Breites Spektrum „Nackter Tatsachen“ in Neustadt

25.5.2019, 20:06 Uhr
Breites Spektrum „Nackter Tatsachen“ in Neustadt

© Harald Munzinger

Suggeriert der Titel nackt schnell den Akt, sind die Gedanken „zu kurz gesprungen“, denn ebenso kann das Thema „Nackt“ zur Assoziation der „nackten Tatsachen“ führen. So reicht das Spektrum der erneut vielseitigen Galerie „von der Aktfotografie, der Malerei und Zeichnung über gesellschaftskritische Arbeiten bis zu ‚Fake News‘ oder der Chaostheorie“, wie es das Künstlerkollektiv ankündigt. Das möchte nach der sehr interessanten Ausstellung „Kunst und Bienen“ mit dem sicheren Instinkt für Aktualität, auch jetzt „nicht einfach nur Kunst um der Kunst Willen zeigen“, sondern wieder „einigen Anlass zur Auseinandersetzung mit Kunst, unserer Stadt und ihrer Gesellschaft bieten“.

Als am Anfang der Themenfindung jemand das Motto der „Nackten Tatsachen“ aufgebracht habe, sei dies zunächst platt und fast eindimensional erschienen. Mit der Zeit aber habe der Begriff eine oszillierende Tiefe bekommen und ganz das ihm anhaftende triviale, marktschreierische verloren, beschreibt „KINA“ die Gedankenprozesse zur Ausstellung: „Wir begriffen – auch als Gruppe – dass wir in einer Sachwarmintelligenz und mit der Kreativität des Einzelnen dem Motiv viele persönliche Aussagen abgewinnen können, die zugleich etwas aussagen über unsere Kontexte und der Gesellschaft in der wir leben“. Die Künstlerinitiative habe sich „damit inhaltlich und organisatorisch in einen Selbstvergewisserungs-Prozess begeben, der für alle Teilnehmer eine Bereicherung ihrer künstlerischen und sozialen Existenz darstellt“.

Schauen und Nachdenken

Der Besucher wird nicht nur zum Schauen in das zweite Obergeschoss auch zum „Nachdenken“ eingeladen, um mit den KünstlerInnen den „Blick auf ihre ‚Wahrheiten‘ zu richten. Etwa auf jene „Halbe Wahrheit“ im siamesischen Spiegelobjekt von Peter Gramming, „eine konzeptuell/inszenatorische Arbeit, die ganz unprätentiös mit unserer Phantasie spielt“, oder auf Walter Grammings „sechs Morde im Klinger“, bei denen sich je eine Leiche und/oder ihr Mörder in Neustadts Vorzeige-Neubaugebiet Klinger, mit einem fantastischen Blick auf das Nürnberger Tor treffen, das nirgendwo fehlen darf. Oder auf Dietmar Lissons Collagen, in denen die Objekte der Warenwelt wieder zurück in einen Naturzusammenhang führt aus dem auch sie kommen: „Ein feinsinniger Weckruf eines engagierten Menschen“.
Die Fotografin und Gestalterin Beate Pöltl platziert einen realen Tänzer an einem realen Abgrund, so wie einst Michelangelo die ersten
wirklich bewegten Menschen in der Geschichte der Malerei. Andreas Riedel wählte unter Dutzenden „geschossener“ Fotos von einem Model Riedel nur eines aus, das seinen strengen Kriterien des klassischen Aktes und seinem Formempfinden entsprach. Aus vielen
Leidensgeschichten, die sie in der ehrenamtlichen Flüchtlingshilfe mitfühlend hört und die in Deutschland nicht zu Ende sind, schöpft die vielfach auszeichnete Keramikerin und Plastikerin Heidi Kippenberg ihre kräftigen symbolischen Darstellungen zum Thema „Mee too…“.

Welkende Parabel auf das Leben

Christine Kestler und Maria Schwarm greifen „Geldsucht – eine nackte Tatsache“ mit der Frage auf, ob sie ansteckend ist. Die Eine setzt dies in einem surreal/comichaftem Stil um, die Andere in poetisch/melancholischen oft tief ins Detail dringen Zeichnungen, „wo sich der Betrachter romantisch verlieren kann“. Dass Dieter Uhlschmidt „ein Virtuose in allen erdenklichen Stilen von abstrakt über expressiv bis figürlich ist und immer gelingt, was er anfasst“ kommt in einer rundlich Schönen zum Ausdruck, die er sich anmutig auf einem roten Sofa räkeln lässt, über das ihre rotbraunen Haare vor grünem Hintergrund wallen. Reale Blumen und Gemüse umranken das Bild, die während der Ausstellung welken und vertrocknen: Eine Prozess-Art und Parabel auf das Leben.

Auf Peter Pabst Zeichnung ohne Titel quält sich wie Lemuren quält sich eine ganze Horde, eine Traube menschelnder Geschöpfe in eine bedenkliche Zukunft. „Sind wir das?“,

Manfred Hönigs Bildobjekte sind nicht nur die Gegenstände an sich, sondern zugleich Metaphern, die nicht selten für den Verfall stehen. Aber so romantisch der Vintage-Rost den Betrachter auch stimmen mag, so ist er doch ein Indikator dafür, dass unsere Maschinengesellschaft bald mit ihrem Latein am Ende sein könnte!
Der Tresor ist das Terrain von „ushi f“, in dem sie unter dem Titel „UltraVox“ in drei Objekte die Chaostheorie mit der Frage „verschließt“: „Was wäre die Wirklichkeit ohne den Schmetterlings­effekt, wo kleine Ursachen unwahrscheinliche Kettenreaktionen hervorrufen?“ Nicht müde zu werden, dem Zufall eine Chance zu geben und der Unwahrscheinlichkeit zu vertrauen, regt „ushi f“ an.

Entdeckung im Rathaus

Die Galerie ergänzt die „Träumende Frau“ von Professor Hannes Wiedemann, die Walter Gramming im Büro von Karin Mosch im Rathaus entdeckte. Sie stellte das Bild Vaters zur Verfügung. Für uns, so Gramming, „ist es eine Ehre und eine stilistische Erbauung einen Klassiker der Moderne dabei zu haben“. Ein sehr schöner und wertvoll gemachter Katalog mit Biografie von Wiedemann sei an der Museumskasse zu haben.
Von dem Würzburger Wolf-Dietrich Weissbach ist die „Rekonstruktion der Meerjungfrau Arielle nach den Angaben eines Salzherings“ ausgestellt, der seine „Schwarz-Weiß-Photographie mit Risiken und Nebenwirkungen“ als eine „Art Minnesang in thematischer und methodischer Hinsicht gleichermaßen“ bezeichnet: „Dafür inszeniere ich mit knappsten Mitteln Standbilder. Es geht nicht um Erotik. Allenfalls wird Erotik reflektiert“.

Bei der Vernissage mit Livemusik wird Manfred Hönig in die Themenausstellung einführen, die im „Museum im Alten Schloss“ jeweils Mittwoch und Freitag bis Sonntag von 14 bis 17 Uhr besichtigt werden kann.

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