Wenn der Terror im Kinderzimmer ankommt

24.12.2016, 06:04 Uhr
Wenn der Terror im Kinderzimmer ankommt

© Patrick Shaw

„Warum tun die sowas?“, will der vierjährige Ben wissen. Gerade hat er im „Stuhlkreis“ erzählt, dass er gestern in den Nachrichten die Terror-Bilder aus Berlin gesehen hat. Nur ganz kurz, dann hat ihn Mama aus dem Zimmer geschickt. Doch das Gesehene kann er nicht vergessen. „Weil sie zu den Bösen gehören“, antwortet ihm die ein Jahr ältere Selina (alle Namen geändert). Das ist für sie sonnenklar, so wie es auch beim Spielen im Kindergarten „die Guten“ und „die Bösen“ gibt. Und vor den Bösen muss man Angst haben – oder etwas gegen sie tun.

Angst statt weihnachtlichem Leuchten in den Augen? Das wollen die Erzieherinnen in den Treuchtlinger Kindertagesstätten auf jeden Fall vermeiden. Ihre Schützlinge belügen und ihnen eine heile Welt vorgaukeln wollen sie aber auch nicht. „Wenn sie von sich aus fragen, bringen wir die Zeitung mit und sagen ehrlich, wie es ist“, erklärt die Leiterin des städtischen Kindergartens in der Hochgerichtstraße, Gisela Meyer. „Wir sagen ihnen, dass es auf der Welt auch böse Menschen gibt, die anderen weh tun wollen, dass wir dagegen nichts machen können, aber dass wir im Kindergarten deshalb lernen, gut miteinander umzugehen.“

Die häufigste Reaktion bei den Knirpsen: „Gottseidank passiert so etwas nicht bei uns!“ Die Besorgnis darüber sei eher bei den Eltern zu spüren, sagt Meyer, sodass heuer zum Beispiel sieben Kinder nicht mehr mit zum Christkindlesmarkt durften. Die Wahrnehmung der Kleinsten hänge stark davon ab, „wie in der Familie mit dem Thema umgegangen wird“.

Schlimmer als Krieg und Terror ist der Einrichtungsleiterin zufolge für viele Kinder allerdings die Vorstellung, Hunger leiden zu müssen. Gerade in der Weihnachtszeit „ist ihnen das näher, wenn sie hören, dass andere Kinder nicht genug zu essen haben.“ Deutliche Spuren habe voriges Jahr auch der Flugzeugabsturz der Germanwings-Maschine in den Alpen hinterlassen, den die Mädchen und Buben später im Kindergarten sogar nachgespielt hätten.

Wir besprechen nur, was der Kinderseele nicht zu weh tut

Ein bewährtes Mittel, um mit den Kindern über ihre Sorgen zu sprechen, ist der „Stuhlkreis“. Ihn gibt es auch im Kindergarten „Die kleinen Strolche“ in Schambach. Geredet wird dort über „alles, was von den Kindern kommt“, erklärt Leiterin Marga Harbatschek. Allerdings überlegen sich die Erzieherinnen gut, wie tief sie einsteigen. „Wir besprechen nur, was der Kinderseele nicht zu weh tut.“

Ein solches grenzwertiges Thema war vor zweieinhalb Jahren beispielsweise der Treuchtlinger Familienvater, der seine Kinder aus dem Fenster geworfen hatte. Selbstständig aufmerksam auf schlimme Ereignisse machen die Kindergärtnerinnen aber nicht, sodass gerade im Weihnachtstrubel längst nicht jede Schreckensnachricht den Weg in die Tagesstätte findet.

In der evangelischen Einrichtung in Schambach wird gerade vor Weihnachten auch für die Opfer von Unrecht und Gewalt gebetet. „Die Kinder formulieren die Inhalte selbst“, erzählt Harbatschek. Darunter seien dann durchaus Wünsche wie „nicht erschossen werden“, „nicht eingesperrt werden“ und „nicht verhungern“.

Anders als der schwer durchschaubare „Terror“ ist der Begriff „Krieg“ der Kindergartenleiterin zufolge schon für Fünfjährige sehr greifbar. Sie kennen ihn aus dem Fernsehen, und auch beim Spielen gehe es immer wieder um „Waffen“ – auch wenn die Erzieherinnen den kleinen „Kriegern“ stets einschärfen, „dass man nur auf eine Zielscheibe und nicht auf andere Menschen schießen darf“.

Die Kinder spüren lassen, dass die Welt nicht nur gut ist

Andere Themen wie etwa die Flüchtlingskrise gehen an dem ländlichen Kindergarten fast spurlos vorbei. Während die Kollegen im städtischen Kindergarten darauf ein waches Auge haben, finden Marga Harbatschek und ihr Team, dass „etwas mehr Fremdes hier manchmal eher gut tun würde“.

Wichtig findet Brigitte Stangenberg, Leiterin der evangelischen Tagesstätte „Unter dem Regenbogen“, nicht zuletzt, die Eltern in die Aufarbeitung einzubinden. „Kinder im Kindergartenalter gehören nicht vor den Fernseher, wenn die Nachrichten laufen“, ist sie unter anderem überzeugt.

Trotzdem dürfe man „Tacheles reden und die Kinder spüren lassen, dass die Welt nicht nur gut ist und auch wir Erwachsenen manchmal nicht wissen, warum etwas passiert“. Bisweilen seien Vergleiche hilfreich, etwa mit Verkehrsunfällen, die für Kinder nachvollziehbarer seien. Oder es sei lehrreich, Gleichaltrige aus anderen Ländern und Kulturen kennenzulernen.

Ein „Rezept“ für den Umgang mit Krieg und Gewalt gegenüber Kindern gibt es laut Stangenberg letztlich nicht, außer „ganz viel mit ihnen zu reden“. An der schrecklichen Wahrheit führe dabei meist kein Weg vorbei, auch wenn es häufig besser sei, allzu verstörende Aspekte wegzulassen, um keine Ängste zu schüren. Das Motto für Gespräche wie diese liefert nicht zuletzt die Weihnachtsbotschaft: „Fürchtet Euch nicht!“

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