Eine kleine Weihnachtsgeschichte aus Erlangen

25.12.2015, 06:00 Uhr
Eine kleine Weihnachtsgeschichte aus Erlangen

© Foto: Mark Johnston

Grund zum Lachen haben Ali und Haifa Khalaf nicht. Aber sie tun es trotzdem: für Awraz, Aras, Akhlas, Aroas und Ahmad, ihre Söhne und Töchter. „Ich lebe nur für meine Kinder“, sagt Ali Khalaf, „sie allein geben mir und meiner Frau den Sinn im Leben weiterzumachen.“

Denn eigentlich, findet der 40-Jährige, habe er kein Recht mehr, auf der Welt zu sein. Jetzt, da fast seine gesamte, einst weit verzweigte jesidische Familie mit Eltern, Brüdern und Schwestern tot ist — ausgelöscht von den grausamen Terrormilizen des so genannten Islamischen Staates (IS).

Frauen wurden verschleppt

Auch Ehefrau Haifa (39), die wie ihr Ehemann der religiösen Minderheit der Jesiden angehört, hat bis auf wenige Fotos auf ihrem Handy kaum mehr etwas von ihrem früheren Leben: Vater und Mutter, Geschwister; fast keiner ihrer Angehörigen hat das Massaker der Islamisten im August 2014 überlebt.

Der brutale Überfall der in schwarz gekleideten Terroristen auf ihr Heimatdorf Kocho erschütterte damals die Weltöffentlichkeit: Tagelang belagerten IS-Kämpfer den Ort im Nordirak, töteten hunderte Männer und Kinder und verschleppten Frauen jeglichen Alters, um sie zu verkaufen oder schließlich doch noch bestialisch zu ermorden. Ali und Haifa Khalaf haben bei dem verheerenden Attentat ebenfalls ihre Liebsten verloren. Sie selbst überlebten nur, weil sie zu diesem Zeitpunkt mit ihren Kindern bereits in Sicherheit waren — in einer Wohnung in Erlangen.

Ali Khalaf, den die deutschen Behörden als Asylbewerber anerkannt haben, hatte frühzeitig die grausamen Zeichen der Zeit erkannt: „Seit Jahren werden wir Jesiden von Arabern und Moslems verfolgt und getötet“, erzählt er in fast schon perfektem Deutsch. „Ich hatte keine Lust mehr, ständig Angst zu haben und bin schließlich gegangen.“

Mit Schleusern gelingt dem früheren Bauern 2009 die Flucht nach Deutschland, er arbeitet als Küchen- und Putzhilfe und holt drei Jahre später seine Frau und (die bis dahin bereits geborenen) Kinder nach Deutschland. Gerade noch rechtzeitig vor der schrecklichen Bluttat im August vergangenen Jahres.

Die drei Söhne und zwei Töchter zwischen zwei und zwölf Jahren sollen von alldem nichts wissen, sagt Haifa Khalaf, die in der evangelisch-reformierten Kirche von Pfarrer Johannes Mann regelmäßig einen Deutschkurs besucht. Aber in Zeiten, in denen Nachrichten innerhalb von Sekunden um die Welt gehen, lassen sich auch die dunkelsten Geheimnisse vor Heranwachsenden nicht verbergen. „Die Älteren haben über Facebook davon schon etwas mitbekommen“, erzählt der Vater, „und ein bisschen können sie sich auch noch an ihre Onkel und Tanten erinnern“.

Die Erinnerungen soll die nächste Generation bewahren, doch soll die Vergangenheit sie nicht so schmerzen wie Haifa und Ali Khalaf. Deshalb wollen die Eltern den Kindern in Erlangen ein neues Leben bieten — damit zumindest die fünf Mädchen und Jungen möglichst unbeschwert in die Zukunft blicken können.

Deshalb steht Vater Ali auch nach Nächten voller Kummer und düsterer Gedanken am nächsten Morgen wieder auf, um sich mit Putzjobs und einem Schulbesuch für die Zukunft zu rüsten. Deshalb sitzt Mutter Haifa ein Mal pro Woche in Pfarrer Manns Deutschkurs und zählt — mit einer gewissen Heiterkeit —, mit ihr noch eher fremden Lauten verschiedene Gewürz- und Gemüsesorten auf, die drei Jüngsten mit neugierig-begeisterten Blicken an ihrer Seite.

„Wir können in unser Land nicht mehr zurück“, erzählt Ali Khalaf, „wo früher Natur und Berge waren, lauert nur noch der Tod.“ Daher seien sie froh, dass sie in Deutschland sind: „In Deutschland leben viele Christen, und Christen haben nicht auf uns geschossen.“ Am liebsten würde Ali Khalaf alles vergessen, einfach hinter sich lassen, die kurdische und arabische Sprache, die täglichen Diskriminierungen und Diffamierungen. Auch Haifas Herz ist schwer und ihr Kopf leer, sagt sie, und Ehemann Ali übersetzt die Worte, mit traurigem Ton in der Stimme. 

Plötzlich aber hellen sich die Gesichter der beiden Eheleute auf, Akhlas und Aroas laufen freudestrahlend mit weit ausgebreiteten Armen auf sie zu, schmiegen sich eng an Mutter und Vater. Kinder seien ein Grund, da zu sein und stünden für das Leben, die Zukunft, sagt Ali Khalaf. Ganz so, wie die Geburt Jesu Christi für Hoffnung und einen Neuanfang steht. „Gott hat uns Kinder geschickt“, sagt Vater Ali Khalaf, „er hat sie uns geschenkt, wir müssen auf sie aufpassen.“

Das tun sie. Die Kinder besuchen die Schule, gewöhnen sich Tag für Tag mehr an die neue Umgebung. Vor Kurzem haben sie in der Gemeinde von Pfarrer Mann erfahren, wie ein Adventsfest hierzulande aussieht — mit fränkischem Essen, Plätzchen und Weihnachtsliedern.

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