Stadtbild im Wandel

Als Venedig in den Rosenaupark kam

23.7.2021, 14:33 Uhr
Auf diesem Foto von Georg Schönau wartet 1895 die eben vollendete Seebühne auf schaulustige Gäste. Im Bühnenbild findet offenbar gerade eine Vorbesichtigung mit hohen Damen und Herren statt.  

© Georg Schönau (Sammlung Johannes Wiemann), NNZ Auf diesem Foto von Georg Schönau wartet 1895 die eben vollendete Seebühne auf schaulustige Gäste. Im Bühnenbild findet offenbar gerade eine Vorbesichtigung mit hohen Damen und Herren statt.  

Was haben Nürnberg, Las Vegas und Macao gemeinsam? Alle drei haben versucht, die Kanäle Venedigs mit seinen Bauten in die eigene Stadt zu holen – mit mäßigem Erfolg, zumindest, was die Authentizität und das Flair betrifft. Den Nürnbergern muss man allerdings zugutehalten, dass ihre Pseudo-Serenissima mehr als Spaß für den guten Zweck gedacht, vergleichsweise umweltfreundlich und mit künstlerischem Anspruch gebaut und wieder entsorgt wurde.

Auf Initiative seines ersten Vorstandes Johann Schönner fasste der Evangelische Kirchenbau-Verein Gostenhof-Kleinweidenmühle den Entschluss, vom 15. bis 20. Juni 1895 ein „Italienisches Sommerfest“ zu veranstalten. Das Ziel: Fröhliches Beisammensein, das die Gemeinschaft stärkt, und Geld zu sammeln für das ehrgeizige Projekt einer neuen Pfarrkirche für die Stadtteile Gostenhof, Bärenschanze, Himpfelshof, Kleinweidenmühle und Rosenau. Unser Leser Johannes Wiemann hatte das Sammlerglück, eine der seltenen Fotokarten dieses besonderen Ereignisses erwerben zu können.

So schaut’s in echt aus: Der Canale Grande in Venedig mit den berühmten Palazzi – im Venezianischen „ca‘“ (Haus) genannt – im Jahre 2017.  

So schaut’s in echt aus: Der Canale Grande in Venedig mit den berühmten Palazzi – im Venezianischen „ca‘“ (Haus) genannt – im Jahre 2017.   © Sebastian Gulden, NNZ

Neben Konzerten und einem Basar stellten zwei Festspiele den Höhepunkt des Festprogrammes dar. Josef Krug-Waldsee (1858–1915) und Otto Veit, damals Kapellmeister respektive Oberregisseur am Nürnberger Stadttheater, hatten sie eigens für das Fest komponiert und inszeniert. Dafür bekam Nürnberg seine eigene Seebühne, lange bevor Bregenz und Füssen auf diese Idee verfielen. Der Rosenauweiher, der Bühne und Zuschauerränge trennte, diente als Miniaturversion des Canale Grande. Schauplatz der beiden Darbietungen – „Das Fest der Rosenkönigin“ und „Ein Tag in Venedig“ – war die berühmte oberitalienische Lagunenstadt der Barockzeit.

Dafür bauten professionelle Bühnenbildner zusammen mit ehrenamtlichen Helfern aus der Nachbarschaft unter Leitung des Malers Wilhelm Ritter, des Stadtbaurates Carl Weber und des Architekten Emil Hecht am nördlichen Weiherufer mit viel Liebe und Einsatz eine ganze Stadt aus Holz, Pappe und Farbe, die die vorhandene Vegetation meisterhaft einbezog. Indessen war die Szenerie keine Kopie eines real existierenden Ausschnittes des Weichbildes der Stadt Venedig. Vielmehr handelte es sich um eine Aneinanderreihung prägender Baudenkmale und Versatzstücke, die die Betrachter üblicherweise mit der Serenissima verbanden.

Die originale Markussäule mit dem Campanile von San Marco, inklusive dem üblichen Touristen-Gewurl rundum, aufgenommen 2017

Die originale Markussäule mit dem Campanile von San Marco, inklusive dem üblichen Touristen-Gewurl rundum, aufgenommen 2017 © Sebastian Gulden, NNZ

Neben einer der Säulen auf dem Markusplatz kopierte man die berühmte Kanalfront des Ca’ Foscari aus dem 15. Jahrhundert. Der südliche Teil der 1888 vollendeten neuen Park-Restauration an der Bleichstraße wurde – ganz in Christo-Manier – als Ca’ d’Oro maskiert, wobei die Spitzen der beiden Türme über die Kulissen hinausragten. Auf den Campanile di San Marco musste man aus Platz- und Kostengründen (und sicher sehr zur Erleichterung von Feuerwehr und Bauamt) verzichten. Dafür karrte man eigens Gondeln als stilechte Requisite an, mit denen sich die Festgäste zwischen den Aufführungen über den Teich schippern lassen konnten.

Durchschlagender Erfolg

Die Darbietung wurde ein durchschlagender Erfolg, auch finanziell. Tatsächlich gelang es dem Kirchenbauverein, sein großes Bauvorhaben 1900–1901 in Form der Gostner Dreieinigkeitskirche in die Tat umzusetzen. Dirigent Josef Krug-Waldsee wechselte noch 1895 ans Augsburger Stadttheater, kehrte aber 1899 nach Nürnberg zurück, wo er neben seiner Tätigkeit an den kommunalen Bühnen regelmäßig mit seinem eigenen Orchester auftrat.

Von der Seebühne und seinen Kulissen ist heute freilich nichts mehr vorhanden. Mehr noch, nicht einmal der Weiher und die Bäume an dessen Gestaden fanden die Gnade der Stadtplaner der Nachkriegszeit, die all dies – aus finanziellen und hygienischen Gründen – in eine platte Parkfläche umwandelten. Dieser pragmatische Umgang mit den Bürgerparks war symptomatisch für die Grünplanung der Nachkriegszeit, und das, obwohl Nürnberg in den Wirtschaftswunderjahren nun wirklich nicht am Hungertuch nagte.

Heute zeigen nur mehr die erhaltenen Mietshausfassaden im Hintergrund an, dass wir uns am selben Ort befinden wie der Fotograf der Postkarte, Georg Schönau, anno 1895. Zumindest, wenn gerade nicht alles in sattem Grün steht. 

Heute zeigen nur mehr die erhaltenen Mietshausfassaden im Hintergrund an, dass wir uns am selben Ort befinden wie der Fotograf der Postkarte, Georg Schönau, anno 1895. Zumindest, wenn gerade nicht alles in sattem Grün steht.  © Sebastian Gulden, NNZ

Heute steht an Stelle von Klein-Venedig ein beliebter Spielplatz. Wenn Sie einmal dort sind, erzählen Sie doch ihren Kindern und Enkeln von der großen Schau, die in der Rosenau vor nun mehr 126 Jahren gegeben wurde! Die Chancen stehen gut, dass jene uns so ferne Zeit in den Augen der Kleinen dann mit einem Mal wieder lebendig wird.

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