Ende des Zweiten Weltkriegs: Stunde Null in Erlangen

16.4.2020, 18:58 Uhr
Ende des Zweiten Weltkriegs: Stunde Null in Erlangen

© Stadtarchiv Erlangen

Nachdem die Zivilbevölkerung den Krieg nur aus der Distanz kannte, geriet sie nun selbst mitten in die militärische Auseinandersetzung. Vom 1. Januar bis zum 15. April 1945, in nur 105 Tagen, erlebte Erlangen 316 öffentliche Panzeralarme und Luftwarnungen. Auf drei bei Tag kamen zwei in der Nacht. Seit Beginn des Krieges bestand wegen der Fliegergefahr Verdunkelungszwang. Schon bei Voralarm musste die Straßenbeleuchtung ausgeschaltet werden.

Der Aufenthalt im Freien wurde wegen der allgegenwärtigen Tiefflieger zunehmend gefährlich. Die Ernährungssituation verschlechterte sich zusehends. In der Woche vor der Einnahme erhielten Erwachsene auf Lebensmittelkarten 250 Gramm Fleisch, 50 Gramm Fett, 1600 Gramm Brot (in den beiden Folgewochen nur 1000 Gramm), weiter für drei Wochen 225 Gramm Nährmittel, 375 Gramm Zucker, 62,5 Gramm Käse, 125 Gramm Quark und 100 Gramm Kaffee-Ersatz.

Am 15. April kam es auf dem Güterbahnhof zu massenhaften Plünderungen der dort abgestellten Eisenbahnwaggons, die letzten Stunden des Krieges verbrachte ein Großteil der Bevölkerung dann im Keller.

Ende des Zweiten Weltkriegs: Stunde Null in Erlangen

© Foto: Stadtarchiv Erlangen

Nachdem die Amerikaner am Vortag zur Zermürbung der Moral mit der ziellosen Beschießung der Stadt begonnen hatten, stellten sie am 16. April, einem Montag, ein Ultimatum bis 11 Uhr. In letzter Minute traf der Kampfkommandant, Oberstleutnant Werner Lorleberg, zusammen mit Oberbürgermeister Herbert Ohly und Polizeioberleutnant Andreas Fischer, der die weiße Fahne trug, am von den Siegern bestimmten Treffpunkt Spardorfer Straße 19 ein, wo etwa um 11.30 Uhr die kampflose Übergabe der Stadt stattfand. Da eine "Kampfgruppe" in der Thalermühle nicht kapitulieren wollte, stellten die Amerikaner ein zweites Ultimatum bis 14 Uhr. Kurz vor dem Ablauf starb Oberstleutnant Lorleberg vermutlich durch Selbstmord, nachdem er die Soldaten zur Aufgabe bewogen hatte. Der Angriff der Amerikaner forderte 23 Schwer- und rund 200 Leichtverletzte, 34 Zivilisten und 14 Soldaten starben. Werner Lorleberg war der einzige, der direkt im Zusammenhang mit der Übergabe der kaum verteidigten Stadt sein Leben verlor.

 

Tausende verließen die Stadt

 

Kurz vor Ablauf des Ultimatums forderten die Amerikaner die Zivilbevölkerung auf, sich bis 14 Uhr hinter ihrer Kampflinie entlang der Spardorfer Straße und der Schwabach in Sicherheit zu bringen. Aus Angst vor der Beschießung verließen tausende Männer, Frauen und Kinder die Stadt. Auf dem Weg begegneten ihnen bereits amerikanische Infanteristen, die Erlangen vor Ablauf des Ultimatums besetzten.

Hans Liermann: "Der Auszug der Erlanger Bevölkerung war zum Teil ein Elendszug. Denn es mussten ja auch die Kliniken geräumt werden. Soweit die Patienten dazu fähig waren, schleppten sie sich selbst aus der Stadt. Viele mussten vom Pflegepersonal mit Rollstühlen und Bahren hinausgebracht werden. Auf einmal hieß es, die Stadt sei kampflos übergeben, die Bevölkerung könne zurückkehren. So wälzte sich der Zug wieder stadteinwärts."

Ende des Zweiten Weltkriegs: Stunde Null in Erlangen

© Foto: Stadtarchiv Erlangen

Aus Furcht vor Plünderungen warteten andere das Ende in den Kellern ihrer Häuser ab. Elisabeth Jung, die Tochter des reformierten Pfarrers, erinnerte sich: "Um 2 Uhr gehen wir in den Keller und warten auf unser Schicksal. Aufklärer brummen über uns und Artillerieschüsse krachen, dann kommt MG-Feuer immer näher. Um 3 Uhr hört man plötzlich englische Laute auf der Straße, dann vor der Kellertür. Vater geht hinauf, sie suchen nach Soldaten. Ein junger Mulatte sieht sich (sehr ängstlich) bei uns im Keller um. Bald können wir’s wagen, heraufzusteigen. Überall in den Straßen amerikanische Autos und Soldaten. (...) Die Erlanger Bevölkerung kommt zurück in ihre Häuser. Die Straßen beleben sich."

Weder Strom, noch Gas, noch Wasser

Strom, Gas und Wasser waren unterbrochen, viele Erlanger mussten ihre Wohnungen für die Amerikaner räumen, der Schwarzmarkt blühte, wer konnte, machte Hamsterfahrten zu den Bauern ins Umland. Zunächst war die strikte Ausgangsbeschränkung nur von 11 bis 13 Uhr aufgehoben, am 21. April dann von 9 bis 15 Uhr und seit dem 22. April von 7 bis 20 Uhr. Wer Brot kaufen wollte, musste außer seiner Brotkarte Brennholz und einen Krug Wasser mitbringen. Das Warenangebot verbesserte sich aber stetig.

Ende des Zweiten Weltkriegs: Stunde Null in Erlangen

© Foto: Stadtarchiv Erlangen

Hanna Steidel notierte am 22. April in ihrem Tagebuch: "Auf den Lebensmittelkarten können wir das kaufen, was wir noch nicht haben. 1 ¼ Pfd. Butter bekamen wir gestern und noch das restliche Gefrierfleisch von 8 Pfd; Brot auch und Sauerkraut. (...) Die Universitätskasse ist geschlossen, wie alle anderen Betriebe auch. (...) Wasser gibt es seit wenigen Tagen wieder. Das war eine Beglückung! Seit heute ist Licht und sogar Gas wieder da. – Die Kinder erhalten ¼ Ltr. Milch täglich.
Sonntag, 29.4.45. Keine Post gibt es, keine Zeitung kommt, Radio ist ab und zu ganz schwach zu hören, die Bahn fährt immer noch nicht. Zustände, wie sie im Mittelalter nicht schlimmer haben sein können. (...) Herrlich ist es ja, dass es keine Alarmsirene und keinen evtl. für uns bestimmten Bomberverband mehr gibt. Jede Nacht können wir schlafen solange und ruhig, wie wir wollen. Das ist nach den 5 Jahren sooo wohltuend! In der kommenden Woche gibt es 3 Pfd. Brot und Fleisch als Zuteilung. Fett und Nährmittel hat es ja schon für 8 Wochen im Voraus gegeben. […]Ob es bei uns noch mal besser wird? Oder noch schlechter??"

Jedoch hatte die Bevölkerung bis zur Währungsreform am 20. Juni 1948 noch wirtschaftlich schwere Zeiten zu überstehen.

Andreas Jakob, der Autor dieses Artikels, ist Leiter des Stadtarchivs Erlangen. Neben zahlreichen Veröffentlichungen ist er auch Herausgeber und Mitherausgeber verschiedener Bücher, unter anderem des Erlanger Stadtlexikons.

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