Keine Angst vor der „Psychoecke“

15.4.2016, 18:41 Uhr
Keine Angst vor der „Psychoecke“

© Foto: Harald Sippel

Große Belastung, Erschöpfung bis hin zum Burnout: Das kann jeden treffen, wie unsere Telefon-Sprechstunde zeigte. Denn es meldeten sich Betroffene aus allen Alters- und Gesellschaftsschichten. „Die Bandbreite reichte von Anfang 30 bis 75 und vom Rentner bis zum aktiven Akademiker“, sagt der Neurologe, Privatdozent Dr. Frank Reinhardt.

Auch die Fragen, die unsere Leser am Mittwochabend an die vier Fachärzte stellten, bildeten das gesamte Spektrum von Burnout und stressbedingten Erkrankungen ab.

So betrafen viele Anrufe die „Klassiker einer aus dem Ruder gelaufenen Stressreaktion“, fasst Reinhardt zusammen: also erhöhter Blutdruck, der manchmal kaum mit Medikamenten einstellbar ist, Muskelanspannungen und –verspannungen, Schwindel, Schlafstörungen sowie Reizdarmsymptome. Einige wollten zudem wissen, warum gerade nach einer Stressphase Symptome auftreten, wo doch jetzt „alles wieder gut“ sei.

Die Fachärzte Dr. Reinhardt, Dr. Roland Gerlach, Privatdozent Dr. Richard Mahlberg und Rüdiger Behnisch informierten dabei, dass der Körper wie eine Einheit aus Hardware (Organfunktion) und Software („Psyche“) gesehen werden muss. Bei allen Funktionsstörungen ist daher in jedem Fall eine umfassende Abklärung rein körperlicher Ursachen (der Hardware) wichtig. Aber wenn hier „nichts gefunden wird“ (Dr. Frank Reinhardt), kann die Fehlfunktion auch im Bereich der überaus komplexen Steuerung (Software) liegen oder im Zusammenspiel aus Organfunktion und Steuerungsmechanismen.

Systeme beeinflussen sich

„Erstaunlicherweise“, berichtet der Neurologe weiter, haben viele Menschen Angst davor, in die „Psychoecke“ geschoben zu werden, wenn sie sich mit der eigenen „Software“ beschäftigen. Diesen Befürchtungen traten die Experten entgegen: „Das ist eine laienhaft völlig falsche Einschätzung von Softwarefunktionsstörungen“, betont Dr. Reinhardt.

Oft gibt es eine gegenseitige Beeinflussung aller Systeme, in der Sorgen, Verunsicherung und Angst eine Symptomatik verschlechtern. Daraus könne ein Gefühl des körperlichen und emotionalen „Ausgebranntseins“ entstehen, meint Dr. Reinhardt. Dagegen hilft nur eine ganzheitliche Betrachtung des Patienten.

Eine wichtige Botschaft an diesem Abend war auch, dass man therapeutisch mittelfristig die Ursachen für den Stress beseitigen sollte. Hierbei sollte man nicht nur „Zeitmanagement“ oder andere Formen der Selbstoptimierung betreiben, da dann die Gefahr besteht, noch mehr zu arbeiten und sich zu belasten.

Experte Dr. Reinhardt rät: „Im Sinn einer Work-Life-Balance sollte man sich im Wochenplan fest verankerte Freiräume schaffen, in denen weder berufliche noch private Pflichtaufgaben zu erfüllen sind.“

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