Digitaler Wahlkampf: Wie Politiker im Netz Stimmen fangen

20.8.2018, 05:52 Uhr
Ein Foto für Facebook: Medienprofi Markus Söder mit dem Fürther Oberbürgermeister Thomas Jung. Söder hat allerdings auch einige Helfer für seine Social-Media-Auftritte.

© Hans-Joachim Winckler Ein Foto für Facebook: Medienprofi Markus Söder mit dem Fürther Oberbürgermeister Thomas Jung. Söder hat allerdings auch einige Helfer für seine Social-Media-Auftritte.

Diese Zahlen zeigen deutlich den Zuwachs an Bedeutung, den beispielsweise Facebook und andere soziale Medien als Mittel der Wahlwerbung bekommen haben: Vor der Wahl vor genau fünf Jahren hatten 73 Prozent der Landtagsabgeordneten in Bayern ein privates Profil oder eine Fanseite bei Facebook. Auf den Plätzen folgten dann Accounts beim Kurznachrichtendienst Twitter, beim Netzwerk Xing und dem Videokanal YouTube.

Zumindest bei Facebook liegt die Quote heute bei fast hundert Prozent, - dabei sind auch solche Abgeordneten, die sich ganz offenkundig nur alle paar Monate etwas posten. Wie etwa zwei Schwandorfer, der scheidende SPD-Abgeordnete Franz Schindler oder Emilia Müller von der CSU, die ebenfalls den Landtag verlässt.

Für alle anderen, besonders aber für die Kandidaten, die in den Landtag wollen, hieß es längst: Accounts anlegen und die Netzgemeinde möglichst schnell vergrößern.

Die Nürnberger CSU-Landtagskandidatin Barbara Regitz postete kürzlich Bilder aus Tutzing am Starnberger See. Dort war sie zu Gast bei einem Seminar über soziale Medien. Ihr Facebook-Auftritt gleicht einem Wahlkampftagebuch.

Unliebsame Reaktionen

Bei der SPD in Nürnberg hat im Juni ein Seminar stattgefunden, bei dem es um die Betreuung von Internetseiten und Kanälen auf sozialen Netzwerken ging. Die technischen Erläuterungen nahmen nur geringen Raum ein. Dagegen ging es um unliebsame Reaktionen von Rechtspopulisten und Neonazis. Wie geht man mit einem Shitstorm um?

Auch der Sprecher der Bayern-SPD, Ino Kohlmann bildet die Genossen fort. Er sieht es als "verschenkte Chance", die neuen Kanäle nicht zu bedienen und leistet "Überzeugungsarbeit". Der klassische Wahlkampf auf Straßen und an Haustüren habe sich damit nicht erledigt. "Man muss das eine tun und das andere nicht lassen", predigt er unverdrossen.

Denn neben "unsachlichen Kommentaren" gebe es über die Netzwerke auch "ernsthafte Anfragen und Anregungen" wie sonst per Mail oder Telefon: "Da müssen wir prompt reagieren." Sein Fazit: "Mehr Arbeit, aber lohnend - und wir müssen auch redaktionell strukturieren, welche Themen wir besetzen."

"Ton wird schärfer in den sozialen Medien"

Ähnlich sieht das Lena Motzer, Sprecherin der Grünen in Bayern. Sie hatte kein Problem, ihre Spitzenkandidaten Katharina Schulze und Ludwig Hartmann zu überzeugen: "Unsere Leute sind da richtig aktiv, das sieht man auch an den vielen Selfies."

Allerdings sieht sie auch eine negative Tendenz: "Der Ton wird schärfer in den sozialen Medien." Im Klartext heißt das bei den Grünen, dass bei gravierenden Beleidigungen und Verunglimpfungen eine Strafanzeige geprüft wird.

Auch die CSU setzt längst auf die sozialen Medien: "Wir werden in den kommenden Wochen einen stark digitalisierten Wahlkampf führen und im Rahmen der hohen deutschen Datenschutzstandards die Möglichkeiten der gezielten Wähleransprache nutzen", erkärt CSU-Sprecher Jürgen Fischer.

CSU gibt keine Details bekannt

In der Parteizentrale in München gebe es ein eigenes Team, das sich mit Community Management beschäftige, also den diversen Gruppen bei Facebook beispielsweise, die für höhere Reichweiten sorgen. Und was kostet das? "Ich bitte Sie um Verständnis, dass wir zu Details unserer Kampagne, insbesondere zu Budgetfragen, keine Auskunft geben können."

Der Großteil der Posts und Tweets ist trotz professioneller Unterstützung auch bei den Landtagskandidaten von langweiligen Aufnahmen geprägt. Kirchweih hier, Gruppenbild der Parteifreunde da, eine Runde am Biertisch, dann wieder Kaffee. Die Kandidaten lassen es menscheln.

Ministerpräsident Markus Söder spielt natürlich auch auf dieser Klaviatur, und auch bei ihm dürften einige Berater im Hintergrund für geeignete Szenen sorgen. Söder auf einem Steg an der Pegnitz, im Bierzelt und im Autoscooter in Straubing, mit Kätzchen im Tierheim Nürnberg, dann noch mal mit Welpe.

Das Internetportal "Pluragraph" wertet die Aktivitäten von Politikern aus und sieht Söder mit seinen über 100.000 Kontakten an der Spitze der Landtagspolitiker. Platz zwei belegt Innenminister Joachim Herrmann (CSU) mit fast 24.000 Followern auf den Netzwerken.

Natascha Kohnen, Spitzenkandidatin der SPD, belegt mit 21.700 Kontakten Rang 3, mit zuletzt stark nach oben weisender Tendenz. Ilse Aigner (21.600, CSU ) und Hubert Aiwanger (17.700, Freie Wähler) folgen vor der Grünen Katharina Schulze mit knapp 17.000 Followern.

Aus der Region kommt beispielsweise Arif Tasdelen (SPD) auf Platz 16, Finanzminister Albert Füracker auf 19, Petra Guttenberger (40, CSU), Karl Freller (58, CSU), Verena Osgyan (64, Grüne), Stefan Schuster (73, SPD), Helga Schmitt-Bussinger (87, SPD), Alexandra Hiersemann (97/SPD), Harry Scheuenstuhl (100, SPD))

Auf dem Ranking der deutschsprachigen Politiker erreicht Medienprofi Söder - er ist gelernter Fernsehredakteur - Platz 59. Dort führt Bundeskanzlerin Angela Merkel (mehr als drei Millionen Kontakte, Tendenz steigend), vor Martin Schulz (1,1 Millionen, Tendenz sinkend). Auf dem vierten Platz - vor den österreichischen Politikern Kurz und Strache - rangiert aktuell mit enormen Steigerungsraten von mehreren hundert Prozent pro Woche Sarah Wagenknecht von der Linken mit 830.000 Kontakten.

Endlose Kommentare

Die Zahlen sagen noch nichts über Qualität aus. Wer die Posts und Tweets samt der oft endlosen Kommentare liest, sieht auch, welche Themen inhaltlich zünden. Zuletzt waren es das bayerische Familiengeld oder die Diskussion um die Grenzpolizei des Freistaats. Hier tragen die sozialen Medien - argumentativen Anstand vorausgesetzt - durchaus zur Meinungsbildung bei, wie es das Grundgesetz vorsieht.

Manchmal verfehlen Kampagnen aber auch ihr Ziel. Unter dem Hashtag "#CSUliefert" wollten die Christsozialen ihre politischen Erfolge auf Twitter feiern. Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. #CSUliefert Schwachsinn - Endlich ist die Spanisch-Deutsche Grenze sicher!" So lautete nur einer der kritischen Kommentare. Der Applaus blieb weitgehend aus. Gerade der Kurznachrichtendienst hat durch seine überspitzten Kommentare oft Unterhaltungswert.

Auf Facebook, Twitter und zunehmend auch Instagramm will sich aber kein Politiker im Wahlkampf allein verlassen: Schon jetzt wird der Straßenwahlkampf intensiviert. Und auch das persönliche Vorstellen an der Haustür, das Klinkenputzen, ist noch längst nicht aus der Mode gekommen, heißt es bei den Parteien unisono.

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