Hilfe für traumatisierte Flüchtlinge in Erlanger Uniklinik

12.1.2018, 06:00 Uhr
Hilfe für traumatisierte Flüchtlinge in Erlanger Uniklinik

© Ahmad Al-Rubaye/afp

Der Abstand wird groß und größer. Inzwischen reicht es, wenn Merjem S. einmal pro Monat in die Abteilung für Psychosomatische und Psychotherapeutische Medizin am Universitätsklinikum Erlangen kommt. Noch vor einiger Zeit war das anders: Da suchte die Mittdreißigerin, die mit ihrer Familie aus dem kriegszerstörten Irak geflüchtet war, die Spezialambulanz für Geflüchtete in der Hartmannstraße manchmal sogar wöchentlich auf.

Langsam, aber sicher kämpft sich die stark traumatisierte Frau wieder ins Leben zurück, gewinnt an Kraft und Energie: "Ich fühle mich viel besser als früher", sagt sie in ihrer Muttersprache und lächelt, während Dolmetscher Elias Lubas die Sätze ins Deutsche überträgt.

Name des toten Kindes

Seit fast zwei Jahren nimmt Merjem S., die mit ihrer Familie in Erlangen lebt, das Angebot der Uniklinik an. Eine Ärztin in einer Flüchtlingsunterkunft war auf die Bewohnerin aufmerksam geworden, weil diese oft bewusstlos geworden war, sich aber keine körperlichen Ursachen finden ließen. "Diese Kollegin hat damals gesagt, dass die Frau eine Psychotherapie braucht", berichtet die Abteilungsleiterin, Prof. Yesim Erim, "und damit hatte sie völlig Recht."

Details zu Merjem S.’s schrecklichen Erlebnisse will und kann die Psychiaterin nicht weitergeben. Nur so viel: Ihr Ehemann wurde entführt und erst gegen Geld wieder freigelassen, eine Tochter ermordet.

Den Namen Merjem, den sich die Frau für das Gespräch mit den EN selbst gibt und so ihre Anonymität wahrt, ist der Vorname ihres getöteten Kindes. Dessen Grab hat sie noch nie gesehen. Sie selbst hat mit ihrem Mann und ihren weiteren Kindern das Land verlassen; was sie auf der Flucht gesehen und erlebt haben muss, können wohl selbst die Experten der Uniklinik nur anhand der Traumatisierung erahnen.

"Die Gespräche haben mir sehr viel gebracht", erzählt Merjem S. "Bevor ich hierher gekommen bin, habe ich nur an Selbstmord gedacht und im Hinterkopf immer überlegt, wie ich mich umbringen kann." Zu dieser Zeit habe sie nur das Negative, nie das Positive, gesehen. Sie sei schwach gewesen und habe ihren Kindern nicht so beistehen können, wie es eine Mutter eigentlich muss, erzählt sie.

Fast ab dem ersten Moment, in dem sie mit ihrer Psychologin die Behandlung begonnen hatte, bemerkte sie, wie gut ihr die Therapie tut: "Schon nach ein, zwei Sitzungen wollte ich, dass der nächste Termin möglichst bald ist, ich konnte und kann ihr alles erzählen, wie einer Schwester oder einer Mutter, ich weiß gar nicht, wie ich mich bei Frau Georgiadou für alles bedanken soll."

Für Uniklinik-Mitarbeiterin Ekaterini Georgiadou ist es wohl schon Freude genug, wenn sie die Fortschritte ihrer Klientin sieht: "Merjem S. hat selbst viele Ressourcen, die ihr geholfen haben, aus ihrem depressiven Zustand herauszukommen", erläutert die Expertin.

Ohne die regelmäßigen Treffen mit der Psychologin hätte es aber sicher keine Besserung gegeben. Mit Gesprächen, aber auch praktischen Anleitungen wie Distanzierungsübungen und dem Schreiben eines Stimmungstagebuches, hat Merjem S. wieder mehr und mehr Optimismus und Lebensfreude erlangt. Sie ist auf dem besten Weg, macht Pläne für die Zukunft: "Ich will Deutsch lernen und genau wissen, wie das Leben in Deutschland aussieht", sagt Merjem S.

Bei vielen Asylsuchenden, die durch Krieg, Verfolgung, Armut und Flucht posttraumatische Belastungssstörungen (PTBS) haben, dauert es oft länger, bis es ihnen besser geht, selbst dann, wenn sie in einer Fachklinik sind. Im Fall von Merjem S. sei hilfreich gewesen, dass sie "relativ schnell die Anerkennung bekommen hat", erläutert Prof. Yesim Erim.

Das aber sei nicht typisch. Gerade der Erfolg der Arbeit ihrer Abteilung basiere jedoch auf größtmöglichem Vertrauen, Sicherheit und positiven Perspektiven für den Patienten. "Fallen diese Anker weg, ist eine erfolgreiche Therapie aussichtslos. Bei von Abschiebung bedrohten Patienten sind diese Gegebenheiten nicht existent und die Arbeit wird ineffektiv", betont die Ärztin.

Dabei ist die Arbeit mit traumatisierten Flüchtlingen ohnehin schon schwierig genug. Sich bei psychischen Problemen Hilfe zu suchen, ist in anderen Kulturen oft noch mehr mit Tabus belegt als hierzulande. Zudem braucht es Dolmetscher und Helfer, die Traumata bei Asylsuchenden erkennen können. Dazu bietet die Uniklinik auch Schulungen und Info-Veranstaltungen für Ehrenamtliche an. Zudem arbeitet das Krankenhaus eng mit Einrichtungen wie dem Jobcenter oder auch dem Arbeiter-Samariter-Bund zusammen.

Darüber hinaus braucht es in den Kliniken ausreichend Personal, das sich um traumatisierte Flüchtlinge kümmern kann. Seit Herbst 2015 hat die Erlanger Uniklinik weit mehr als 60 Patienten in ihrer Spezialambulanz für Geflüchtete behandelt und die Belastungen der Helfer und Geflüchteten auch wissenschaftlich aufgearbeitet und ausgewertet.

Die Patienten selbst kommen unter anderem aus Syrien, Afghanistan, Eritrea, Äthiopien oder, wie Merjem S., aus dem Irak. Für eine Behandlung in der Erlanger Spezialsprechstunde benötigen sie Versichertenkarte und Überweisungsschein oder einen Behandlungsschein über das Sozialamt.

Der Bedarf ist jedenfalls groß, sagt Prof. Erim. Viele Flüchtlinge haben in ihrem Heimatland selbst oder bei Mitgliedern ihrer Familie traumatische Ereignisse erlebt. Diese können zur Entstehung einer posttraumatischen Belastungsstörung führen. Das kann sich in Nachhallerinnerungen, Bewusstseinsveränderungen, Albträumen, Flashbacks, plötzlichen Angstzuständen oder anderen Symptomen äußern.

Deutschen Studien zufolge leiden etwa 30 bis 50 Prozent der erwachsenen Flüchtlinge an einer PTBS. "Eine Behandlung ist da unerlässlich", sagt Abteilungsleiterin Erim, "da die PTBS sonst einen chronischen Verlauf annehmen kann." Bei Merjem S. konnte das wohl gerade noch verhindert werden.

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