„Ehrlicherweise müsste die CSU ihr Integrationsgesetz stoppen“

22.7.2016, 19:21 Uhr
„Ehrlicherweise müsste die CSU ihr Integrationsgesetz stoppen“

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Wie dringlich ist die Arbeit Ihrer Kommission nach dem Würzburger Attentat?

Arif Tasdelen: Diese Tat hat meines Erachtens nach nichts mit Integration zu tun. Da geht es um innere Sicherheit. Die bayerische Polizei hat hier schnell gehandelt und noch Schlimmeres verhindert. Wir müssen uns jedoch Gedanken darüber machen, wie wir besser gegen Radikalisierung vorgehen können und die Menschen schnell in unsere Gesellschaft integrieren.

Der 17-Jährige war integriert, war in einer Pflegefamilie, wurde betreut, hatte sogar eine Lehrstelle in Aussicht.

Tasdelen: Das kann so sein. Aber ich befürchte, dass wir ihn mit allen Maßnahmen nicht erreicht hätten. Es ist zu vermuten, dass er ein Krimineller war.

Beschränken Sie die Integration auf die Flüchtlinge?

Tasdelen: Wir müssen uns genauso um die kümmern, die als Gastarbeiter gekommen sind, die seit 30, 40 Jahren in einer Stadt leben und sie nicht einmal kennen. Ihnen könnten wir spezielle Stadtführungen anbieten. Ich bin mir sicher, das Interesse bestünde. Und es würde uns nichts kosten.

Wird das Geld eine besondere Rolle spielen in der Enquetekommission?

Tasdelen: Um Geld geht es nicht. Wir werden eher neue Ideen entwickeln. Ich kann mir gut vorstellen, dass ein Ergebnis unserer Arbeit der Ruf nach mehr Begegnung sein wird. Die ist kein Problem zwischen der Gesellschaft und den Flüchtlingen. Da klappt es ganz gut. Das Defizit besteht zwischen den Gastarbeitern und der Mehrheitsgesellschaft.

Woran denken Sie?

Tasdelen: Mir erzählen Bürgermeister, dass sie Alphabetisierungskurse anbieten und überrascht sind, wie viele ältere Migrantinnen sich anmelden. Sie kommen nur, weil die Gemeinden in die Communitys gegangen sind und dort für ihr Angebot geworben haben. Das hätten die Frauen sonst nie mitbekommen.

Worauf führen Sie die Distanz zwischen der Gesellschaft und den Migranten zurück?

Tasdelen: Die war von Beginn an da. Auch meine Eltern waren felsenfest überzeugt, dass sie nur wenige Jahre bleiben. Die haben keine Kurse besucht, die am Ende auch noch Geld gekostet hätten. Da ging es nur um arbeiten, Geld verdienen, zurückkehren. Deshalb wohnten die Migranten auch in Stadtteilen, wo die Mieten günstig waren und blieben unter sich.

Gilt das für alle Generationen?

Tasdelen: Für die junge Generation sicher nicht. Die wächst multikulturell auf, geht auf deutsche Schulen, hat überhaupt keine Berührungsängste. Die Probleme bestehen eher in meiner, der zweiten Generation. Wir leben zwischen den Kulturen, haben auf der einen Seite die Eltern, die zurück wollen und wissen auf der anderen, dass wir uns integrieren müssen.

Die Situation bei den Flüchtlingen ist doch vergleichbar der der ersten Gastarbeiter-Generation, weil sie ebenfalls nur für einen begrenzten Zeitraum bleiben sollen.

Tasdelen: Im Gegenteil. Als meine Eltern kamen, gab es keinen Sprachkurs, nicht einmal an der Volkshochschule. Es gab überhaupt kein Angebot für sie. Bei den Flüchtlingen ist das anders. Sie lernen Deutsch, sie lernen einen Beruf. Gehen sie zurück, sind sie vorbereitet. Müssen sie länger bleiben, beherrschen sie die Sprache.

Wozu dann die Kommission?

Tasdelen: Weil wir in Bayern zwar sehr viele Projekte haben, aber nichts davon vernetzt ist. Wir wollen untersuchen, was gibt es, was davon ist zielführend, was nicht. Wir wollen die Angebote optimieren und koordinieren. Es gibt Städte wie Nürnberg, die in der Integrationsarbeit vorbildlich sind. Und es gibt andere, die gar nichts tun. Ich hoffe, dass wir am Ende einen Maßnahmenkatalog entwerfen, der in einen Integrationsplan für Bayern mündet. Ob der dann ein Gesetz sein muss, lasse ich offen.

Die CSU plant genau so ein Gesetz.

Tasdelen: Ehrlicherweise müsste sie es stoppen. Sie erhebt darin die Leitkultur zum Maßstab und droht mit Sanktionen, falls ihr die Migranten nicht folgen. In der Enquetekommission fragen wir aber mit Zustimmung der CSU, was Leitkultur überhaupt sein soll und was sie für die Integration bedeutet. Natürlich müssen wir Werte vermitteln, wie sie in der Verfassung und im Grundgesetz stehen, und Verhaltensregeln definieren. Mit einer Leitkultur hat das aber nichts zu tun.

Glauben Sie, dass Sie mit der CSU zusammenarbeiten können, die sich auf die Leitkultur festgelegt hat?

Tasdelen: Die CSU hat begriffen, dass von einer gelingenden Integration die Zukunft unseres Landes und der soziale Frieden hier abhängen. Das ist eine gute Arbeitsbasis. Wir werden kooperativ herangehen. Auch für mich wird es keine Tabus geben. Wir müssen zum Beispiel natürlich darüber reden, ob Sanktionen, wie von der CSU vorgesehen, hilfreich sind oder nicht. Ich bin da offen.

Wird am Ende der Satz stehen: Der Islam gehört zu Deutschland?

Tasdelen: Das ist eine Schaufensterdebatte, die ich nicht gerne führe. Ich debattiere lieber, was wir tun müssen, damit Muslime sich hier aufgenommen fühlen. Ein Riesenproblem in der Community sind beispielsweise die Hinterhofmoscheen, in die niemand einen richtigen Einblick hat. Das müssen wir anders gestalten, weltoffener und nach europäischen Werten.

Wie soll das gehen?

Tasdelen: Indem die Stadtplaner nicht nur fragen, welche Straßen braucht es und welche Einkaufsmöglichkeiten, sondern auch, wo eine Moschee sinnvoll wäre. Das heißt aber nicht, dass die Stadt sie finanzieren soll.

Wie wollen Sie steuern, welche muslimische Gemeinde diese Moschee dann führt?

Tasdelen: Wir müssen uns mit allen Gemeinden an einen Tisch setzen, klären, inwieweit sie unseren Wertvorstellungen entsprechen und mit ihnen einen Staatsvertrag schließen, im Idealfall mit einer federführenden Gemeinde. Darauf müssen die Muslime sich verständigen.

Der Anschlag des jungen Afghanen mit fünf Verletzten wird die Ängste der Menschen eher steigern. Bedroht das die Integration?

Tasdelen: Natürlich nehmen die Ängste zu. Aber ich wüsste nicht, mit welcher Integrationsmaßnahme wir diese Tat hätten verhindern können. Einzeltätern ist schwer zu begegnen.

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