: Lidia Piechulek

Wenn Dr. Giovanni de Gregorio sich heute daran erinnert, wie er vor 17 Jahren nach Treuchtlingen kam, dann trübt sich sein Blick. Das Gesicht des 68-Jährigen nimmt einen befangenen Ausdruck an, als er sagt: "Mein Ziel war von Anfang an klar abgesteckt." De Gregorio hat sich vor langer Zeit schon vorgenommen, aus seiner Praxis auszusteigen, solange er noch gesund ist.

Weil sein Vorgänger mit Mitte 50 eine schlimme Diagnose erhielt, war de Gregorios Umzug vor vielen Jahren für die Stadt Treuchtlingen wie ein Geschenk des Himmels. Dass der gebürtige Freiburger hier hergekommen ist, habe er "nie bereut", beteuert er. Für ihn sei es damals ein Freiheitsgefühl gewesen: eine eigene Praxis, die man nach Belieben gestalten und weiter ausbauen kann.

Selbstständige Praxen sind nicht mehr beliebt

"Heute wird das als Ballast empfunden", erklärt er resigniert. Es ist das traurige Resümee seiner Nachfolger-Suche, der er sich zwei Jahre lang erfolglos gewidmet hat. Dr. de Gregorio hat eine fünfstellige Summe in die Hand genommen, um Head Hunter zu engagieren sowie in Praxisbörsen Stellenanzeigen zu inserieren. Das Ziel war es, seine Patientinnen in geregelten Verhältnissen zu hinterlassen – mit einem Nachfolger, der sich in das gemachte Nest setzt.

Drei Interessentinnen seien kurz davor gewesen, seine Nachfolge anzutreten, erzählt der scheidende Frauenarzt. Doch letztlich habe der Ehemann kurzfristig eine andere Stelle angetreten oder der Zeitpunkt der Praxisübernahme kollidierte mit der Familienplanung. Über die Gründe für das grundsätzlich geringe Interesse an einer Praxisübernahme hat de Gregorio ausführlich nachgedacht. Zum einen habe die Metropolregion Nürnberg eine Sogwirkung für viele Ärzte, die vor der Niederlassung stehen, glaubt er. Dort gibt es auch attraktive Stellenangebote für den jeweiligen Lebenspartner. "Die De-Urbanisierung, die viele als Folge der Corona-Pandemie heraufbeschwören, könnte schon noch in Treuchtlingen wirken", räumt er zwar ein. Allerdings wird es in seinen Augen noch einige Zeit dauern, bis tatsächlich mehr Menschen in die ländlichen Gebiete umziehen.


Augenärzte werden im Landkreis dringend gesucht


Problematisch findet de Gregorio auch die Tendenz der Krankenhäuser, ärztliches Personal dauerhaft zu binden. Zu seiner Zeit sei es noch normal gewesen, dass man sich nach der Facharzt-Prüfung eine anderweitige Anstellung suchen musste. Mittlerweile gebe es aber auch am Krankenhaus Personalprobleme, sodass diese die Fachärzte häufig unbefristet unter Vertrag nehmen.

Im Endergebnis hat Giovanni de Gregorio sich nun dazu entschlossen, seine Frauenarztpraxis zum 31. Dezember endgültig zu schließen. Seine Möbel werden dann geschreddert, die Geräte verkauft und sämtliche Dokumente gibt er weitestgehend seinen Patientinnen mit.

Auch andere Ärzte suchen

"Ich habe an sie appelliert, sich frühzeitig einen Ersatz zu suchen und Termine auszumachen", erzählt er. Für ihn ist es stets etwas besonderes gewesen, Treuchtlingerinnen zu betreuen. Denn durch seine jahrelange Tätigkeit hat er oft ganze Familien betreut – Schwestern, die später zu Müttern wurden und schließlich sind auch deren Töchter in seine Praxis aufgenommen worden. "Es ist ein leiser Abschied, und der tut weh", fasst de Gregorio zusammen.

Die Versorgungsquote im Landkreis liegt trotz seiner Pensionierung noch immer bei 100 Prozent – aber in Treuchtlingen gibt es niemanden, der all die Frauen behandeln könnte. Dr. Cornelia Gotthardt, die als einzige am Standort verbleibt, betreibt ihre Praxis nur an wenigen Tagen und hat ihren Hauptsitz in Gunzenhausen. Zudem ist auch sie über 60 Jahre alt – perspektivisch könnte Treuchtlingen also bald ganz ohne Versorgung für die Frau dastehen.

Aber wie sieht die Arztsituation in den übrigen Bereichen aus? Laut Rathaus-Chefin sei Treuchtlingen "grundsätzlich ganz gut aufgestellt" – Dass es keinen Augenarzt mit kassenärztlicher Zulassung gab, habe ihr Sorgen gemacht, doch nun sei ja jemand gefunden. Kinderarzt Dr. Wolfgang Huhn ist heuer 70 Jahre alt geworden und sucht ebenfalls einen Nachfolger – der eigentlich schon gefunden wurde, nun aber doch wieder abgesprungen ist. Mittlerweile hat Kristina Becker Kontakt zu Dr. Huhn aufgenommen und unterstützt mit ihrem eigenen Netzwerk bei der Suche.

Auf Nachfrage des Treuchtlinger Kurier gab die Bürgermeisterin an, dass sie dabei sei, sich bei Ärzten und ehemaligen Studienkollegen umzuhören. Sie könne die Probleme bei der Nachfolgesuche nachvollziehen: Zum einen verdienen Kinderärzte deutlich weniger als Orthopäden, haben aber sehr viele Patienten, lange Sprechzeiten und dadurch eine hohe Arbeitsbelastung.

Das passt nicht gut mit dem Wunsch nach einer familienfreundlichen Teilzeitstelle oder Begriffen wie "Work-Life-Balance" zusammen, die angehenden Ärzten heutzutage viel wichtiger sind, glaubt sie. Ein Umstand, den de Gregorio bei seiner zermürbenden Suche nach einem neuen Frauenarzt tatsächlich festgestellt hat.

Sind MVZs ein Ausweg?

Da haben es die medizinischen Versorgungszentren (MVZ), die es in größeren Städten gibt, heute viel leichter, jemanden zu finden. Familienfreundliche Arbeitszeiten, Freizeit, geteilte Verantwortung und keine Nachtschichten – "Sie werben die Jungen mit solchen Versprechungen ab", erklärt der scheidende Frauenarzt. Er sieht die Politik in der Pflicht – und ist sich sicher, dass die selbstständigen Arztpraxen nach und nach verschwinden werden, wenn sich nicht grundsätzlich etwas verändert; und zum Beispiel der Numerus Clausus gekippt wird.

Die erste Bürgermeisterin gibt an, dass die Gründung eines MVZ auch in Treuchtlingen dazu beitragen könnte, Problemen bei der Praxisübernahme langfristig beizukommen – ob ein solches am Standort entstehen könnte, ist aber fraglich.

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