Erlanger Krankenhaus testet intelligente Gehhilfe

28.11.2018, 10:00 Uhr
Erlanger Krankenhaus testet intelligente Gehhilfe

© Klaus-Dieter Schreiter

"Ich konnte den linken Fuß nicht einmal mehr über die Teppichkante ziehen", erzählt Hermann Schuster. Darum hatte sich der 76-jährige bei "MoSi" angemeldet. Das Kürzel steht für "Mobilität und Sicherheit im Alter". Dahinter verbergen sich Kurse, um die Mobilität zu erhalten oder gar zu verbessern.

Sie werden im Geriatrie-Zentrum des Malteser Waldkrankenhaus St. Marien von Prof. Karl-Günter Gaßmann angeboten. Bereits im Jahre 2008 hatte diese Initiative den Erlanger Medizinpreis bekommen, und inzwischen sind die MoSi-Kurse, die zehn Einheiten über fünf Wochen beinhalten, ein richtiges Erfolgsmodell geworden.

Nach dem Besuch von MoSi kann Hermann Schuster zwar wieder einigermaßen sicher gehen. Doch sein Gang ist nicht wirklich so sicher, wie er sein sollte. Darum hatte er sich im Mobilitätslabor des Geriatrie-Zentrums für das Forschungs- und Innovationsprogramm "Horizon 2020" als Proband beworben.

Chef dieses Mobilitätslabors ist der promovierte Physiotherapeut Samuel Schülein. Acht Probanden hat er unter seinen Fittichen, mit denen er intelligente Kleidungsstücke testet und weiter entwickelt. Schuster wurde von ihm ebenfalls ausgewählt und darf nun eine intelligente Hose als Gehhilfe testen und dabei helfen, sie praxisgerecht zu machen. Mit Elektronik vollgestopft ist diese "intelligente" Hose, die Schülein in vielen Sitzungen speziell auf die Bedürfnisse von Hermann Schuster "zugeschnitten" hat. Bis es jedoch so weit war, dass sie genau das macht was Schuster benötigt, war es ein langer Weg.

Der Prototyp, den Schuster nun ausprobieren soll, sieht eher aus wie ein Teil eines Raumanzugs. Bevor er den aber anziehen darf, muss erst einmal sein Gang ohne die Elektronik-Hose analysiert werden. Dafür geht Schuster über einen elektronischen Teppich, der, so Samuel Schülein, "so teuer ist wie ein teures Auto".

Sensoren auch in Schuhen

Von diesem Teppich werden die Gangdaten auf einen Computer übertragen. Anschließend wird die Balance-Fähigkeit mit offenen und mit geschlossenen Augen getestet und die Daten ebenfalls über WLAN an den Computer geschickt. Die Physiotherapeutin Bianca Weyermann wertet die Daten aus, und aus der Analyse weiß der Computer, wann Hermann Schuster beim Gehen wo welche Unterstützung benötigt.

Und dann darf der Proband endlich die intelligente, mit Sensoren vollgestopfte Hose anziehen. Anschließend kommen die Schuhe dran, in die ebenfalls Sensoren eingebaut sind. Die Prozedur, bis alles richtig sitzt, ist ziemlich kompliziert. Und dann muss Schuster auch noch einen fünf Kilogramm schweren Rucksack aufsetzen, in dem sich eine Vakuumpumpe und Elektronik befinden. Auch Kabel und Schläuche hängen herum.

Das alles ist eine ziemliche Tortur, aber Schuster sagt: "Ich bin dankbar, dass Herr Schülein mich als Proband ausgewählt hat". Schülein gibt den Dank zurück: "Herr Schuster ist ein ausgezeichneter Proband, er gibt uns ganz, ganz tolle Inputs".

Anhand der bei den Gehübungen übermittelten und im Computer ausgewerteten Daten weiß die Elektronik nun, wann Schuster beim Gehen Unterstützung benötigt. Das ist genau dann der Fall, wenn er den linken Fuß heben will.

Für diese Unterstützung sorgt eine kleine, pneumatisch betriebene Mechanik, die den Fuß im richtigen Moment hoch zieht. Die Mechanik wird über einen dünnen Schlauch von der Vakuumpumpe im Rucksack aktiviert.

Hermann Schuster sieht mit der intelligenten Hose zwar aus wie jemand, der gerade auf dem Mond wandelt. Aber das Gehen über den teuren Teppich fällt ihm nun sichtlich leichter, und auch das Gleichgewicht kann er offenbar besser halten.

"Wie ein junger Hund kann ich laufen", strahlt er dann auch. All die Daten, die von ihm ohne die intelligente Hose bereits aufgenommen worden waren, werden nun auch noch einmal mit der Hose aufgenommen. 

So entsteht eine Software, die irgendwann fest in Hermann Schusters Hose eingebaut ist.

Dann wird das intelligente Kleidungsstück auch nicht mehr so kompliziert aussehen und einfacher anzuziehen sein. Und irgendwann, da ist sich Samuel Schülein sicher, kommt man bestimmt auch ohne den schweren Rucksack aus.

Seine Forschungsergebnisse, die er seit Beginn im Februar 2016 des von der Europäischen Union mit 5,4 Millionen Euro geförderten Projekts gesammelt hat, tauscht Samuel Schülein regelmäßig mit den anderen acht beteiligten Projektpartnern aus der Schweiz, aus Island, Irland, Italien, Spanien und die Niederlande aus. Ziel ist es, bis Anfang 2019 den ersten funktionsfähigen Prototyp fertig zu haben. Mit der Hilfe von Hermann Schuster scheint das wirklich zu gelingen.

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