Eschenau als Vorlage: Waschechter Dürer aus Eckental

16.1.2020, 21:14 Uhr
Eschenau als Vorlage: Waschechter Dürer aus Eckental

Herr Dr. Metzger: Wie kamen Sie auf die Idee, dass da was nicht stimmen kann mit Kirchehrenbach?

Zugegeben: Das Walberla hat mit seiner vulkankegelartigen Silhouette schon eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Berg, den Dürer da im Hintergrund platziert hat. Wenn man aber die Topographie vor Ort klären möchte, dann machen sich schnell Unstimmigkeiten bemerkbar. Kirchehrenbach liegt am Abhang des Berges, der von Dürer dargestellte Ort aber deutlich davor. Dann muss man die gezeichnete Fassung von Dorf und Landschaft im Puschkin-Museum Moskau ins Kalkül ziehen. Diese verhält sich zur Druckgraphik seitenverkehrt, was letztlich drucktechnisch bedingt ist, zur realen Naturkulisse damit aber sicherlich seitenrichtig. Nun sehen wir hier im Zentrum des Orts eine Kirche, deren Chor auf der Zeichnung nach rechts weist, in Natura also nach Osten. Kurzum: wir blicken hier nicht, was für Kirchehrenbach sprechen würde, von Nord nach Süd, sondern tatsächlich, was Kirchehrenbach ausschließt, von Süd nach Nord.

Wie haben Sie herausgefunden, dass es sich bei dem porträtierten Dorf um Eschenau handelt?

Zunächst waren es die dargestellten „Schwedenhäuser“ mit ihren gewaltigen Strohdächern, die sehr charakteristisch für ein eng begrenztes Gebiet nördlich von Nürnberg waren. Ein berühmtes Bildbeispiel liefert Dürer auch mit seiner Ansicht des benachbarten Kalchreuth. In dieser Gegend war also zu suchen. Dann mussten markante, unverwechselbare Fixpunkte gesucht und gefunden werden: Der Blick von Norden auf einen plateauartigen Berg (den Lindelberg), davor ein Dorf (Eschenau), im Zentrum eine Kirche mit auf den Dachfirst gesetztem Turm und einem im Osten angebauten rechteckigen Chor (St. Bartholomäus), der darauf zuführende Weg, der abwechselnd von Gehöften und Freiflächen gesäumt wird (die Herrengasse mit dem sog. Frühmesshaus“), ein Schlösschen im Hintergrund links (das längst zerstörte Hetzeldorfer’sche Schloss am Ortseingang von Brand), Wasserflächen rechts, eine kleinere Kirche im Vordergrund rechts (die zum Muffelschloss gehörige Nikolauskapelle in der heutigen Turmgasse). Die Kapelle ist in der Druckgraphik nicht sichtbar, da Dürer hier einen mächtigen Baum integriert hat. Und so weiter.

Dr. Christof Metzger (Jahrgang 1968) wurde in Nördlingen geboren. Er studierte Kunstgeschichte in Augsburg und arbeitete an Museen in München und Augsburg sowie an der Universität Trier. Seit 2014 ist er Chefkurator der Albertina in Wien.

Dr. Christof Metzger (Jahrgang 1968) wurde in Nördlingen geboren. Er studierte Kunstgeschichte in Augsburg und arbeitete an Museen in München und Augsburg sowie an der Universität Trier. Seit 2014 ist er Chefkurator der Albertina in Wien. © privat

Was weiß man über die Entstehung des Dorfporträts?

Dürer und Muffel waren seit spätestens 1508 miteinander bekannt, womöglich befreundet. 1526 hat der den Patrizier ja auch kurz vor dessen Tod porträtiert – eines seiner großartigsten Bildnisse überhaupt. Und der Blick, den Dürer 1518 gezeichnet und in die Druckgraphik übersetzt hat, ist tatsächlich von einem Obergeschoss des Muffelschlosses aus aufgenommen. Das setzt ein Vertrauensverhältnis voraus. Die Zeichnung wanderte sicherlich in Dürers Werkstattvorrat, die in gewisser Auflage gedruckte „Große Kanone“ hingegen war Muffel wohl bekannt und er dürfte auch „sein“ Eschenau wiedererkannt haben.

Das Original-Dorfporträt ist eine Silberstift-Zeichnung. Diese nahm Dürer quasi als Kulissenteil für die Radierung „Die große Kanone“. Diese Weiterverwendung von Motiven war bei ihm ein häufiges Prinzip. Warum hat er das gemacht?

Solche Naturaufnahmen sind ein wichtiger Teil eines Werkstattfundus und dienen unter anderem auch als Motivspeicher. Im passenden Moment kann das passende Naturmotiv in ein neues Bildkonzept integriert werden und für allerhöchsten Naturalismus in der Darstellung bürgen. Ein berühmtes anderes Beispiel liefert Dürers Kupferstich „Nemesis“, wo die Schicksalsgöttin über einem Panorama von Klausen im Eisacktal schwebt.

Das eigentliche, das gezeichnete Dorfporträt von Eschenau, lagert im Puschkin-Museum in Moskau. Es ist Teil der so genannten Beutekunst, die von 1945 bis 1947 durch sowjetische „Trophäenkommissionen“ beschlagnahmt wurde. Weiß man etwas über den Weg des Bildes?

Ja. Es war Teil der Sammlung Franz Wilhelm Koenigs (1881–1941), eines deutsch-niederländischen Bankiers und Kunstsammlers. Nach dem Einmarsch der Deutschen in die Niederlande 1940 wurde er jedoch vermutlich gezwungen, Teile seiner Sammlung an Aufkäufer der Nationalsozialisten zu veräußern. Die Sammlung Koenigs wurde daraufhin zerschlagen und teils für das „Führermuseum“ in Linz gefordert. Erhebliche Teile gelangten dann in die Sowjetunion und werden von den Niederlanden, bis heute erfolglos, rückgefordert. Koenigs hat die Zeichnung übrigens 1925 erworben, davor war sie unbekannt.

Dürer zeichnete im Eschenauer Schloss

Dürer war Werkstattmaler. Ist es dennoch wahrscheinlich, dass das Dorfporträt im Eschenauer Schloss angefertigt wurde? Hat es dort vielleicht auch einmal gehangen, oder war das eher unüblich?

Es wurde ganz sicher vor Ort in Eschenau von einem Schlossfenster aus gezeichnet. Gehangen hat es dort aber sicher nicht. Eine derartige Präsentation von Zeichnungen war damals nicht üblich und außerdem beweist ja, dass Dürer die Zeichnung seiner Druckgraphik zugrunde legte, dass er sie mit nach Nürnberg in seine Werkstatt genommen hat.

Die Albertina besitzt 140 Werke von Albrecht Dürer. Im Rahmen der großen Ausstellung, die bis Anfang Januar lief, wurde neben dem berühmten Hasen und dem Rasenstück auch „Die große Kanone“ gezeigt. Wie ist das Landschaftsbild im Werk Dürers einzuordnen?


Bilder eines Superstars: Dürer-Ausstellung in der Albertina


Mit der „Großen Kanone“ von 1518 – eine Gruppe fremdländischer Honoratioren betrachtet staunend das von Landsknechten bewachte namensgebende Geschütz – gelang Dürer eines der großartigsten Landschaftsbilder des frühen 16. Jahrhunderts. Das Blatt mit der Begegnung zwischen Orient und Okzident ist Dürers letzte in der Technik der Radierung ausgeführte Graphik, in der er eine nur in den allerbesten Holzschnitten gelungene Licht- und Raummodellierung erzielt.

Haben Sie nach ihrem spannenden Fund schon böse Briefe aus Kirchehrenbach bekommen?

Naja, böse nicht, aber, sagen wir mal, konsterniert… Aber damit kann ich leben.

Zu guter Letzt: Wenn die Marktgemeinde Eckental nun ob der unvorhergesehenen kunsthistorischen Prominenz eine Druckgrafik der großen Kanone anschaffen wollte, gäbe es dazu überhaupt die Chance?

Klar, das Blatt taucht immer wieder mal im Handel auf. Einen mittelprächtigen Abzug bekommt man schon für 3000 Euro.

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