30. September 1970: Premiere im Schauspielhaus

30.9.2020, 07:34 Uhr
Angst vor den braunen Horden: Szene mit Georg Wille, Walter Kohutek und Jürgen Cziesla.

© Ranke Angst vor den braunen Horden: Szene mit Georg Wille, Walter Kohutek und Jürgen Cziesla.

Die sozialdemokratischen Honoratioren dieser süddeutschen Kleinstadt beugen sich über ihr Skatspiel, wie der Vogel Strauß seinen Kopf in den Sand steckt, und während die neuen Vandalen in den teutonischen Wäldern ihr Kriegsspiel üben, feiern die Linken ihre Lampionfêten in Biergärten mit jener bodenlosen Naivität, die der Rechten den Vormarsch leicht machte. Nur die jungen Sozialisten sind hellere Köpfe und wittern die Gefahr.

Horváths Stück ist alles andere als Schwarz-Weiß-Malerei zwischen Braun und Rot; mit frappanter Hellsichtigkeit hat der Österreicher das ewige Dilemma der deutschen Linken dargestellt: Blindheit für die Realität und ständige Zersplitterung, die ihre Kraft paralysiert. Vieles stimmt nur für die Situation von 1931, aber im Kern steckt das, was vierzig Jahre später noch immer oder schon wieder zutrifft. Vokabular und Kluft der neuen Rechten mögen sich geändert haben, doch unter der neuen Oberfläche treibt der alte Geist die gleichen trüben Blasen. Eine Gefahr bei Horváth ist seine Liebe zum Detail und zum Anekdotischen, das den „Geschichten aus dem Wienerwald“ die atmosphärische Dichte gibt, der „Italienischen Nacht“ aber alle Brisanz nehmen kann. Günther Tabor ist denn dieser Gefahr auch prompt erlegen. Wenn man das Spießergemälde des Biergartenfestes so breit und genüßlich auspinselt, wenn man sich derart dem skurrilen, bis ans Peinliche gehenden Witz hingibt, setzt man falsche Akzente.

In diesem Zerrspiegel kann kein Publikum die Gefahren und die eigene Lächerlichkeit erkennen, weil man so harmlos verblödet selber gewiß nicht ist. Was nur als Pfeffer auf der Zunge brennt, war hier ausgewalzter Brei. Der affektierte Gesang der Madame Hinterberger wird so sehr zur plumpen Gaudi, daß der Zuschauer die hinter der Scheinidylle lauernde Bedrohung nicht wahrnimmt.

Groteske Überzeichnung auch auf der anderen Seite. Als einer der Faschisten (Michael Holm) im geilen Drange über die Sozialistenbraut (Barbara Petritsch) herfällt, läßt ihn Tabor mit offener Hose sich hochrappeln; mit solchen Späßen wird der Sinn des Stückes zerstört, denn nicht in ihrer Unbeherrschtheit, sondern in ihrer verkrampften Beherrschtheit sind diese Leute gefährlich. Total mißglückt die Konfrontation der jungen Linken mit den braunen Schlägern: Tabor will dumpfe Aggression verdeutlichen und läßt beide Seiten Kampflieder grölen; eine ungewollte Diffamierung der Linken, die sich auf das Niveau der Rechten herabläßt.

Sprachlich herrscht wilder Wirrwarr. Statt bayrisch oder fränkisch wird hier ein Durcheinander von Hochdeutsch, holperndem Wienerisch und undefinierbaren Dialekten geredet, die man nur in jenem Nirwana spricht, in dem diese ganze blamable Inszenierung angesiedelt ist. Walter Kohutek als Wirt ist sprachlich der Akzeptabelste. Eine klare Diktion besitzt der hier sächselnde Dietmar Mues als fremder Radikaler.

Dieser ganze Miserable Zirkus auf einer viel zu flachen Bühne, die nicht ein einziges Mal zur Tiefe hin aufgerissen wurde; immer wieder wurde das Spiel zur Rampe vorgedrängt. Günter Kupfer baute wenig praktikable Szenen unter dem Prospekt einer fränkischen Kleinstadt. In einer einzigen Szene, der ersten, wurde hier zumindest Milieudichte erreicht. Weniger Aufwand, aber damit genial gearbeitet, kann dem Stück weit besser gerecht werden. Und wenn Tabor mit einem neuen Schluß den Bogen zur Gegenwart schlagen wollte, so blieb das Papier, in den Wind gesprochen wie dieser ganze verschenkte Horváth.

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