Spekter: Neue Warnmethoden für Kommunen
Herzogenaurach: Risikomanagement bei Starkregen plötzlich überaus gefragt
26.8.2021, 16:11 UhrDie Anfragen von Kommunen sind erheblich, seit deutlich wurde, Starkregen kann überall niedergehen, Überschwemmungen an Orten, die man nicht auf dem Schirm hat, sind möglich, Zerstörungen apokalyptischen Ausmaßes können geschehen, Schäden in Milliardenhöhe müssen bewältigt werden.
Mit dem verheerenden Starkregen von Baiersdorf 2007, als Autos auf der A 73 schwammen, hat sich Reinhard Brodrecht, einstiger Gründer des Ingenieurbüros GBI, eingehend beschäftigt und gemeinsam mit Matthias Falk und seinem Sohn Florian Brodrecht das Büro Spekter ins Leben gerufen. Spekter hat technische Lösungen entwickelt, um einerseits Starkregengefahrenkarten für Kommunen zu erstellen, zum anderen, um Frühalarmsysteme zu implementieren und zu betreuen.
Jede Gemeinde, jedes Grundstück, jedes Haus hat ein unterschiedliches Risiko, von Überflutungen nach außerordentlichen Regenfällen getroffen zu werden. Liegt die Gemeinde an einem großen Fluss wie Passau? Ist ein Grundstück am Hang gebaut? Gibt es in einem Baugebiet genügend Regenüberlaufbecken oder Auffangflächen beim Starkregen? Welche kritische Infrastruktur muss geschützt werden? Befindet sich ein Kindergarten oder Seniorenheim im Bereich der Gefahrenkarte? Welche Unterführungen müssen ab welchem Überschwemmungsstand gesperrt werden? Wo und mit welchen Auflagen und Schutzmaßnahmen kann man Baugebiete ausweisen?
Unliebsame Fragen
Unliebsame, weil oft mit finanziellen Folgen verbundene Fragen sind dies. Einige Kommunen haben sich diesen bereits gestellt. Spekter ist mit der Topographie und den Gegebenheiten von Adelsdorf, Veitsbronn, Aurachtal, Herrieden, Baiersdorf, Bruchsal, Bretten oder Passau inzwischen bestens vertraut. Für diese Kommunen hat Spekter bereits die Starkregengefahrenkarten erstellt und Frühalarmsysteme erfolgreich in Betrieb genommen.
Mit Forschungsmitteln des Bundeswirtschaftsministeriums und zusammen mit der Universität Erlangen entwickelten die Ingenieure und IT-Fachleute von Spekter die Lösungen zum Erkennen, Warnen und Schützen vor Starkregen. Mit einem Simulationsprogramm auf der Grundlage vorhandener Daten wie Gewässerkarten und Topografie, Niederschlagsmenge im Jahresschnitt, Überflutungskenndaten, Vermessungsdaten und mehr lassen sich für jede Gemeinde die Folgen von Starkregen prognostizieren und auch grafisch auf google earth darstellen. Die entscheidenden Messgrößen sind Niederschlag, Wasserstand und Abflussmenge mit den Bausteinen Regenmessstation, Pegel-Wasserstand, Abfluss-Durchfluss und Webcam, die Bilder von Gefahrenstellen liefert. Das komplette System kostet den Bürger im Endeffekt weniger als 10 Eurocent im Monat und wird zudem mit 75 Prozent bezuschusst, sagt Reinhard Brodrecht.
Das Programm berücksichtigt die Topographie der betreffenden Gemeinde, ihr Kanalsystem und auch die geologischen Gegebenheiten im Untergrund — alles Faktoren, die die Auswirkungen eines plötzlichen, heftigen Niederschlags im Einzelfall höchst verschieden machen können. Mit so einer „maßgenauen“ Simulation kann jede Gemeinde auch die passenden Notmaßnahmen — etwa Sperren von Unterführungen — sehr gezielt planen und auch Eingriffe gezielt durchführen, die vor besonders schlimmen Folgen schützen.
Doch wie kann man sich dies in der Praxis vorstellen? "Erkennen, Warnen, Schützen", ist das Mantra der Experten, wie gesagt. Mit dem Einsatz von Technik sei das individuelle Risiko herunterzudrücken. Gemessen werden die Niederschläge an typischen Punkten, an Gateways wie den sechs Stationen in Adelsdorf.
Wenn es der Fall ist, so ist über installierte Sensoren an der Unterseite von Kanaldeckeln festzustellen, wann der Kanal voll ist, der Deckel durch die Wassermassen aus der Verankerung gepresst wird - und somit niemand mehr diese Stelle passieren sollte. Zusätzlich wachen Pegelsensoren über den Abfluss an kleinen Bächen. Diese lokalen Echtzeitdaten machen den Unterschied und ermöglichen eine genaue Alarmierung betroffener Gebiete und Bürger. Die Daten des Deutschen Wetterdiensts fließen zwar ebenso mit ein, seien jedoch für den lokalen Bereich zu ungenau.
Sobald sich heftige Wetterereignisse abzeichnen, die Flüsse anschwellen, besteht noch einige Stunden Vorwarnzeit, in denen Menschen, Tiere und Sachwerte in Sicherheit gebracht werden können. Die Stadt Passau etwa nutzt dies seit 2016. Für Ingolstadt, Feuchtwangen, Kelheim und weitere erstellt Spekter aktuell Simulationen.
Individuell gewarnt werden Bürger, deren Gemeinde mit Spekter vertraglich verbunden ist, sei es durch Alarmierung über App per Smartphone-Pushmeldungen oder Voicecall. An die 1000 Adelsdorfer sind inzwischen registriert.
Perspektiven für die Zukunft
"Hochwasser-angepasst bauen mit vorausschauender Bauleitplanung", fasst Reinhard Brodrecht als Quintessenz zusammen. Von der Rückstauklappe über die Absicherung von Lichtschächten als „Einfallstor“ für Wasser sei nachzudenken und bei Neubauten vielleicht auf Keller zu verzichten.
Kommunen könnten entsiegeln - etwa ihre Festplätze, Privatleute ihre Gärten und Höfe so gestalten, dass das Wasser, das in der Jahresmenge gleich bleibt, in der Konzentration jedoch geballt kommen kann, eine Chance hat, zu versickern.
Und ein Weiteres sei notwendig: Die Schulung der Rettungskräfte für den Fall X sei wesentlich: Entscheidend könne das Wissen für die Feuerwehr sein, wo Sandsäcke als erstes gebraucht werden.
Auch ein "neues Denken" habe bei Kommunen teils schon eingesetzt: So seien in Passau "Bachranger" wie der Winterdienst eingestellt worden - eben "Starkregenranger" als Sommerdienst.
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