Tierwohl als "Inszenierung" des Discounters

Herzogenaurach: Bauern demonstrieren vor der Aldi-Filiale

Edith Kern-Miereisz

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4.2.2022, 16:52 Uhr
"Nadelstichaktionen" des Bauernverbands gegen den Discounter Aldi am 4. Februar 2022 mit Robert Ort (v.l.), Evi Derrer und Jochen Loy. 

© Edith Kern-Miereisz, NN "Nadelstichaktionen" des Bauernverbands gegen den Discounter Aldi am 4. Februar 2022 mit Robert Ort (v.l.), Evi Derrer und Jochen Loy. 

Ihr Anliegen formulierten die Landwirte so: „Die bayerischen Bauernfamilien sind wütend und enttäuscht. Aldi inszeniert sich aktuell mit einseitigen Anzeigen in vielen Tageszeitungen und Slogans wie 'Tierwohl ist eine Frage der Haltung', 'Heute für Morgen' und 'Unsere Maßnahmen für ein tiergerechteres Morgen' gegenüber Öffentlichkeit und Verbrauchern als Hüter und Unterstützer von Tierwohl in der Landwirtschaft."

Aufgefahren war Walter Winkelmann, BBV-Ortsobmann aus Niederndorf, mit seinem Schlepper. Robert Ort, Kreisobmann des Bayerischen Bauernverbands, Jochen Loy, Geschäftsführer der Kreisverbände Nürnberg-Stadt, Nürnberger Land, Fürth und Erlangen-Höchstadt und Kreisbäuerin Evi Derrer kritisierten die "Aussagen des Discounters als Schall und Rauch."

Robert Ort (v.l.), Rudolf Groß und Wilfried Funke begutachten die Ernte nach einem Sommer mit schwierigen Wetterverhältnissen. 

Robert Ort (v.l.), Rudolf Groß und Wilfried Funke begutachten die Ernte nach einem Sommer mit schwierigen Wetterverhältnissen.  © Stefan Hippel

Tatsächlich würden die Bauernfamilien Aldi so erleben: "Aggressive Niedrigpreisstrategien, auch für Tierwohl-Fleisch", das nur ein kleines Segment im Discounter-Angebot darstelle. In den rund zweijährigen Verhandlungen über ein branchenweites Tierwohlprogramm für Rindfleisch und Milch für die Haltungsformstufe 2, die momentan gerade vor dem Abschluss stehen, hätten die Vertreter der Landwirtschaft um jeden Zehntelcent an Kostenausgleich für die Umsetzung von mehr Tierwohl auf den Betrieben "erbittert kämpfen" müssen, so die Sicht der Landwirte, wie sie auch Fachberater Gerhard Lang aus Rothenburg ob der Tauber formulierte.

Pro produziertem Schwein - im Kreis Erlangen-Höchstadt gibt es nur drei Schweinehalter, die großen 'Schweinehochhäuser' befinden sich in Ostdeutschland - lege der Bauer mittlerweile 50 Euro drauf, mit der Folge, dass die "Ferkelerzeugung aus Deutschland weggeht", so Robert Ort.

Landwirtschaftliche Tätigkeit im Knoblauchsland 1972: Frauen mit Kopftuch und Schürze arbeiteten auf der Pflanzmaschine. 

Landwirtschaftliche Tätigkeit im Knoblauchsland 1972: Frauen mit Kopftuch und Schürze arbeiteten auf der Pflanzmaschine.  © VNP, no credit

Die Vertreter des Lebensmitteleinzelhandels verhinderten einen umfangreicheren Katalog an Tierwohlkriterien für das Programm, da sie den Kostenausgleich für die Landwirte nicht bezahlen konnten oder wollten. "Viele können ihren Stall nicht tierwohlgerecht umrüsten", verdeutlicht Robert Ort, Milchviehhalter in Dannberg.

Der Lebensmitteleinzelhandel sei überdies nicht bereit gewesen, kleineren Betrieben einen gesonderten Zuschlag zu gewähren. Der für das Tierwohlprogramm als Maßstab angesetzte 85-Kuh-Betrieb mit über 700.000 Kilogramm Milcherzeugung pro Jahr sei mehr als doppelt so groß wie der durchschnittliche Milchkuhbetrieb in Bayern.

Überdies werde der vom Discounter angekündigte Verzicht bei Trinkmilch der Eigenmarken auf die Haltungsformstufe 1 bis 2024 sowie bei Frischfleisch bis 2025 und dann Komplettumstellung von Frischfleisch und Trinkmilch der Eigenmarken auf Haltungsformstufen 3 und 4 bis 2030 einen herben Schlag insbesondere für die kleineren bäuerlichen Betriebe bedeuten.

Gleichzeitig halte sich der Lebensmitteleinzelhandel "aber genug Hintertüren offen, um sich zwar einerseits bei Trinkmilch der Eigenmarken und Frischfleisch dann die höchsten Haltungsformstufen auf die Fahnen zu schreiben, aber andererseits in anderen Marktsegmenten wie Tiefkühlprodukten oder Verarbeitungsware und natürlich bei Importprodukten weiterhin alle Freiheiten zu haben", kritisieren die Bauern.

"Die bayerischen Bauernfamilien erwarten von Aldi Bereitschaft für angemessene Honorierung von Tierwohl, Berücksichtigung der besonderen Situation kleinerer Betriebe sowie Einbeziehung aller Marktsegmente in Tierwohlprogramme, aber dafür schrittweise Entwicklungen und mehr Nebeneinander der verschiedenen Haltungsformstufen", hieß es zusammenfassend. Man ziele auf einen ernsthaften Weg zu mehr Tierwohl, der auch die kleineren Betriebe mitnehmen würde, statt sie aus dem Markt zu drängen.

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