"Herzblut" und ein Dilemma

80 verletzte Kinder aus Afghanistan gerettet: Ansbacher spricht über emotionalen Einsatz

Stefan Besner

Online-Redaktion

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24.3.2023, 20:10 Uhr
Seit 1967 holt der Verein "Friedensdorf International" kranke und verletzte Kinder aus Kriegs- und Krisengebieten zur medizinischen Versorgung nach Deutschland.

© Claudia Puchta, BRK-Kreisverband Hof Seit 1967 holt der Verein "Friedensdorf International" kranke und verletzte Kinder aus Kriegs- und Krisengebieten zur medizinischen Versorgung nach Deutschland.

Seit 1967 holt der Verein "Friedensdorf International" kranke und verletzte Kinder aus Kriegs- und Krisengebieten zur medizinischen Versorgung nach Deutschland. Eine Versorgung, die sie dringend benötigen und in ihrem Heimatland nicht bekommen können. Anschließend kehren die Kinder zu ihren Familien zurück. Unterstützt werden die Aktionen seit Jahren durch das Bayerische Rote Kreuz (BRK). So auch am Donnerstag, als 80 Kinder am Düsseldorfer Flughafen gelandet sind. Es war gleichzeitig das letzte Mal, dass Johannes Stegmann (43) als Chef der BRK-Bezirksbereitschaftsleiter in Ober- und Mittelfranken in Aktion trat.

Verantwortlich für rund 12.500 Ehrenamtliche

Seit 2008 war Stegmann ein Teil von "Friedensdorf International". Auf die Teilnahme an den Hilfsaktionen habe ihn damals ein Bericht im NDR gebracht, erzählt der vierfache Familienvater, der zu der Zeit bereits als BRK-Bereitschaftsleiter in Windsbach tätig war. "Als Ausgleich zu meinem Job als Lehrer habe ich meine Unterstützung angeboten und die wurde auch sofort angenommen."

Seitdem war Stegmann verantwortlich für rund 12.500 Ehrenamtliche BRK-Mitarbeiter in den Ortsverbänden Mittel- und Oberfranken. Für das "Friedensdorf" organisierte er den Transport der kranken Kinder vom Flughafen in die entsprechenden Krankenhäuser. Er selbst sei zwar für das BRK bereits in Italien und Syrien gewesen, bei dem Einsatz für die verletzten Kinder in Afghanistan war er jedoch nicht mit im Flugzeug. Er selbst sie nie in Afghanistan gewesen.

Verbrennungen über Hasenscharten bis Sprengverletzungen

"Ein Team von Friedensdorf International und ein Arzt fliegen nach Afghanistan und entscheiden, welche Kinder nach Deutschland kommen", erklärt Stegmann. Die Wunden der Minderjährigen reichen von Verbrennungen über Hasenscharten bis Sprengverletzungen. "Es gibt viele Minenopfer, Opfer von Bomben." Ein gravierendes Problem seien aber vor allem Frakturen in Kombination mit Mangelernährung. "Kinder brechen sich beispielsweise den Unterschenkel und aufgrund von Nährstoffmangel und Unterernährung hat der Körper nicht die Kraft, den Bruch zu heilen." Infolgedessen entzündet sich die Wunde. Solche Entzündungen breiteten sich bei Kindern besonders schnell im ganzen Körper aus, so Stegmann. Ohne ausreichende medizinische Versorgung drohe akutes Organversorgan, das zum Tod führt. "Knochenentzündung ist eine typische Kinderkrankheit aus Entwicklungsländern."

Der Andrang auf die begehrten Plätze in den Flugzeugen ist dementsprechend groß. Nur jedes zehnte Kind kommt mit an Bord. Wenn von tausend Kindern, die Hilfe bräuchten, nur hundert in das Flugzeug passen, "dann ist das natürlich hart", schildert Stegmann das Dilemma, gibt jedoch auch zu bedenken: "Andererseits wird zumindest diesen hundert Kindern geholfen. Die liegen dann zum ersten Mal in einem richtigen Krankenhaus in einem Krankenhausbett, haben Versorgung und sauberes Wasser."

Als neutrale Organisationen vor Ort

Das Rote Kreuz und die Schwesterorganisation der "Afghanische Rote Halbmond" sind bereits seit Jahrzehnten in Afghanistan aktiv. An der Aufgabe hat sich laut Stegmann trotz der stetig wechselnden Umstände, Krisen und selbst seit der jüngsten Machtübernahme der Taliban nicht viel verändert. "Egal in welcher Phase, sei es der Krieg mit der Sowjetunion in den 80ern, den Bürgerkriegen, der Talibanherrschaft damals oder auch heute. Das Rote Kreuz und der Rote Halbmond sind seit eh und je als neutrale Organisationen vor Ort. Wir kümmern uns wenig um die Politik, das ist unser Grundsatz. Egal, wer an der Macht ist, wir versuchen, für die Menschen da zu sein. Auch die Taliban erkennen das an. Das ist ein gegenseitiges Tolerieren."

Kein Plan ohne Panne

Auch wenn im Großen und Ganzen alles auf Stegmanns letztem Einsatz gut lief, völlig ohne Zwischenfall geht es seinen Angaben zufolge nie vonstatten. Das sei auch ein Ding der Unmöglichkeit, denn die Autos mit den verletzten Kindern seien bei solchen Einsätzen zwischen 1200 und 1500 Kilometer unterwegs. "Wir hatten diesmal zwei Pannenfahrzeuge. Sowas passiert einfach. Dann muss man improvisieren. Am Donnerstag beispielsweise haben wir schnell einen Mietwagen organisiert, damit ein achtjähriges Mädchen im Sitzen ins Krankenhaus nach Straußberg gefahren werden konnte." Der kaputte Krankenwagen blieb in der Werkstatt.

Nächstes "Herzensprojekt"

"Mein Herzblut hing an solchen Friedensdorf-Einsätzen. Ich bin selbst Vater", beteuert Stegmann. Dennoch sei für ihn jetzt Schluss. Das hat mehrere Gründe, berufliche wie private. Zwar sind seine älteren Kinder bereits erwachsen, sein jüngstes jedoch ist erst eineinhalb Jahre alt und brauche entsprechend Zuwendung. Zudem habe er vor eineinhalb Jahren die Schulleitung für eine relativ große Mittelschule in Feuchtwangen-Land übernommen und dann kam auch noch ein Trauerfall in der Familie hinzu. "Auf der einen Seite Familie. Auf der anderen Seite Beruf. Ich merke einfach, dass der Aufwand, den diese Aufgabe mit sich bringt, schwieriger zu bewältigen wird", erläutert der frisch gebackene Ex-BRK-Bezirksbereitschaftsleiter und fügt gleich darauf hinzu: "Aber ich werde Rotkreuzler bleiben. Ich werde Helfer bleiben."

Ein Projekt habe er auch schon: "Herzenswunsch Hospizmobil". Bei seinem "Herzensprojekt", wie er es selbst nennt, geht es darum, todkranken Menschen einen letzten Wunsch zu erfüllen und sie zu einem Traumziel zu fahren, "egal obs Hamburg ist, der eigene Garten oder die Papstaudienz in Rom".

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