Fahrrad-Rambos? Erlanger wehren sich gegen Polizeistatistik

17.4.2014, 09:57 Uhr
Fahrrad-Rambos? Erlanger wehren sich gegen Polizeistatistik

© Harald Sippel

Marlene Wüstner, die städtische Umweltreferentin, die auch die Vorsitzende des bayerischen Rad-Kommunen-Verbandes ist, ist überzeugt davon, dass eine reine Unfallstatistik die Realität nicht ausreichend abbilden kann: „Ich erlebe Erlangen als eine Stadt, in der wohltuend viele Menschen mit dem Rad unterwegs sind, die auch Rücksicht auf andere Verkehrsteilnehmer nehmen.“ Gemessen an der Vielzahl der Radfahrer und der hohen Verkehrsleistung, die diese pro Jahr „durchaus zum Wohle des Verkehrsgeschehens und somit auch dem Klima in der Stadt“ erbringen, seien die Unfallzahlen doch zu relativieren. Hinzu komme, dass der Anteil der Radfahrer am Unfallgeschehen mit unter zehn Prozent durchaus überschaubar sei.

Dieser Ansicht ist auch Martin Weberbeck aus der Vorstandschaft des Erlanger ADFC. „Ich würde mir wünschen, dass eine Unfallstatistik eher zur Verbesserung der Verkehrssituation beiträgt, als drohend den Finger zu erheben“, sagt er. Weder er noch die Rad-Referentin wollen dabei das Fehlverhalten etlicher Radfahrer kleinreden: „Ohne Licht, gegen die Fahrtrichtung, bei Rot über die Ampel, oder viel zu schnell — das geht einfach nicht!“ Trotzdem wollen sie das Ziel, den Anteil des Radverkehrs in der Stadt nicht nur hoch zu halten, sondern noch zu steigern, nicht aus den Augen verlieren — und auch nicht madig machen lassen.

Da kommt es ihnen nicht ungelegen, dass auch die Grüne Liste die alljährliche Polizei-Unfallstatistik mit Vorbehalt sieht. Harald Bußmann, verkehrspolitischer Sprecher seiner Fraktion und selbst ein „erfahrener“ Radler, hat systematische Schwächen in der Statistik ausgemacht, „die manipulativ wirken können, ohne selbst manipuliert zu sein“. So würden Zahlen aufgeblasen, die bei näherer Betrachtung eher „harmlos“ seien. Bußmann: „Natürlich sind an Unfällen zwischen zwei Radfahrern 100 Prozent Radler beteiligt — nur kann man mit dieser Erkenntnis statistisch wenig anfangen.“ So lasse eine „Erkenntnis“ der aktuell vorgelegten Statistik der Polizei (demnach sind an Unfällen mit Personenschaden fast 50 Prozent Radfahrer beteiligt) vor allem den Schluss zu, dass Radfahrer nach wie vor besonders gefährdet seien — dass sie aber — laut Polizeistatistik — „in den meisten Fällen“ auch die alleinigen Verursacher seien, sei nicht nachvollziehbar.

Im Gegenteil habe eine 2013 vom Statistik-Amt der Stadt ausgewertete Unfallstatistik der Polizei ergeben, dass bei 46 Prozent aller Unfälle zwischen Rad- und Kraftfahrer die Kraftfahrer die alleinigen Verursacher seien, in nur 26 Prozent der Fälle die Radfahrer. In allen anderen Fällen verteile sich die Schuld auf beide Seiten. Bußmann: „Diese Zahlen geben für eine einseitige Schuldzuweisung nichts her.“

Bußmann, der bereits im Oktober 2012 in einem Stadtratsantrag Zweifel an der Aussagekraft der Polizeistatistik geäußert hatte, vermutet auch in den jüngsten Zahlen ein interessantes Phänomen, das ungerechtfertigt das Bild des rücksichtslosen Radfahrers prägt: Zwischen der Einschätzung der Polizei bei der Unfallaufnahme und späteren Gerichtsverfahren gebe es bemerkenswerte Diskrepanzen. Oft stelle sich erst in einem Strafverfahren heraus, dass das Verhalten des Unfallbeteiligten doch keinen Fehler darstellte oder aber, dass ein Fehlverhalten vor einem Unfall keine Unfallursache war. Bußmann: „Die genannten Zahlen besitzen also keine Allgemeingültigkeit.“

Blanke Zahlen

Diese Punkte bestätigen nach Bußmanns Überzeugung auch die „Binsenweisheit, dass bei der Interpretationen der blanken Zahlen einer Statistik viele Fehler unterlaufen können“. Und sie könnten auch eine Erklärung sein, warum die Erlanger Zahlen im Widerspruch zu bundesweiten Zahlen stehen. So weist die das Statistische Bundesamt bei Zweiradunfällen im Straßenverkehr für das Jahr 2012 — jüngere Zahlen gibt es derzeit noch nicht — aus, dass „bei Unfällen mit einem Pkw der Radfahrer nur zu 24,9 Prozent ... der Hauptverursacher desUnfalls (war)“. Warum, so fragt sich Bußmann, sollte Erlangen mit seinen Zahlen so weit außerhalb einer bundesweiten Statistik liegen?

Unter Verkehrsexperten gilt laut Bußmann die Faustformel, dass bei zwei Dritteln aller Unfälle der stärkere Verkehrsteilnehmer die Hauptschuld trägt. In der — gerade in Erlangen wegen der hohen Radlerzahl wohl besonders häufigen — Konstellation Auto/Fahrrad müssten also die Autofahrer bei der Mehrzahl der Unfälle die Hauptschuld tragen. Bußmann mag deshalb nicht akzeptieren, „dass die Erlanger Statistik ein anderes Bild wiedergibt, das von angeblich undisziplinierten Radfahrern geprägt sein soll.“

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