Vorbild Treuchtlingen: Schule inklusiv und digital

8.12.2017, 06:04 Uhr
Vorbild Treuchtlingen: Schule inklusiv und digital

© Patrick Shaw

Im Klassenzimmer der 4a, ganz oben unterm Dach der Treuchtlinger Grundschule, geht es heute um Delfine. Ein paar Gänge weiter lernt die 3b, wie ein Fuchs aussieht und lebt. Zweimal Sachkundeunterricht, aber zweimal unter ganz anderen Vorzeichen.

Denn die 4a lernt gemeinsam mit den Kindern des Sonderpädagogischen Förderzentrums. Beide Klassen haben zwar ihr eigenes Zimmer, aber die sechs leistungsschwächsten Grund- und die sechs stärksten Förderschüler haben heute vorübergehend den Raum getauscht. Dazwischen liegt ein dritter Bereich, den die Schüler beider Klassen selbstständig nutzen können, um in Ruhe oder gemeinsam zu arbeiten. Raumhohe Fenster und Glastüren verbinden die drei Zimmer zu einem einzigen, inklusiven Lernort.

Monika Murphy von der privaten Grund- und Mittelschule „Liebfrauenhaus“ in Herzogenaurach findet das super. Ihre Schule war vergangenes Jahr für den Deutschen Schulpreis nominiert. Aber die Arbeitsweise der Treuchtlinger Grundschule mit zwei integrativen Klassen in drei Räumen „kannte ich so noch nicht“, erklärt die junge Lehrerin.

Eine ähnliche Offenheit herrscht auch in der Aula und der angrenzenden Lern- und Lesewerkstatt. Immer wieder kommen die Lehrer mit ihren Schülern während des Unterrichts dorthin, um zu lesen, an Projekten zu arbeiten, zu spielen und zu diskutieren. Dabei begegnen die Mädchen und Jungen ständig Mitschülern, die ebenfalls lesen, lernen und experimentieren, werden neugierig und bekommen Lust, selbst aktiv zu werden – sogar während der Pausen. Dass es bei mehr als 40 Kindern im Raum so ruhig und konzentriert zugeht, dass man eine Stecknadel fallen hören könnte, zeigt, wie gut das funktioniert.

„Lernräume öffnen und gestalten“ hat die Grundschule das Konzept überschrieben. „In der Lernaula, der Lern- und Lesewerkstatt und den Inklusionsräumen zwischen den Klassenzimmern liegt der pädagogische Angelpunkt unserer Schule“, erklärt Rektor Herbert Brumm. „Es sind Räume, die Aufforderungscharakter zum Austausch und Arbeiten haben. So wollen wir für unsere sehr heterogene Schülerschaft Zugänge zum Lernen schaffen, die dem Horizont jedes Einzelnen am nähesten kommen.“ Sichtbares Lernen verändere die Lernkultur und Lernbereitschaft. Es gehe nicht mehr nur um Ergebnisse, sondern vor allem um den Weg dorthin und die gegenseitige Motivation.

Vorbild Treuchtlingen: Schule inklusiv und digital

© Patrick Shaw

Ebenso wichtig wie eine offene, attraktive Lernumgebung sind laut Brumm auch „die Zusammenarbeit der Lehrer und das didaktische Material mit verschiedenen Schwierigkeitsstufen und individuellen Zugängen“. Sehr erfolgreich sei die Schule bei der Nutzung digitaler Hilfen wie Tablet-Computer für Schüler und Lehrer.

Einer von letzteren ist gerade in der Klasse 3b im Einsatz. Hier ist die Herausforderung nicht die Inklusion von Förderschülern, sondern die extrem hohe Zahl an Migrantenkindern. 23 der 28 Drittklässler sind erst seit kurzem in Deutschland oder haben Eltern, die kaum Deutsch sprechen. Auch Kinder aus Kriegsgebieten sind darunter, eines zum Beispiel, dessen Vater in Syrien erschossen wurde. Insgesamt liegt der Anteil an Grundschülern mit Migrationshintergrund in der Treuchtlinger Kernstadt bei 60 Prozent, zusammen mit den Dorfschulhäusern in Wettelsheim und Schambach immer noch über 40 Prozent.

In der 3b sitzen darüber hinaus fünf Schüler mehr als durchschnittlich. Das macht es nicht gerade leichter, kein Kind zu kurz kommen zu lassen. Hier helfen Praktikanten, Lehrer mit Drittkraftverträgen und Lernpaten, die Schüler individuell zu fördern.

Ein echter Tausendsassa ist dabei das iPad, auf dem Lehrerin Gabriele Bösel gerade die Anatomie des Fuchses zeigt. Auf ein kleines Plexiglas-Pult gelegt, fungiert es als Projektor, kann gleichzeitig Lernmaterial und Filme abspielen und hat Zugang zum Internet. Wenn die Kinder Referate halten, erstellen sie ihre Präsentation entweder gleich am Rechner, oder die Lehrer fotografieren mit dem Tablet die Plakate ab und projizieren sie an die Wand. In einer Datenbank sind alle Schülerarbeiten zudem stets für Mitschüler und Lehrer abrufbar.

Die fünf Gäste aus Herzogenaurach sind jedenfalls sichtlich interessiert an den Treuchtlinger Lernideen. „Oft sind es Kleinigkeiten, die uns weiterbringen“, sagt Michael Richter und schießt eifrig Handyfotos von allem, was ihm und seinen Kolleginnen neu erscheint. Die „Lesewerkstatt“ könnten sie sich beispielsweise auch gut an ihrer Schule vorstellen. Stolz weist Herbert Brumm zudem auf den Titel „Umweltschule in Europa“ hin, den seine Schule mittlerweile zum 16. Mal erhalten hat – Rekord in Bayern.

Im Rahmen der „Bildungspartnerschaft der Hermann Gutmann Stiftung ist die Treuchtlinger Grundschule eine von 16 ausgewählten Schulen (darunter nur drei Grundschulen) aus ganz Mittelfranken, die sich schulart­übergreifend austauschen und voneinander lernen. Die Universitäten Erlangen und Eichstätt begleiten diesen Prozess wissenschaftlich. Demnächst kommt als weiterer Partner noch die Mittelschule in Weißenburg hinzu.

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