Wie sollen die Treuchtlinger wohnen?

6.7.2017, 06:05 Uhr
Wie sollen die Treuchtlinger wohnen?

© Patrick Shaw

Satteldach, Pultdach, Flachdach oder alles auf einmal? Rot oder schwarz? Anbauten oder nicht einmal Gartenhäuschen? Flache oder hohe Fenster? Mauer oder Zaun? Wie Neubauten aussehen sollten, steht mal mehr, mal weniger genau im Bebauungsplan. Und es ist für Bauwillige und Nachbarn Anlass hitziger Debatten. Die einen hätten gern ein einheitliches, regionaltypisches Ortsbild, die anderen pochen auf die individuelle Freiheit und das Recht, mit ihrem Geld bauen zu dürfen, was ihnen gefällt.

Konkret war dies Anlass für die Treuchtlinger Stadtverwaltung, die Bestimmungen für zwölf neue Bauplätze im Gebiet „Winkel Süd“ (wir berichteten) etwas zu lockern. Immerhin möchte die Stadt wachsen, hofft auf Zuzug von Pendlern aus der Boomregion Ingolstadt und bekommt auch Druck aus den Ortsteilen, neue Baugebiete zu schaffen. Da will man potenzielle Bauherren nicht vergraulen.

Laut Thomas Schäff vom Stadtbauamt sind die beschlossenen Änderungen an die Festsetzungen des jüngst bebauten „Stöckermann-Gebiets“ am Brühl angelehnt und „überschaubar“. Bis zum Herbst sollen sie „in trockenen Tüchern“ sein. Auch der Stadtrat habe sich immer wieder „gewünscht, nicht dauernd über kleinere Befreiungen entscheiden zu müssen“.

Neu ist im Wesentlichen, dass künftig neben Sattel- und versetzten Pultdächern auch „echte“ Pultdächer zulässig sind. Deren Firstrichtung muss auch nicht mehr parallel zur Straße verlaufen, sondern kann um 90 Grad gedreht werden. Die minimale Dachneigung wird flacher, Flachdächer sind aber weiterhin verboten. Eine ziegelrote Deckung ist ebenfalls nicht mehr Pflicht – Anthrazit geht ebenso. Die Fenster der Häuser müssen nicht mehr „stehen“, sondern dürfen auch als flaches Band gestaltet sein.

Wer eine Garage oder einen Wintergarten möchte, darf diese im „Winkel“ künftig als eingeschossige Anbauten errichten – wenn gewünscht ebenfalls mit Pultdach. Größer ist der Spielraum nun auch bei der Materialwahl für Zäune und der Größe von Gartenhäusern. Strenger als bisher sind lediglich die Zufahrten zu den Grundstücken festgelegt, um „keine Parkplätze und Bäume mehr versetzen zu müssen“, wie Schäff erläuterte.

Eine optische "Katastrophe"?

Strikt gegen die Erleichterungen stellte sich Marco Satzinger (CSU). Er halte die bunte Gebäudemischung auf dem Stöckermann-Areal für „eine Katastrophe“, die die Wohnqualität senke und nun auch im Winkel drohe. „Wenn das die Zukunft des Treuchtlinger Stadtbilds sein soll...“, warnte der gelernte Bauingenieur. Der Stadtrat stimme mittlerweile offenbar „allem zu, nur damit die Leute bauen“.

Genau gegenteiliger Ansicht ist Klaus Fackler (FW). Ebenso wie Satzinger verweigerte er der Planänderung seine Zustimmung – allerdings weil er gern „fast völlige Freiheit“ bei der Gestaltung von Neubauten hätte. „Wenn wir nur grobe Leitplanken festlegen, hätte der Stadtrat mehr Zeit für die wirklich wichtigen Dinge“, so der dritte Bürgermeister. Schäff dankte er jedoch dafür, dass sich dieser „um einen Kompromiss bemüht hat“.

Rathauschef Werner Baum äußerte Verständnis für beide Positionen. Er erinnerte Satzinger aber auch an seinen verstorbenen Fraktionskollegen Dieter Kerth, der seinerzeit „immer alles freigeben wollte“. Einheitlichkeit oder Freiheit – die Antwort auf diese Frage sei nicht parteiabhängig.

Dies bestätigten auch Stefan Fischer und Gustav Kapp (beide SPD), die ebenfalls gänzlich unterschiedlicher Meinung über die Optik des Stöckermann-Areals sind. Eher humorvoll-pragmatisch nahm schließlich Hans König (CSU) das Thema aufs Korn: „Unsere Generation wird eh in die Geschichte eingehen als Generation, die keinen Baustil hatte.“

 

Der Kommentar: Wie viel Geschmack darf es sein?

Mit Geschmack und Ästhetik ist das so eine Sache. Ersteren "hat man, oder man hat ihn nicht", heißt es. Für zweitere gibt es durchaus objektive Kriterien. Was soll also gelten für die Gestaltung unserer Städte - strenge Regeln oder maximale Freiheit?

Zunächst ist festzuhalten, dass Einheitlichkeit nicht gleich Ästhetik ist. Man denke nur an die bunte Lebendigkeit eines Hundertwasser oder das "Paradox der Hässlichkeit" von Kitsch und Mainstream. Zugleich heißt "Geschmacksache" nicht, dass alles erlaubt sein kann. Denn überdimensionierte oder extrem aufdringliche Gebäude beeinträchtigen auch Nachbarn und Mitmenschen. Regeln müssen also sein - aber wie viele?

Hier gilt es vor allem, einen Unterschied zwischen Stadtmitte und zentrumsfernen Wohngebiet zu machen. Altstädte leben vom Charme des Wiederkehrenden und Heimeligen. Hier dürfen und müssen die Auflagen recht streng sein.

Anders sieht es in den im Treuchtlinger Bauausschuss diskutierten Neubaugebieten aus. Dort gibt es keinen gewachsenen Stil. Warum also nicht etwas bunter bauen? Das tut niemandem weh, sorgt aber für zufriedene Bauherren. Und es ist auch Ausdruck einer modernen Zeit, in der konservative Vorstellungen vom Althergebrachten erlaubt, aber kein Maßstab für die Allgemeinheit mehr sind.

Wünschenswert wäre es freilich, wenn die solchermaßen individuellen Gebäude zumindest jedes für sich ästhetisch gut gestaltet wären. Das bekommen jedoch selbst viele Architekten nicht hin - geschweige denn Bauträger mit ihren (meist ohnehin recht einheitlichen) Fertighaus-Katalogen.

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