Jeder Schuh ist für Erlanger Schuhmacher wie ein Kind

25.9.2016, 12:00 Uhr
Schuhe, Schuhe, Schuhe: Zu Besuch bei einem Schuhmacher.

Schuhe, Schuhe, Schuhe: Zu Besuch bei einem Schuhmacher.

Jeder Schuh ist wie ein Kind. Ein Unikat, das man in die Freiheit entlässt. „Es ist wie bei der Schiffsweihe“, sagt Rainer Mannigel. Vor elf Jahren hat er seine Ausbildung zum Schuhmacher begonnen, sein Bruder Ralf bereits 1996. Zusammen führen sie den Betrieb weiter, den ihr Großvater vor 70 Jahren gegründet hat. In dritter Generation also.

Früher haben die Mannigels 500 Maßschuhe pro Jahr angefertigt, jetzt sind es 30 bis 40 Paar. „Ein Schuhmacher kann so wie früher gar nicht mehr existieren“, sagt Rainer Mannigel. Orthopädie-Schuhtechnik gehört mittlerweile zur Ausbildung und zum alltäglichen Geschäft. Dass jemand ohne die Notwendigkeit eines Maßschuhes und die Unterstützung der Krankenkasse zu den Mannigels kommt, ist selten. Dafür aber umso schöner.

Am liebsten fertigen die Brüder klassische Schuhe an, den Budapester zum Beispiel. Für einen richtigen Maßschuh brauchen die Handwerker die genaue Größe der Füße. Aus den exakten Maßen und den Wünschen des Kunden erstellen sie eine Skizze. Nach den Vorgaben fertigen sie eine Leiste aus Holz, individuell für jeden Kunden. An der Schleifmaschine bringt Ralf Mannigel das Holz in Fuß-Form, alles per Hand. „Das ist Erfahrung mehrerer Jahre.“

Holzraspeln spritzen durch die Luft, die Maschine rattert laut in der stickigen Werkstatt direkt hinter dem kleinen Laden. Überall stehen alte Maschinen, es liegen Leisten herum. Es gibt keine freie Wand, keine Ecke ohne Gerätschaft. Eine Adler-Nähmaschine ist älter als die Großeltern, stammt aus einer Zeit vor dem zweiten Weltkrieg. Im Schaufenster stehen ein paar fertige Lederschuhe. Manche gehören eigentlich Ralf Mannigel. Beide Brüder lieben ihre Schuhe, Rainer Mannigel schätzt, dass er 60 Paar zu Hause hat.

In einem zweiten Raum stehen weitere Maschinen. Mit einer kann Ralf Mannigel einen Plastikschuh herstellen. Er legt die Holzleiste hinein, die Luft wird tiefgezogen, es entsteht ein Vakuum, und das durch die Hitze formbare Plastik stülpt sich um den Leisten. Kurze Zeit riecht es in der ganzen Werkstatt nach Plastik. „Den Glasschuh, so nennen wir das, kann der Kunde probieren und schauen, ob er richtig passt“, sagt Rainer Mannigel. Dementsprechend ändern die Schumacher den Leisten ab, schleifen weiter oder kleben wieder Kork und Leder dazu.

500 Leisten gibt es bei den Mannigels. Mindestens. „Jeder Kunde hat seinen, verändert sich der Fuß, verändert sich auch der Leisten.“ Aus dem dreidimensionalen Leisten entstehen zweidimensionale Vorlagen für die Schäfte aus Leder. „Wir schneiden nie mit einer Schere, immer mit einem Messer“, sagt Ralf Mannigel. Das sei gerader. Zum Buggen, dem Einschlagen oder Umschlagen des Leders, gibt es auch extra eine Maschine. „So entsteht eine Lederkante, die eleganter und weniger anfällig ist.“

Auch die Muster im Leder setzt der Schuhmacher per Hand. Links hält er das Locheisen, rechts den Hammer. Damit stanzt er exakt gleich weit entfernte Löcher ins Leder. Außen- und Innenleder näht Ralf Mannigel dann an einer speziellen Maschine zusammen. Vier Tage braucht er zur Vorbereitung, ehe der tatsächliche Schuhbau beginnt. Insgesamt kann man pro Schuh rund eine Woche Arbeitszeit veranschlagen.

Jeder Schuh ist für Erlanger Schuhmacher wie ein Kind

Eine Vorder- und eine Hinterkappe sorgen dafür, dass der Schuh nicht zusammenfällt, dafür näht der Handwerker sie zwischen Innen- und Außenleder. Die Schäfte sind um den Leisten gelegt und Ralf Mannigel zwickt sie fest, mit einer Zange und dünnen Nägeln. „Je mehr Erfahrung man hat, desto weniger Nägel braucht man.“ Am Ende sind es rund sieben Stück. Für die Nähte nutzen die Mannigels selbst gedrehtes Hanfgarn. Es sind noch einige weitere, kleine Arbeitsschritte, bis nur noch die Ledersohle fehlt.

Dafür haben die Schuhmacher verschiedene Spezial-Kleber. Damit alles richtig sitzt, stifteln sie. Das heißt, sie schlagen winzige Messingstifte ins Leder — mit der spitzen Seite des Hammers. „Während der Ausbildung haut man sich regelmäßig auf die Finger.“

Schumacher ist ein sehr feiner Beruf, kombiniert mit der derben Arbeit am Leder. Kraft ist nötig, wenn der Handwerker das Leder in Form bringt. „Dennoch braucht man Gefühl, das Leder muss unter Spannung sein, darf aber nicht reißen“, sagt Rainer Mannigel.

Zum Schluss kommt das Ausleisten. Dabei reißt der Handwerker mit einem Band den Leisten aus dem Schuh. „Man muss aufpassen: Geht der Schaft dabei kaputt, war alles umsonst.“ Doch erst wenn der Leisten draußen ist, passt der Fuß hinein. Dann aber für immer.

Die Bezeichnung „Schuhmacher“ ist übrigens nicht mit dem „Schuster“ gleichzusetzen, obwohl das umgangssprachlich durchaus passiert. „Schuster ist für einen Schuhmacher ein Schimpfwort“, sagt Rainer Mannigel. Der Begriff Schuster stamme von dem Verb „zusammenschustern“. Früher habe ein Schuhmacher Vieles reparieren können, nicht nur Schuhe. „Hatte jemand ein Problem, ist er damit zum Schuhmacher, der hat es dann wieder zusammengeschustert.“

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