Kultur im Transfer: So cool ist Tresenlesen in Erlangen

4.12.2019, 18:00 Uhr
Kultur im Transfer: So cool ist Tresenlesen in Erlangen

© Foto: Rainer Windhorst

Der Schauplatz ist gut, sehr gut sogar, und vor allem extrem passend: In einer solchen Location, wie es der Club "Transfer" in der Westlichen Stadtmauerstraße ist, kann man sich jederzeit einen dieser typischen Wallace’schen Anti-Helden vorstellen, an der Theke sitzend, vor sich hin brabbelnd, Frauen angrabend, ungefragt wildfremden Leuten ihr Leben erzählend und vor allem in ihren ganzen schamlos beichtenden Monologen megamäßig um sich selbst kreisend.


Transfer in Erlangen: Musik, Literatur und Porno-Comics


Leon Amadeus Singer, Neu-Zugang im Ensemble des Theaters Erlangen, hat sich für seinen Beitrag zur beliebten Theater-Reihe "Tresenlesen" einen, sprachlich wie thematisch, nicht unerheblichen Literatur-Brocken ausgesucht: die Kurzgeschichten-Sammlung "Kurze Interviews mit fiesen Männern" von David Foster Wallace, um die Jahrtausendwende von den Feuilletons als literarische "Lichtgestalt" verkauft.

Normalerweise bedeutet dies nicht ganz einfache, selbstreflexive Kost, aber Singer hat sich gottlob für die weniger ballastreichen, vergleichsweise "schlanker" formulierten Short Storys entschieden. Die aber auch ganz schön auf die Zwölf gehen können – wenn es um Pädophilie oder Vergewaltigung geht. Text-Brocken.

Also, der Mensch in der Postmoderne, hier ist er ganz: in seiner Ichbezogenheit, seiner Kommunikationsunfähigkeit, seiner Weinerlichkeit, seiner Verzweiflung. Beziehungsunfähige Männer und ihre Versuche, aus ihrem emotionalen Schneckenhaus herauszukommen, und die Frauen, die als bedauernswerte Ansprechpartnerinnen und Fleisch gewordene Auffangbecken dienen (müssen). Starker Tobak, nur manchmal von sardonischem Witz, oftmals lakonisch, schwer zu rezitieren.

Auch der "Transfer"-Chef hat seine Nebenrolle

Aber hey, Leon Amadeus Singer macht das Beste draus: Die ganze Kneipe ist sein Spielplatz, mal sitzt er auf dem Tresen, mal steht er dahinter, mal rennt er raus, mal legt er Musik auf (Herbert Grönemeyer darf seine "Männer" anfänglich sogar im falschen Tempo besingen). Das Publikum in entspannter Trinklaune spielt zwar nicht direkt mit, ist aber mittendrin statt nur dabei. Da wird man schon mal angeprostet, wenn’s die Szene hergibt, mal geht ein Glas entzwei, mal ist es "Zeit für ’nen Schnaps".

Auch "Transfer"-Chef Volkmar Ziche hat seine Nebenrolle, die er traumwandlerisch sicher ausfüllt. Was nicht sonderlich verwundert, verkörpert er doch – einen Kneipier. Und als solcher darf er gleich zu Beginn jenen "Typ" da an der Bar, der gerade ein Plakat von der Wand reißt, scharf zurechtweisen. "Tresenlesen" lebt ganz von der Atmosphäre.

Weitere Vorstellungen: 11. Dezember, 11. und 25. Januar (Karten gibt es online).

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