Der Stoff, aus dem die Fußböden sind

28.2.2012, 17:10 Uhr
Der Stoff, aus dem die Fußböden sind

© Hagen Gerullis

Beim Belastungstest bekommt der Bewehrungsstahl plötzlich Fieber. Die Temperatur im Inneren steigt. Der Stahl, anfangs 21 Grad warm, beginnt mit zunehmender Belastung zu glühen. Im Bruchzustand ist er bis zu 60 Grad heiß. Herauszufinden, warum der Stahl so reagiert und welches Mischungsverhältnis von Betonen extremen Belastungen am besten standhält, ist einer der Forschungsschwerpunkte Fakultät am Keßlerplatz.

Freimann verfügt noch über eine Reihe weiterer eindrucksvoller Experimente. Er führt sie gerne vor, um die speziellen Eigenschaften des Baustoffs Beton zu zeigen. In einem Fall wird ein Betonzylinder in eine Versuchsanordnung gespannt und anfangs mit 35 Tonnen belastet. Das entspricht dem Gewicht eines vollgeladenen Lastwagens. Der Druckversuch ist zur Prüfung der Sicherheit fest vorgeschrieben. Das Werkstück übersteht diesen Druck mit geringen Verformungen. Bei einer Last von 130 Tonnen ist leichtes Knirschen und Knacken im Raum zu hören. Kurz danach fängt der Stoff an zu bröckeln. Bei 247 Tonnen bricht das Stück mit einem lauten Knall in viele kleine Stücke, doch ein felsförmiger Brocken bleibt stehen.

Für den Professor ist das keine Überraschung, sondern die Bestätigung seiner Vermutung. Denn er forscht nach extrem belastbaren Baustoffen, die man in Hochhäusern oder stark frequentierte Brücken einbauen kann. „Mindestens 50 Jahre sollte Beton nutzbar bleiben“, erklärt der Bauingenieur, der den Begriff „Betonkopf“ übrigens überhaupt nicht ehrenrührig findet.

Rund 150 Studenten jährlich bildet Freimann aus. Er versucht sie für seine Leidenschaft, den Betonfußboden, zu begeistern. Um eine möglichst lange nutzbare Fläche zu produzieren, sind hohe technische Anforderungen bei der Zusammensetzung und Herstellung einzuhalten. Im Rahmen von Bachelor-Arbeiten werden schon auch einmal ungewöhnliche Zusatzstoffe ausprobiert. Ein chinesischer Student verarbeitet beispielsweise Reis in seinem Beton, ein anderer greift zu Holzspänen. Es gibt auch feine Glasfasern, die für Stabilität sorgen sollen.

Natürlich gehören Berechnungen zum Studienalltag. Aber da Freimann nach dem Abitur zunächst eine Maurerlehre absolviert hat, wird der wissenschaftlichen Arbeit immer auch eine größere Portion Praxisbezug beigemischt. „Es ist ein Vorteil, eine handwerkliche Ausbildung zu haben“, betont er. Dadurch kenne man die Probleme und Besonderheiten der Branche und könne sie ins Forschungsdesign aufnehmen. „Die Begeisterung für das Bauen entstand bei mir aber erst sukzessive“, fügt er hinzu.

Auf diese Weise fand Thomas Freimann zum Studium des Bauingenieurswesen. Dass er und seine Kollegen überall „die Finger mit drin haben, wo gebaut wird“, macht ihn stolz. In der Wahrnehmung stünden die Architekten oft in der ersten Reihe, meint er. Aber die Bauingenieure seien maßgeblich dafür verantwortlich, dass die Entwürfe Gestalt annehmen.

An der Wissenschaft findet es der Professor spannend, dass „ergebnisoffen geforscht wird“. Dafür benötige man ein „detektivisches Gespür“, da vieles hinterfragt werden müsse. Grundvoraussetzung sei Neugierde. „Ohne die geht es nicht“, betont er. Zunehmend interessieren sich auch Frauen für diesen Beruf. Immerhin beträgt der Frauenanteil in Freimanns Bereich 25 bis 28 Prozent.

Wer sich an die Erforschung von fließfähigen Betonen und anderen Materialien macht, für den gehören schmutzige Hände zum Studienalltag. Im Labor steht ein Betonmischer, in dem sich die graue Theorie in graue Masse verwandelt. Dabei ist es entscheidend, dass diese die richtige Konsistenz hat. Schließlich wird Beton in fast allen Gebäuden verwandt.

Daher ist es kaum verwunderlich, dass Freimann selbst in seiner Freizeit die Beschaffenheit von Betonböden beispielsweise in Baumärkten prüft. Schließlich wird er manchmal zu Rate gezogen, wenn es um die Beurteilung eines Schadensfalls geht.
 

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