Von Ratten Empathie lernen? TiG spielt Jekyll und Hyde

20.6.2016, 15:45 Uhr
Von Ratten Empathie lernen? TiG spielt Jekyll und Hyde

© Werner Lorenz

Dr. Henry Jekyll (Stephan Bach) mag einem leidtun: Anfangs noch gern gesehener Gast auf der nachbarschaftlichen Grillparty wird im Verlauf des Stückes sukzessive seine bürgerliche Existenz infrage gestellt. Ihm droht die Kündigung des Mietverhältnisses, sein amouröses Verlangen bleibt unerfüllt und der Ethikrat entzieht ihm das Vertrauen und damit seine Forschung. Stein des Anstoßes: Der Doktor sieht das menschliche Verhalten als reines Ergebnis günstiger genetischer Kombinationen. Das Buch Genesis und dergleichen ist der Koryphäe auf dem Gebiet der Empathieforschung verständlicherweise fremd. Er ist das verkannte Genie auf der Suche nach dem Wohlergehen seiner Mitmenschen, träumt von einem humanistischen Börsenhandel und wird ob seines manischen Forscherdranges zunehmend exkludiert. Was läge da näher als ein Selbstversuch?

Das TiG-Ensemble verwandelt den pittoresken Innenhof der Oberen Königsstraße 32 in einen Schauplatz moralischer Verwerfungen. Bühne, überdachter Balkongang und knarzende Kellertüren lassen einen Handlungsraum entstehen, in welchem der gegensätzlich-schaurige Horror seinen Lauf nimmt.

Das Doppelgängermotiv im Bamberger Gewand

Allerdings geht die Reise nicht bis ins Jahr 1886 zur stevensonschen Vorlage zurück. Thomas Paulmann nimmt sich mal auf behutsame, mal auf deutliche Art und Weise die Freiheit einer zeitgemäßen Adaption des Gruselstoffes aus dem Kanon der Weltliteratur. So entfällt beispielsweise der Handlungsstrang um Richard Enfield, aus Wunderelixieren werden chemische Formeln, aus Butlern und Freunden wissenschaftliche Assistentinnen und Philosophinnen (Heidi Lehnert/Elena Weber).

Nicht zuletzt formieren sich in der von den Morden des Edward Hyde heimgesuchten Nachbarschaft besorgte Bürger (etwa Benjamin Bochmann), die die Privilegien der Freiheit und Sicherheit gefährdet sehen und an den etablierten Parteien Kritik üben. Ein besonderes Augenmerk gilt der Vielseitigkeit der beteiligten Darsteller. So gelingt Bach der Spagat zwischen dem an Ratten experimentierenden Forscher und seinem Doppelgänger, dem triebgesteuerten Monstrum, auf ausdrucksstarke Art. Aber auch seine Ensemblekollegen wissen als verkappte Doppelgänger zu gefallen.

In stimmungsvoller Klangkulisse

Von Ratten Empathie lernen? TiG spielt Jekyll und Hyde

© Werner Lorenz

So mimt Martin Habermeyer mit seiner slawischen Gespielin Tatjana (Olga Seehafer) einerseits den sexbesessenen Politiker, anderseits einen pedantischen Polizisten. Ursula Gumbsch spielt sowohl die sorgsame Vermieterin als auch dessen Berufskollegin in Grün. Als Polizistin Schneiderbanger frönt die Theaterspielerin dem fränkischen Dialekt am Tatort besser als so manche TV-Protagonistin. Für den Einsatz der Requisiten, sei es die Altpapiertonne oder eine Tisch-/Tür-/Laborinstallation, zeigt sich dagegen zumeist der trefflich ins Geschehen eingewobene Hausmeister (Werner Lorenz) verantwortlich. Die stimmungsvolle Klangkulisse stammt von Jakob Fischer.

Die Suche nach dem Mittelweg zwischen Sicherheit und Freiheit unterhält den Zuschauer über zwei Stunden. Paulmanns Jekyll und Hyde gelingt es in der Inszenierung von Nina Lorenz, die Vorlage zu ehren und gegenwärtige, unbequeme Bezugspunkte zu finden.

Kombiniert mit feiner schauspielerischer Leistung entsteht so für das Publikum ein Spannungsfeld zwischen Schauer und Vergnügen.


Weitere Vorstellungen:
23., 24., 25., 30. Juni und 2., 6., 7., 14. Juli 2016 (20 Uhr).

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