Zweiter Kulturpreis der Hirschmann Stiftung

24.3.2012, 07:59 Uhr
Zweiter Kulturpreis der Hirschmann Stiftung

© Leykamm

Für Aufsehen sorgte erst jüngst die Aufführung von Wondratscheks Werk „Das Mädchen und der Messerwerfer“ im bayerischen Staatsballett. Daran knüpfte der Autor bei der Preisverleihung im Treuchtlinger Kulturzentrum Forsthaus an: Gerade als der stellvertretende Stiftungsvorsitzende Alfred Meyerhuber als Laudator ans Rednerpult trat, verschwand der zu Ehrende plötzlich.


Zwar musste das Publikum nur kurz den Atem anhalten, während Meyerhuber stoisch verkündete: „Der Preisträger kommt wahrscheinlich wieder.“ Doch zeigt die kleine Episode, dass man bei Wolf Wondratschek stets auf Ungewöhnliches gefasst sein muss. Er ist einer, der den Feuilletonisten zufolge „im Laufe eines langen Poetenlebens schon in vielen Rollen überraschte".


Zahlreiche Gedichtbände, Hörspiele und Filmdrehbücher hat der Dichter bis dato verfasst. Er schrieb Anthologien und für Zeitungen. Schon vor Beginn seiner Laufbahn sorgte er laut Meyerhuber im Elternhaus für einen Knalleffekt, indem er als Teenager einen Einakter über eine Nymphomanin schuf, der die Mutter prompt in Ohnmacht fallen ließ.


Sein erstes Buch „Früher begann der Tag mit einer Schusswunde“ schlug dann förmlich ein wie ein Kugel. Dem kometenhaften Aufstieg folgten bald die ersten Auszeichnungen: 1968 der Leonce-und-Lena-Preis und 1970 der Hörspielpreis der Kriegsblinden.


Seither ignorierten die Entscheidungsträger im Literatur(preis)betrieb den heute 68-Jährigen allerdings. „Vielleicht, weil sich Wondra­tschek genau diesem immer verweigert hat“, vermutete Meyerhuber. Freilich habe es der Schriftsteller den Verlagen auch nicht immer leicht gemacht. Einmal habe er zum Beispiel statt eines Honorars eine Kiste Gold gefordert. Bekommen hat er sie nie.


Kritiker sind gespalten


Die Meinung von Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki steht deshalb in ihrer Gespaltenheit stellvertretend für viele andere Fachleute des geschriebenen Worts: „Dieser Autor gefällt mir“, zitierte Meyerhuber dessen frühes Urteil aus dem Jahr 1969. Jahrzehnte später habe derselbe Reich-Ranicki seine Aussage zwar nicht bedauert, aber bekundet, dass ihm Wolf Wondratschek seither auch oft „auf die Nerven gegangen“ sei – vor allem mit seinen Lieblingsthemen: Prostituierte und Bordelle.


Über solche Worte – selbst aus so berufenem Mund – ist der gebürtige Rudolstädter aber heute längst erhaben. Richtig schocken kann ihn fast nichts, stammt von ihm doch der Satz: „Das Leben ist die Intensivstation. Wir sind drin. Wir sind Stammgäste.“


Im Forsthaus gab sich der Geehrte nach der Übergabe des mit 20.000 Euro dotierten Preises durch den Stiftungsvorsitzenden Wilhelm Hirschmann zwar gewohnt ausdrucksstark, aber gemäßigt. Tief ließ er in sein Selbstverständnis als Dichter bli­cken – oder er führte die Zuhörer bewusst auf eine falsche Fährte. Das weiß nur er selbst.


Das Publikum jedenfalls hing förmlich an seinen Lippen. Mucksmäuschenstill war es im Raum. Wondratschek nahm die Besucher mit auf eine Reise in seine Kindheit: Als er „acht oder neun Jahre alt war“, habe ihm der Zufall eine kluge Bemerkung über Kunst und Geisteskrankheit in die Hände gespielt. Sie sei der Urgrund seiner Schriftstellerlaufbahn. Heute brauche er allerdings zusätzlich des Öfteren einen kräftigen Kaffee, um „die Klarheit meiner Gedanken nicht zu gefährden“. Manchmal reiche es jedoch auch, frische Socken anzuziehen. Davon, dass er den Literaturpreis erhalten solle, habe er barfuß am Telefon erfahren.


Ihm diese Ehrung zukommen zu lassen, „war sehr mutig“, lobte Wondratschek die Jury. Im Gegenzug würdigten Bürgermeister Werner Baum und der stellvertretende Stiftungsratsvorsitzende Friedrich Engelhard seine Person und Arbeit. Kurz vor den abschließenden Klängen der Cellistin Petra Mehringer (der Preisträger spielt übrigens das gleiche Instrument) verriet Wondratschek schließlich das Geheimnis seiner fortwährenden schriftstellerischen Jugend: „Mein Leben beginnt immer wieder – und immer wieder im Alter von acht oder neun Jahren.“

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