Alles über das Wahrsagen: Ausstellung im GNM

10.3.2021, 15:20 Uhr
Blick in die Ausstellung "Zeichen der Zukunft. Wahrsagen in Ostasien und Europa"

© FELIX ROESER, NNZ Blick in die Ausstellung "Zeichen der Zukunft. Wahrsagen in Ostasien und Europa"

Taiwanesisches Staats-Fernsehen zur besten Sendezeit: Live können die rund 24 Millionen Einwohner des Inselstaates das "Nationale Neujahrsorakel" für das Jahr 2020 verfolgen. Ein Spektakel mit hoher Einschaltquote. In Europa undenkbar. Aber auch dort beschäftigt die Menschen seit Jahrtausenden die Frage nach der Zukunft – nur gehen sie der mit anderen Mitteln und Methoden nach. Mystik, Magie und Wahrsagerei haben im Alltagsleben von Asiaten und Europäern bis heute einen unterschiedlichen Stellenwert.

Das arbeitet die neue Ausstellung "Zeichen der Zukunft. Wahrsagen in Ostasien und Europa" im Germanischen Nationalmuseum in Kooperation mit dem National Museum of Taiwan History schön heraus – mit 130 Exponaten, von denen einige noch nie in Europa zu sehen waren und es auf absehbare Zeit auch nicht sein werden. "So etwas kann man wohl nur einmal im Leben sehen", meint Heike Zech, stellvertretende GNM-Direktorin. Das älteste Stück ist ein 3000 Jahre alter chinesischer Orakelknochen, eines der jüngsten ein Tarotkarten-Design von Mode-Star Christian Dior.


Schnecken im Traum sind gut

Neben dem Bildschirm, auf dem das asiatische TV-Event in Dauerschleife läuft, können sich die Besucher ihr persönliches Neujahrsorakel (mit Verspätung wegen Corona) von der Wand pflücken. Es ist so vage formuliert, dass es auf so gut wie jeden zutrifft. Alles eine Frage der Interpretation, die bei anderen Vorhersage-Methoden von Sehern und Propheten, Kartenleserinnen oder Astrologen übernommen wird.

Schnell ist man mitten drin in diesem faszinierenden Thema, das einen immer wieder vor die Frage stellt: Was glaube ich eigentlich? Zum Beispiel, wenn ich morgens aufwache und im Traum, sagen wir, eine Schnecke gesehen habe? Wer im Wiener Schusterbuben-Traumbuch von 1980 nachschlägt, erfährt: Die Schnecke verheißt eine gute Nachricht. Das ostasiatische Buch-Pendant interpretiert sie als Zeichen für höheres Einkommen. Irgendwie also auch eine gute Nachricht. Anders bei der Gans: Die verheißt in Europa "Ehre", in Ostasien, dass die Ehe schiefgeht.

Thomas Manns Handleserin

Die Wissenschaft grenzt(e) sich von den Zukunftsdeutern naturgemäß ab, beäugt(e) sie mit Unbehagen, aber auch mit Interesse. Schon der Altertumsforscher Hans Aufseß, der vor fast 170 Jahren das GNM gegründet hat und selbst ein passionierter Besucher von Seancen war, hat Dinge des Aberglaubens für das Museum gesammelt. Auch sie gehören schließlich zur Kulturgeschichte.

Viele Berühmtheiten glaubten an Wahrsagerei, nahmen sie in Anspruch oder praktizierten sie. Der Astronom und Mathematiker Johannes Kepler beispielsweise hat sich sein Brot mit dem Erstellen von Horoskopen verdient. Autor Thomas Mann und Schauspielerin Marlene Dietrich waren Kunden der Handleserin Marianne Raschig. Auch Maler Lovis Corinth, dessen Handabdruck ausgestellt ist, konsultierte Raschig. Sie beschied ihm 1925 zwar eine besondere "Kunstlinie". Seinen Tod im selben Jahr sah sie aber nicht.

Natternwirbel gegen das Böse

Die von Heike Zech mitkuratierte, sehr empfehlenswerte Schau widmet sich den Methoden, Grundlagen, Protagonisten und Werkzeugen des Wahrsagens. Denn nicht nur Sterne und Wolken können Zeichen geben, auch Körper von Mensch und Tier. Zu sehen sind darüber hinaus Objekte, um Böses abzuwenden wie etwa eine Kette aus Natternwirbeln und Objekte zur Berechnung günstiger Tage zum Säen oder Heiraten.

Und was ist der grundlegende Unterschied zwischen den Wahrsage-Welten? "In der chinesischsprachigen Welt kommen Untergangsszenarien in den Offenbarungen längst nicht so häufig vor wie im vom Christentum geprägten Europa", so Zech.
Hier wie dort aber entstanden Formen der Weissagung, bei denen sich Götter, Dämonen, Geister oder Engel auserwählten oder in Trance versetzten Menschen mitteilten – in Seancen oder durch das in Asien noch heute beliebte "Ghost Writing". Dabei setzen zwei Menschen mit einem Schreibgerät Zeichen in den Sand, die ein "Experte" dann interpretiert. Ein göttliches Wesen, so die Annahme, führt den Schreibern die Hand.

Karriere einer Seherin

Mit ihren Sehern gehen die Asiaten traditionell deutlich zurückhaltender um als die Europäer. "Es gibt fast keine Darstellungen asiatischer Wahrsager", sagt Zech und stellt als eine der wenigen Ausnahmen Johann Adam Schall von Bell (1591- 1666) vor. Der bärtige Jesuit blickt von einem Kupferstich. Als Europäer hatte er mit seinen astronomisch-astrologischen Kenntnissen am Hof des chinesischen Kaisers Shunzi Karriere gemacht. Ganz anders die Rolle der Zukunftsdeuter – vor allem die wahrsagender Frauen – in Europa. Sie werden gerne als "Zigeunerinnen" mit betrügerischer Absicht dargestellt, die ihren Kunden das Geld aus der Tasche ziehen.

Andere wie Friederike Hauffe (1801-1829) alias "die Seherin von Prevorst" machten mit ihrer Verbindung zur Geisterwelt aber auch mächtig Karriere, wurden in Öl gemalt und zu Romanfiguren stilisiert. Ob sie das wohl selbst vorausgesehen hatte?

GNM, Kartäusergasse 1, Nürnberg, bis 5. September. Geöffnet ab Freitag 12. März nur mit Voranmeldung unter Tel.: 0911/1331 333 oder online unter www.gnm.de Reservierungen ab 11. März möglich

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