Die Flutkatastrophe 2007

ERH-Alt-Landrat erinnert sich an viel Leid und viel Einsatz

22.7.2021, 08:30 Uhr
In nur einer Julinacht brach mit sintflutartigem Regen die Katastrophe über Tausende Menschen zwischen Forchheim und Erlangen herein: In ihren Häusern stand das Wasser, Autos schwammen davon, Fabriken wurden zerstört. Eine enorme Spendenbereitschaft linderte die schlimmste Not. 

© Klaus-Dieter Schreiter, NN In nur einer Julinacht brach mit sintflutartigem Regen die Katastrophe über Tausende Menschen zwischen Forchheim und Erlangen herein: In ihren Häusern stand das Wasser, Autos schwammen davon, Fabriken wurden zerstört. Eine enorme Spendenbereitschaft linderte die schlimmste Not. 

Herr Irlinger, wenn Sie die Bilder aus Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz sowie von den Überflutungen an Aisch und Aurach sehen, kommen Ihnen dabei auch Erinnerungen an die Nacht vom 21. auf den 22. Juli 2007 in den Sinn?

Ja, sehr deutlich. Daran, dass Häuser, Wohnungen, Privatbesitz, Betriebe, Infrastruktur zerstört oder massiv geschädigt waren und dass viele Menschen vor einer schweren Zukunft standen.

Können Sie sich noch erinnern, was Sie dachten als Sie realisiert haben, dass hier etwas ganz Dramatisches passiert?

Als die dramatischen Meldungen eintrafen, dachte ich: Was müssen die Menschen erleiden, welche Schäden kommen auf Städte und Dörfer zu? Sodass mir die große Verantwortung bewusst wurde: Beste Hilfe zu organisieren. Auch deshalb rief ich damals den Katastrophenfall aus.

Sie haben dieses Ereignis einmal als „das Schlimmste“ bezeichnet, was Ihnen in Ihrer Amtszeit widerfahren ist.

So ist es. Wir hatten auch als erster Landkreis die Vogelgrippe, die viele Existenzen bedrohte und Ängste bei vielen Menschen auslöste. Aber die Betroffenheit durch die Sturzflut war viel, viel größer, weil mit plötzlicher Wucht so immenser Schaden angerichtet wurde.

Welcher Moment ist Ihnen in Erinnerung, der Sie besonders berührt hat?

In der Katastrophennacht galt jeder Moment der Konzentration darauf, wirkungsvolle Rettungs- und Ersthilfe zu organisieren.

Erst in den weiteren Stunden und Tagen wurde deutlich, welch unermessliche Einsatzbereitschaft sich zeigte: Frauen und Männer von Feuerwehr, Rettungsorganisationen, Polizei, THW, Bundeswehr - viele leisteten Hilfe weit über 24 Stunden am Stück. Aber auch die riesige, spontane Hilfsbereitschaft der Bürgerschaft des ganzen Kreises war enorm.

Diese großartige Art der Nächstenliebe berührte mich sehr und berührt mich auch heute noch - gerade auch, wenn man Ähnliches in den derzeitigen Hochwassergebieten sieht.

Wie schwer ist es, in verantwortlicher Funktion, eine solche Katastrophe zu bewältigen? Was sind die größten Herausforderungen?

Es galt und gilt bei der Organisation von Ersthilfe schnell, optimiert, delegierend und vernetzt zu arbeiten.

Es gilt, sofort den betroffenen Menschen sichtbar zu machen, dass sie nicht allein sind, dass professionelle und bürgerschaftliche Hilfe greift.

Es gilt Vernetzungen herzustellen, dass auch die Zweithilfe wie zum Beispiel die Müll-Beseitigung klappt.

Es gilt Vertrauen bei den Betroffenen zu schaffen, dass personelle Hilfe bleibt und dass finanzielle Hilfe so schnell wie möglich greift.

Nach Ihren Erfahrungen von 2007: Was brauchen die Menschen in den Katastrophengebieten jetzt am Notwendigsten?

Zunächst schnelle, breite, dichte Ersthilfe, um die die Not zu lindern.

Schnellstmöglich die Schäden beseitigen. Unbürokratische Finanzhilfen durch den Staat. Aber jetzt schon an Analyse und Prävention denken: Warum kam es zu dieser Katastrophe? Welche Schlüsse sind daraus zu ziehen? Wie muss Schutz zukünftig aussehen?

Ministerpräsident Markus Söder spricht angesichts des Hochwassers im Berchtesgadener Land von einem „unglaublichen Weckruf der Natur“. Sehen Sie das genauso?

Ministerpräsident Söder ist seit mehr als 30 Jahren Politiker. Es hat in dieser Zeit immer und immer wieder „Weckrufe der Natur“ gegeben, die nicht gehört oder ernstgenommen worden sind.

Dass der „Weckruf“ offensichtlich nicht gehört wurde zeigt auch das ewige Gezerre um den Hochwasserschutz rund um Baiersdorf. Hätte hier nicht sehr viel schneller, sehr viel mehr passieren müssen?

Es hätte vieles schneller passieren müssen in vielen Regionen Deutschlands, nicht nur in und um Baiersdorf.

Spätestens jetzt ist rasches Umdenken und Umsetzen nötig. Fragen, die sich jetzt stellen sind: Wollen wir mit der Versiegelung der Böden so weiter machen? Wollen wir, dass Baugebiete immer weiter in hochwassergefährdete Gebiete vordringen? Sollte es eine Pflicht-Elementarversicherung geben?

Ein anderer „Weckruf“ wurde ebenfalls offensichtlich ignoriert. Nämlich die Veränderung des Klimas, das, darüber sind sich alle ernstzunehmenden Wissenschaftler einig, für die Wetterextreme der letzten Jahren verantwortlich ist. Hat die Politik das Thema verschlafen?

Und wie – und das auf der ganzen Welt. Nur ein kleines Beispiel: Wenn die Grünen forderten, weniger Fleisch zu essen, weil Massentierhaltung ein immenser Produzent von Treibhausgasen ist, wurden sie als Verbotspartei hingestellt.

Der Club of Rome hat schon vor 50 Jahren in seiner Erstveröffentlichung aufgezeigt: Wenn Industrialisierung, Umweltverschmutzung, Nahrungsmittelproduktion, Ausbeutung natürlicher Rohstoffe, Zunahme der Weltbevölkerung so weitergehen, wird es Schwierigkeiten „kopernikanischen Ausmaßes“ geben und forderte schon 1972 weltweite Maßnahmen und eine internationale Zusammenarbeit.

Ja, es ist eindeutig: Die Politik hat trotz besseren Wissens viel zu lange nicht gehandelt.

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