Hass-Rede gibt es nicht nur im Internet

10.11.2018, 18:00 Uhr
Hass-Rede gibt es nicht nur im Internet

© Frank Rumpenhorst/dpa

Alles begann am Reformationstag 2017. Alexander Jungkunz, Chefredakteur der Nürnberger Nachrichten, bat neben einem Pfarrer, einem Jesuiten, dem Sprecher einer muslimischen Begegnungsstätte und dem Verantwortlichen einer Luther-Ausstellung auch den Bund für Geistesfreiheit (bfg) Erlangen um eine Stellungnahme zum Lutherjahr. Wolf A., Mitglied im Vorstand, übernahm dies und prangerte in seinem Beitrag die enorme Summe von 250 Millionen Euro Steuergeld an, die für die Lutherdekade ausgegeben wurde. Außerdem machte er auf die dunklen Seiten des Reformators aufmerksam.

Kurze Zeit später bekam er eine Postkarte. Darauf zu sehen eine herbstliche, heile-Welt-Ansicht von Fachwerkhäusern und einem Kirchturm. In krassem Widerspruch dazu der mit Füller in Druckbuchstaben handgeschriebene Text auf der Rückseite: An die "Nazisau" Wolf A. adressiert, bezeichnete der unbekannte Verfasser ihn als "Hassprediger und Christenhasser". Außerdem seien "alle Atheistensäue (…) Nazisäue".

Und: "Atheisten haben die Juden ausgerottet, so wie ja auch Atheisten die Christen ausgerottet haben." Eine Postkarte mit einem ähnlichen, naiven Sommermotiv ging bei den Nachbarn A.s ein. A. sei "Atheist und Judenhasser" und würde "am liebsten (…) alle Juden vergasen und verbrennen". Eine dritte Postkarte an Bewohner seiner Straße mit ähnlichem Inhalt war nicht zustellbar.

Erst mal sei er erschrocken, sagt A., inhaltlich könne man das aber nicht ernst nehmen, der Text sei voll von Widersprüchen. "Das ist einfach so ein Religiot, würde ich sagen", meint er trocken. Geärgert habe er sich trotzdem.

Dann passierte erst einmal lange nichts. An Karfreitag dann fand in Erlangen, wie in einigen anderen Städten, eine Heidenspaßparty gegen das Tanzverbot statt. Ein weiteres Mitglied des bfg Erlangen hatte einen Leserbrief zur Berichterstattung in den EN geschrieben. Er verstehe "die klerikale Aufregung" angesichts einer Veranstaltung, die "von außen betrachtet lautlos stattfinden muss", nicht. Er forderte einen eigenen Feiertag für Konfessionsfreie, "an dem bundesweit der Opfer der Kreuzzüge, der Religionskriege, der Folteropfer der Inquisition und der Missbrauchsopfer auch der jüngeren Zeit" gedacht werden solle.

Das brachte auch ihm eine Hassbotschaft ein – mit anderem Schriftbild und noch bedrohlicherem Inhalt: "So eine atheistische Drecksau wie dich rottet man aus. Ich weiß ja, wo du wohnst", stand da. Ihn und A. werde der Verfasser "mal besuchen". Letzterem habe er ein Messer geschickt, "damit er sich damit die Kehle durchschneiden kann".

Diese Drohung sollte sich nicht bewahrheiten: Bei A. kam nach eigener Aussage kein Messer an. Man solle "einen Feiertag einrichten nur für Christen", hieß es in der Drohnachricht weiter, um "der hundert Millionen Christen [ZU]gedenken, die von atheistischen Drecksäuen wie dir ermordet wurden". Die Polizei werde ihm wohl kaum helfen.

Das sollte sich bewahrheiten: Beide bfg’ler erstatteten Anzeige wegen Beleidigung, übler Nachrede und Bedrohung. Im Frühsommer wurden die Ermittlungen bereits wieder eingestellt, "weil der Täter bisher nicht ermittelt werden konnte".

Doch nicht nur der bfg erhielt Hasspostkarten, auch die Nürnberger Chefredaktion blieb nicht verschont. In der Weihnachtsausgabe äußerte sich Alexander Jungkunz in einem Kommentar über die abnehmende Bedeutung des Christentums in unserer Gesellschaft und dass einige Leser den Gedanken geäußert hätten, die Welt könne ohne Religion friedlicher sein.

Der Blick auf die Geschichte spreche jedenfalls nicht gegen diese Sicht, schrieb Jungkunz. Das brachte ihm eine Hasspostkarte ein, mutmaßlich vom selben Absender. Der Schreiber bezeichnet ihn als "atheistische Drecksau". Er habe mit seiner These gelogen, denn: "Die Atheistensäue haben mehr Menschen umgebracht als in allen ‚Religionskriegen‘. Atheisten sind Nazis".

Im August schlug der Postkartenschreiber mit den leicht verletzbaren religiösen Gefühlen dann wieder zu. Diesmal hatte Jungkunz einen Kommentar zum Missbrauchsskandal und den Vertuschungsvorwürfen um den australischen Kardinal George Pell geschrieben. Die Antwort des Fanatikers: "Es hat überhaupt keinen Kindesmissbrauch durch katholische Priester gegeben." Das sei nur gelogen und dafür gebe es keine Beweise, etwa in Form einer Videoaufnahme. Die "angeblichen Opfer" sollten "das Maul halten".

Hass-Rede gibt es nicht nur im Internet

© privat

Jungkunz sieht es "einigermaßen gelassen", wie er sagt. Beschimpfungen und Kritik gebe es oft, er habe bereits eine schöne Sammlung daheim, auch aus prädigitalen Zeiten. Post in dieser Härte sei aber "zum Glück die Ausnahme". "Es ist guter Stoff für Hate-Slams, also Lesungen, wo wir aus solcher – und auch lustigerer – Post an uns lesen."

Der vorerst letzte Akt der Hasskampagne ereignete sich vor gut einem Monat, diesmal allerdings auf ganz andere Art und Weise: Die beiden bfg-Mitglieder erhielten eine Lieferung Porno-DVDs mit teurem Expressversand und Identitätsprüfungsgebühr. Beide hatten nichts dergleichen bestellt und mussten die Situation der Versandfirma erklären. Sie gehen vom gleichen Absender aus.

"In den Augen dieser wahrscheinlich streng religiösen Person war diese Porno-Auswahl sicher sehr gewagt", schmunzelt Wolf A., der nicht nur im bfg, sondern auch in der Linkspartei Mitglied ist und sich für homosexuelle Menschen engagiert. Seitdem ist nichts mehr passiert – vorerst.

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