Gefährliche Normalität an Erlanger Grundschulen

16.3.2021, 05:58 Uhr
Gefährliche Normalität an Erlanger Grundschulen

© Harald Sippel

Die Behörden

Seit diesem Montag gilt: Die Inzidenzzahlen des Robert-Koch-Instituts (RKI) vom vorherigen Freitag regeln die Art des Schulunterrichts für eine Woche ab dem darauf folgenden Montag. Also: Liegt die Inzidenz unter 50, muss an Grund- und Förderschulen Präsenzunterricht stattfinden – mit Masken, ohne Abstand. Liegt sie zwischen 50 und 100, werden die Klassen geteilt, es herrscht Wechselunterricht. Liegt sie über 100 – was angesichts der steigenden Infektionszahlen bereits nächste Woche der Fall sein könnte – findet Distanzunterricht für alle statt.

Bereits am vergangenen Freitag gab es Irritationen. So lag die Inzidenz beim RKI deutlich unter der des Landesamts für Lebensmittelsicherheit und Gesundheit (LGL). Während sie beim LGL bereits über 50 lag, zeigten die Zahlen im Landkreis Erlangen-Höchstadt (46,6) und in der Stadt Erlangen (47,1) noch klar auf Präsenzunterricht. "Durch das bundesweite Infektionsschutzgesetz ist festgeschrieben, dass für alle Maßnahmen, die sich an Inzidenzwerten orientieren, die Vorgaben des Robert-Koch-Instituts entscheidend sind", sagt Christofer Zwanzig, Sprecher der Stadt Erlangen.

Am Freitag waren weiter steigende Inzidenzzahlen bereits abzusehen, ein Überschreiten der 50er-Marke, das also vom Präsenz- in den Wechselunterricht geführt hätte, stand so gut wie sicher fest. Dennoch blieb die Marke unter 50 für diese Woche maßgeblich – obwohl sie am gestrigen Montag, am ersten Präsenzschultag, bereits im Landkreis auf 82,3 und in Erlangen auf 66,7 geklettert waren: "Ausschließlich für den Bereich der Kindertagesstätten und Schulen sieht die Zwölfte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung nicht die Inzidenzwerte von drei Tagen als Grundlage für die Entscheidung, sondern lediglich den Wert am Freitag", so Zwanzig weiter. "Ziel der Regelung ist es, dass jeweils am Freitag eine verlässliche Entscheidung für die ganze darauf folgende Woche erfolgt."

An dieser Regelung dürfte sich auch zunächst erst einmal nichts ändern: "Die Stadt ist hier an die bayernweit gültigen Vorgaben der Zwölften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung gebunden", sagt Christofer Zwanzig.

Die Lehrerin

Die gute Nachricht zuerst: Die 47-jährige Lehrerin (Name ist der Redaktion bekannt) unterrichtet zwar an einer Grundschule im Landkreis Erlangen-Höchstadt, wohnt aber im Landkreis Forchheim. Das hat für sie den großen Vorteil, die erste Impfung gegen das Corona-Virus bereits erhalten zu haben. "In unserem Kreis klappt das wunderbar", sagt sie. Nun die schlechte Nachricht: Wie die Lehrerin weiß, wirkt ihr Impfschutz erst nach drei bis vier Wochen. Bis dahin läuft sie an jedem Schultag Gefahr, sich in der Klasse anzustecken und das Virus in ihre Familie zu tragen. Für ihre Kollegen zählt sie trotzdem zu den Glücklichen: "Alle sind neidisch auf mich, weil ich die einzige Lehrerin an unserer Schule bin, die bereits geimpft ist."

Die Lehrerin ist sauer, es ist ihr im Telefongespräch deutlich anzuhören. Die Wut richtet sich gegen das Kultusministerium: "Es ist erschreckend, dass unser oberster Dienstherr uns keine andere Möglichkeit lässt, als die Schulen offen zu halten." Groll hegt sie auch gegen das Gesundheitsamt Erlangen-Höchstadt. Am Freitag lag der Inzidenzwert noch knapp unter 50, danach schnellte er in die Höhe – die Lehrerin mag da nicht an einen Zufall glauben. "Es ist sehr komisch, dass gerade an diesem entscheidenden Tag für die Schulen keine Infektionen gemeldet wurden. Jetzt sitzen wir in den Grundschulen wieder mit allen Schülern im Klassenzimmer – herzlichen Glückwunsch."

Mitleid hat die Lehrerin insbesondere mit einer über 60-jährigen Kollegin, die an zwei Schulen eingesetzt werde. "Sie hat jeden Tag zwischen 80 und 100 Schülerkontakte. Das ist sehr gefährlich." Im Kollegium werde offen diskutiert, ab welchem Inzidenzwert man sich aus Eigenschutz besser krank meldet. Die Lehrerin ist unentschlossen: "Wir müssen unsere eigenen Familien schützen. Aber jede Krankmeldung eines Kollegen muss von den anderen aufgefangen werden."

Auch die Schüler sind laut der Lehrerin hin- und hergerissen. "Sie freuen sich, dass sie endlich nicht mehr mit Mama und Papa lernen müssen, haben aber Angst, ihre Großeltern anzustecken." Auf Elterninitiative hat sich die Schule nun der Wicovir-Studie angeschlossen. Die Kinder nehmen Gurgelproben und werden über Pooltests auf eine Infektion mit dem Coronavirus getestet. Start für diese bestimmte Schule soll die Woche nach Ostern sein. Für die Lehrerin ist die Sache daher klar: "Ohne private Initiative geht nichts. Wir hätten im Wechselunterricht bleiben sollen, bis die Testungen laufen."

Die Mutter

"Ich habe Angst." Dieser Satz stammt von einer Erlanger Mutter (Name ist der Redaktion bekannt) zweier Söhne. Der Ältere besucht die fünfte Klasse eines Gymnasiums und wird via Gurgelprobe getestet, der Jüngere als Drittklässler überhaupt nicht. "Es wird ab und zu gelüftet und Hände gewaschen, von jetzt auf gleich gibt es in der Schule kein Hygienekonzept mehr." Dabei habe doch zumindest in diesem Erlanger Haushalt alles so gut geklappt im Wechsel- beziehungsweise Distanzuntericht. Die Söhne hätten durch den Unterricht an Computer und Tablet Selbstständigkeit entwickelt und digitale Kompetenz erworben. "Daneben hatten die Kinder viel Freizeit, das hat sie total gefreut."

Jetzt sind die Emotionen ins Gegenteil umgeschlagen. "Als meine Söhne erfahren haben, dass sie wieder in die Schule müssen, haben sie getobt und geweint." Besonders die Schulbesuche des Drittklässlers sind für die Mutter mit einem mulmigen Gefühl verbunden. Drei Mitschüler seien krankgeschrieben, bleiben 21 Drittklässler und die Lehrkraft. "Wenn man hochrechnet, wie viele Kontakte dadurch alleine im Klassenzimmer entstehen, wird es krass."

Dass wenigstens ihr Fünftklässler über Gurgelproben getestet wird, beruhigt die Mutter. Dieses Verfahren wünscht sie sich auch für die Grundschule ihres Sohnes. "Gurgeln geht einfach und tut nicht weh." Ihre Lösung: Grundschulen bleiben bis Ostern geschlossen, an weiterführenden Schulen ist solange Wechselunterricht.

Die Schulleiterin

An der Grundschule Herzogenaurach haben sich die Kinder laut Rektorin Susanne Schmid unheimlich gefreut, dass sie gestern endlich wieder in ihre Klassenzimmer durften: "Sie hatten nicht nur ihre Kameraden lange vermisst, sondern auch die Lehrer. Das war ihnen richtig anzumerken, da war nichts gekünstelt."

Es sei eben doch etwas völlig Anderes, wenn sich Menschen sozusagen live begegneten, als wenn sie nur über das Internet miteinander kommunizierten – "besonders bei den Kleinen spielt das eine große Rolle." Dennoch müsse von den Lehrkräften, den Eltern und Schülern in sehr kurzer Zeit sehr viel organisatorisch bewältigt werden.

Schließlich werde am Freitag entschieden, in welcher Form am darauf folgenden Montag der Unterricht stattfinde. "Zum einen herrscht lange Ungewissheit, zum anderen ist dann umgehend eine stattliche Zahl an Umstellungen in den unterschiedlichsten Bereichen wie der Einteilung der Lehrer, der didaktischen Ausrichtung der Lerninhalte oder der Sitzordnung in den Klassenzimmern vorzunehmen, was eine ordentliche Portion Nervenstärke von den Betroffenen erfordert ", erläutert Susanne Schmid.

Auch für die Eltern sei es ein Problem, dass sie nicht planen könnten, inwiefern sie sich um eine Betreuung für ihren Nachwuchs kümmern müssen. Das setze sich bis hin zu den Arbeitgebern fort, die auch nicht wüssten, ob nun der Vater oder die Mutter zur Arbeitsstelle kommen können oder daheim bei ihren Kindern zu bleiben haben.

Natürlich werde so gut wie möglich umgesetzt, was die übergeordneten Stellen vorgeben würden, doch sie persönlich halte es für besser, nicht zwischen Präsenz-, Wechsel- und Distanzunterricht hin und her zu springen, sondern sich für eine Form zu entscheiden. "Dies würde die ohnehin umfangreiche Zusatzarbeit ein wenig reduzieren und gleichzeitig mehr Konstanz in den Unterricht bringen", so die Rektorin, die hinzufügt: "Seit Monaten geben bei uns wirklich alle ihr Bestes und arbeiten am Limit!"

 

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