Dicke Brillen schon in jungen Jahren

12.11.2017, 11:15 Uhr
Dicke Brillen schon in jungen Jahren

© Foto: Wolf-Dietrich Weissbach/BIS

Der Schulweg ist voller Tücken und, ganz buchstäblich, gepflastert mit Stolpersteinen. Obwohl er gelernt hat, gut aufzupassen, ist Filipp (alle Namen geändert) schon oft auf die Nase geflogen. Denn er sieht viel weniger als alle anderen Kinder in seiner Klasse und muss eine extrem starke Brille tragen.

Immerhin: Trotz dieser Einschränkung kommt der Junge im Unterricht gut mit, die Nachmittagsbetreuung hat sich auch darauf eingestellt, das Kind entsprechend zu unterstützen. Dabei teilt der Bub das Schicksal mit seiner kleinen Schwester. Die besucht noch einen Kindergarten – und muss ebenfalls lernen, mit einer extremen Sehschwäche zurechtzukommen.

Die Fachleuten haben den Kindern dicke Brillen mit bis zu zehn Dioptrien verordnet. Und die räumliche Orientierung fällt schon deshalb schwer, weil zumindest eines der Kinder alles nur "flach" statt in drei Dimensionen, also auch in der Tiefe, wahrnimmt. "Für beide Kinder gibt es aber eine Frühförderung durch das Bildungszentrum für Blinde und Sehbehinderte", berichtet Theodora P., die Mutter. Und macht sich natürlich Sorgen, dass auch ihr drittes Kind, das erst vor ein paar Monaten zur Welt kam, von einer womöglich erblich bedingten Sehschwäche betroffen ist.

Alle Schwierigkeiten muss die junge Nürnbergerin allerdings weitgehend alleine meistern. Immerhin hat ihr das Jugendamt eine Sozialpädagogin als Helferin bewilligt. Ein Segen, zumal in den zurückliegenden Wochen. Denn da war ganz kurzfristig auch noch ein Umzug zu bewältigen. Den hatte sich die Mutter einerseits zwar sehnlichst gewünscht – weil in der früheren Bleibe nicht mal ein Kinderzimmer zur Verfügung stand und auch nur ein einziger Heizkörper.

Aber das neue Zuhause war und ist immer noch stark renovierungsbedürftig. So stehen überall Kisten und Eimer statt der dringend benötigten Einrichtung. Dabei hat Theodora P. in einem bewundernswerten Kraftakt – neben allem, was im Haushalt und mit den Kindern sonst anfällt – die meisten Wände selbst gestrichen; ein Nachbar half ihr, Glühbirnen anzuschließen. Und doch bleibt noch viel zu tun – und Handwerker kann sie sich nicht leisten.

Denn die Lebensumstände sind ganz allgemein bedrückend: Der Familie fehlt es an allen Ecken und Enden, von Bodenbelägen über Möbel bis zu Spielzeug. Nach und nach soll all das mit Unterstützung der Familienhelferin auf Gebrauchtwarenmärkten beschafft werden.

Mehr Licht

"Gerade für die Kinder ist das neue Umfeld aber sehr förderlich, wegen der Sehschwäche ist viel Licht besonders wichtig", betont auch die zuständige Sozialarbeiterin beim Allgemeinen Sozialdienst. Und ist froh, dass sich die Mutter wieder "gefangen" hat. In Schwermut verfallen, hatte sie monatelang wichtige Angelegenheiten schleifen lassen – bis ihr sogar der Strom gesperrt wurde. Die tiefe Depression kam freilich nicht von ungefähr. Schon im eigenen Elternhaus hatte es massive Schwierigkeit gegeben. "Ich hatte aufbegehrt und bin auf und davon", erzählt die Frau im Rückblick. Noch als Minderjährige wurde sie das erste Mal schwanger. Die Beziehung mit dem Partner dauerte elf Jahre, war aber von Beleidigungen, Bevormundungen und handfesten Bedrohungen geprägt, bis Theodora P. es endlich schaffte, sich zu lösen.

Um wenigstens finanziell wieder festeren Boden unter den Füßen zu gewinnen, würde sie lieber heute als morgen wieder ihre Arbeit bei einem Reinigungsdienst aufnehmen; doch das wird erst gelingen, wenn sie für Benjamin einen Krippenplatz findet.

 

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