Die Enkel von Benn und Brecht

28.8.2010, 10:25 Uhr
Die Enkel von Benn und Brecht

© Harald Sippel

Der Klassiker: Ja, das ist er, durch und durch. Die „Internationale Nacht der Poesie“, zum ausverkauften Festival-Auftakt moderiert von Bayern 2 (heute ab 20.05 Uhr dort zu hören), mag davon leben, dass die unterschiedlichsten Dichterstimmen zusammenkommen – die von Durs Grünbein wird bleiben. Auch im Ohr des Zuhörers: Weil der Dresdner Lyriker, Jahrgang 1962, so sanft und souverän, so in jeder Hinsicht geschmeidig seine Verse vorzutragen weiß. Ein Vergnügen, mit vielen nachdenklichen Akzenten.

Sicher, auch der kecke Singsang einer Ulrike Almut Sandig, der sächselnde Spott von Volker Braun oder das altägyptische Liebesraunen eines Raoul Schrott (woher weiß der Tiroler Teufelskerl nur, wie man damals sprach?!) sorgte für Abwechslung im heißen Redoutensaal. Grünbein aber blieb eine Klasse für sich. Seine Gedichte – meist aus dem neuen, römisch inspirierten Band „Aroma“ (Suhrkamp, 19,90 Euro) – sind unvergleichlich elegant, sind raffiniert und einfach, eben klassisch schön. Ganz egal ob er den alten Doktor Benn oder die dornig-dicken Blätter einer Agave bewundert...

Die Rückkehr: Beim Poetenfest wird auch Ludwig Fels wohl wieder Poet sein – und Gedichte lesen. Denn gerade ist sein neuer Lyrikband erschienen: „Egal wo das Ende der Welt liegt“ (Jung und Jung, 20 Euro). Und als Lyriker war der Nürnberger Kulturpreisträger stets besonders gut – nie experimentell, aber immer existenziell und essenziell.

Früher war in seinen Gedichten viel Wut, viel Kot, gekotzt wurde vor Lust oder vor Entsetzen. Die neuen Verse sind melancholisch, voller Sehnsucht nach der großen Umarmung, immer noch Lieder der Liebe, die gar nicht mehr körperlich sein muss, und das Glas voll Pisse ist höchstens noch eine Metapher für den Mond. „Du lebst/ irgendwo/ hinter der Milchstraße/ und ich/ begrabe mein Herz unter Papier“, schreibt Ludwig Fels. Oder unter dem Titel „Nachruf auf mich“: „Er weinte auf dem Papier./ Die Steine haßten ihn./ Engel gruben ihm das Grab./ Er sang unter der Erde.“

Ganz altmodisch, ganz schlicht schreibt Ludwig Fels seine Gedichte mit einer überschaubaren Zahl von Wörtern und Themen. Man nimmt ihm ab, dass er sein Herz hinlegt, Zeile für Zeile. Die Ferne kommt vor, er besingt die Geschlachteten wie Che Guevara und Sitting Bull und widmet dem Lyrikvater Brecht eine Hommage. Und selbst wo er herkommt, hat er nicht vergessen: „Ade, Treuchtlingen. Wenn ich/ wiedergeboren werde, dann/ dort. Wachsend in der Erde meiner Mutter...“halef

Der Anfang: Bresekow in Mecklenburg-Vorpommern ist eine „Sammelstelle für Bekloppte“, wie es ein Charakter in Zanders Roman „Dinge, die wir heute sagten“ formuliert. Das ist zwar überspitzt, trifft aber zu. Im Dorf ist eben nichts los: Es gibt kein Café, geschweige denn ein Kino. Die Jugend begnügt sich damit, Hirn und Zeit auf der Elpe, einem verfallenen Gebäude, zu vertrinken.

An diesen trostlosen Ort kehrt Ingrid zurück, die vor Jahren in den Westen floh und nun mit Mann und Kind in Irland lebt. In Bresekow muss sie ihre Mutter beerdigen. Im Roman wird das aber zur Nebensache, denn Ingrids Besuch löst in den Dorfbewohnern viele Erinnerungen aus. Und man spürt: Niemand ist wirklich glücklich, der Alltag hat sie festgekettet oder die Pubertät nervt, es kommen drei Generationen zu Wort. Romy und Ella etwa erzählen von ihren Sorgen als Jugendliche und wie Paul, Ingrids Sohn, aus ihnen so etwas wie Freundinnen macht.

„Dinge, die wir heute sagten“ ist Judith Zanders Debütroman (dtv-premium, 16,90 Euro). Abwechselnd lässt die Mecklenburger Autorin, Jahrgang 1980, Charaktere das Wort ergreifen. So gewinnt der Leser erst nach mehreren Kapiteln einen Eindruck von Pampa-Bresekow, von den Figuren und den Familienstrukturen, von den übergeordneten Themen des Buches wie Heimat oder Familie.

Dass sich das Roman-Knäuel erst langsam entwindet und sich Charaktere in inneren Monologen selbst sezieren, muss man mögen. Bemerkenswert ist aber, dass es Judith Zander schafft, jeder einzelnen Figur einen eigenen Sprachklang zu geben. Ob Ella (flapsig-introvertiert-genervt), Ecki (der mit komprimiert-obszönen Sätzen den Dorf-Macho gibt) oder Henry, der geistig behinderte Sohn von Ingrid, der in der Irrenanstalt lebt. Ihn ließ Ingrid zurück, als sie Bresekow den Rücken kehrte.

Der Grund liegt in Ingrids Vergangenheit, hinter einem Wall aus Schweigen, das zwischen den Familien zu finden ist und Bresekow eine klaustrophobische Enge verleiht. Judith Zander ist bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden, und vor wenigen Tagen wurde ihr Roman für den Deutschen Buchpreis 2010 nominiert. Christiane Fritz
 

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